2004-07-26
DIE KÄRNÖLFRAU
Eine bescheidene Hommage für Iva M.
In einer gewissen Tonart war "O Good –" zu hören. Wo kommt das her? Könnte aus dem Amerikanischen sein? Alles Mögliche, genauer Unmögliche kommt ja von dort.
Nein, es kam aus nächster Nähe von rechts zwischen sanften, samtweichen Küssen. Wie vollmundiger, sonnengereifter Sauvignon. Kurz dachte ich an die unbekannte, blaue Blume, die irgendwo in der Nähe blüht. Doch die Farbe blau, welche Novalis berühmt machte, ist anrüchig geworden. Die Romantik heimlich in verkommenen Friedhöfen bestattet..
Bald begrüßte ich mich wieder in der anarchen, weinroten Eremitage und dachte, was wäre, müßte man eine Kärnölfrau des Jahres wählen? Es gäbe keine. Denn jede unserer Damen ist am würdigsten. Künstlerisch, musikalisch, soziologisch, literarisch, bildnerisch, innovativ, erotisch, rhetorisch, und gewiß voll ungeahnter Qualitäten darüber hinaus.
Und doch, da kommt etwas zurückhaltend vorerst eine Frau nach Kärnöl, spricht und erzählt und weint und lacht, singt und trauert, offenbart ihre Welt zwischen Sizilien, confine stato und dieser Stadt, erweckt mit Schlagern, das sind Songs, Jahrzehnte, gebietet nicht zu lachen und tut mit hochgestrecktem Zeigefinger ihre Meinung über den Papst und sein Imperium kund. Erzählt Witze mit verschlüsselten oder vergessenen Pointen. Sie übertrifft den bei Kärnöl üblichen vulgären Jargon mit selbstverständlicher Leichtigkeit, verspricht dem alten Mann ohne Meer, was er nur in Romanen hört, fürchtet, beschwört und verbannt den Tod und lebt in einem aggressiven Szenario den Haß gegen den betrunkenen Unfallsmörder einer jungen Frau aus.
Sie wendet sich den Buben zu, das sind Männer mittleren Alters, und auch dem einzigen Weibi, einer Frau im blühenden Alter, die sie mit einem ihrer vielen Küsse beehrt und zur Angetrauten des neben ihr sitzenden, langsam in Melancholie versinkenden Buben macht.
Sie lebt immer wieder in ihrer Tochter auf, die das Glück hat, einen Beruf zu erlernen, die begabt ist und schreibt und zeichnet und nicht ohne Zukunft lebt. Sie bremst mitunter politologische Ansätze, aufflackernde Hochgeistigkeit ein, fühlt sich aber mehr und mehr zum Vor- und Nachdenker der Kärnölnation hingezogen. Wenn sie auch erwähnt, als Haus- und Kochfrau könne sie in diesen Höhen nicht mithalten. Obwohl ihr gesunder Menschenverstand sehr ausgeprägt ist. Auch sonst scheint sie up to date zu sein, wie es jetzt heißt. Auf die makellose, weiße Haut tätowiert ziert ihr linkes Schultergelenk ein martialisches Bildnis. Ob sie einen Wikinger oder den Buonarroti auf die leichte Schulter genommen hat?
Diese blendende Unterhalterin, ich verwende bewußt nicht den englischen Ausdruck, hatte die irrige Meinung, der alte, abgetakelte Seemann würde für eine der berühmtem, lokalen Draulacher Werbeblätter schreiben und könne darin ihr Leben und Bild verewigen. Wie das Leben schon so spielt, mutet man dem degradierten Matrosen immer wieder übergroße Schuhnummern zu.
Diese Ehre kann er ihr nicht erweisen. Aber eine kleine, rote, parfümierte Papierrose will ihr der ehemalige Clown überreichen: Er will sie, und sei es nur für sich selbst, zur Kärnölfrau des Jahres erwählen.
Sie hat mit Freude, Humor, Gesang und Trostlosigkeit in einer fast verborgenen Ecke die kleinste, interaktive aller Veranstaltungen organisiert.