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2008-04-13 Tauschkreise: Aller Anfang ist schwer ... Meine Erfahrungen mit Tauschkreisen Nichts ist dem bürgerlichen Subjekt unverdächtiger als die Produktion von Waren und ihrer fairer Tausch am Markt.
Wie sehr es uns allen schwer fällt, uns „in Fleisch und Blut Übergegangenes" wie die Produktion von Waren, die Konkurrenz, den Markt ... zu hinterfragen, ist mir in den letzten Jahren bewusst geworden. Und zwar nicht in der peinharten Normalökonomie, sondern bei einem praktischen Versuch zu ihrer Überwindung: In den letzten fünf Jahren konnte ich als Koordinator eines Tauschkreis-Jourfixes für den Raum Villach (wir treffen uns, außer während einer dreimonatigen Sommerpause, einmal im Monat) relativ intensiv die Wirkungsweise von Tauschkreisen beobachten. Weil im Folgenden diese Prozesse ziemlich kritisch beleuchtet werden, soll eines vorweg betont werden: Ich schätze die beteiligten Engagierten sehr, es sind dies durchwegs Menschen, die mit dem Bestehenden unzufrieden, die auf der Suche nach neuen Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens und die auch offen für weitere Ideen des Kooperierens sind. Die Kostnix-Laden-Idee etwa wurde bei einer entsprechenden Vorstellung sehr euphorisch begrüßt, in einem Öko-Laden in St. Veit an der Glan wurde von seinem Betreiber, einem Tauschkreisaktivisten, umgehend eine entsprechende Ecke eingerichtet. ( Wie funktioniert der Tauschkreis? Der Talente-Tauschkreis Kärnten ist ein Verein und umfasst mehrere hundert Mitglieder. Er besitzt eine Homepage ( Die Einheit Talente entspricht in etwa dem Schilling. Als Norm gilt, dass eine Stunde Arbeit 100 Talente wert ist und dass jede Arbeitsstunde gleich viel wert ist. Man kann ohne weiteres bis zu 5.000 Talente ins Minus geraten, bei Überschreitung dieser Grenze entscheidet der Vereinsvorstand. Die Angebotspalette bezieht sich vor allem auf Dienstleistungen (Kochen, Massagen oder PC-Service und Ähnliches mehr), es werden aber auch Waren, vor allem aus dem Bereich Lebensmittel, angeboten. Zur Förderung des Vereinslebens gibt es jährlich mindestens ein großes Tauschkreis-Fest (meist im ideellen Mittelpunkt des Vereins, dem Bischöflichen Bildungshaus St. Georgen am Längsee) sowie die bereits erwähnten lokalen Jourfixe (in Klagenfurt, St. Georgen, Villach und Radenthein). Nach dem bereits Gesagten ist klar: Tauschkreise sind Marktwirtschaft mit einer jeweils zinslosen Verrechnungseinheit, sprich Geld. Allerdings funktioniert das Wirtschaften noch ohne Ausbeutung fremder Arbeit, das heißt, es wird kein Mehrwert erwirtschaftet, der von einem Akteur zu seinen Gunsten akkumuliert wird. Das ist der große Unterschied zum Kapitalismus. Gleichzeitig sind mit diesen Merkmalen auch die entscheidenden negativen Seiten beschrieben. Diese dürften Kritiker/innen des Kapitalismus, die sich vor allem auf die Kategorien Klasse und Ausbeutung beziehen, gar nicht so klar sein: Entscheidend in Tauschkreisen sind die Wirkungsweisen von Äquivalententausch und Geld! Tauschkreise sind daher streng genommen keine Formen solidarischen Wirtschaftens, sondern beruhen auf privater Warenproduktion. Sie lässt die Menschen zwar arbeitsteilig fungieren, bewirkt aber durch diese Privatheit der Produktion das Paradox einer „ungesellschaftliche Vergesellschaftung“. Dazu einige Beispiele: Als ich vor fünf Jahren beim ersten Jourfixe von einem guten Bekannten (und Tauschkreisteilnehmer) eine Flasche Mostessig geschenkt bekam, zögerte ich anfangs, dieses Geschenk anzunehmen: Was sollte ich als Gegenleistung erbringen? Schon hatte sich das „Geld“ zwischen uns geschoben, was vorher kein Problem gewesen ist, wurde auf einmal eines: Als Tauschkreispartner sind wir im wahrsten Sinne des Wortes berechnend geworden. (vgl. dazu von Andreas Exner, Eine sehr beliebte Ware – ich verwende diesen Begriff hier nicht nur im alltäglichen Sinne, sondern auch als Marxsche Kategorie – ist selbstgebackenes Brot. Seit in unserem Jourfixe eine Anbieterin mit einem köstlichen Brot auftritt, ist eine andere Anbieterin aus dem Rennen: Die Konkurrenz hat sie vom Markt verdrängt. (zum Begriff der Ware: Wenn jemand zu einem Jourfixe ein Backblech voll Kuchen mitbringt, besteht immer die Gefahr, dass sie/er auf ihrer/seiner Ware sitzen bleibt, weil zum Beispiel zu wenig Leute da oder alle satt oder was auch immer sind. Jedenfalls erfolgt die Produktion ungeplant! Wo Tauschkreis-Teilnehmer/innen zusammen kommen, gibt es immer auch Werbung, sei es durch „Ausrufung“, sei es durch hübsche Präsentation der Waren. Die Leute sollen „Lust auf Konsum“ bekommen, eine Erscheinung, die durchaus dem normalen kapitalistischen Wirtschaftsleben vergleichbar ist. Das geht so weit, dass insbesondere Angebote boomen, die eine Nähe zu esoterischen Zugängen haben. Problematische Grundregel Wer nichts hat, bekommt auch nichts (Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe später)! Diese Grundregel gilt auch unter Tauschkreismitgliedern. Beobachten konnte ich diese bittere Erkenntnis bei einer älteren, gebrechlichen, sehr idealistisch eingestellten Tauschkreisaktivistin der ersten Stunde. Seit sie nicht mehr fit ist, bräuchte sie viele Dienstleistungen, kann selbst aber wenig einbringen. Da diese eiserne Regel des Äquivalententauschs auch für die anderen gilt, ist es tendenziell selbstschädigend, wenn man solidarisch handelt. Dieses Beispiel leitet zu weiteren Aspekten über. Die/Der Einladende zum Jourfixe ist immer einem gewissen Stress ausgesetzt: Sie/Er übernimmt die Verantwortung dafür, dass die Teilnehmer/innen sich wohl fühlen, dass sie tauschen. Als Einladender habe ich oft Kuchen konsumiert (aufgekauft), damit das Tauschen in Schwung kommt, also Anbieter/innen nicht frustriert sind. Und dies alles, obwohl ich satt und mit meinem individuellen Konto in einem großen Minus war. Was ist passiert? Mit etwas Abstand betrachtet, bin ich in die Rolle des „Staates als ideeller Gesamtkapitalisten“ geschlüpft und habe, um exakt zu sein, keynesianisch gehandelt: Ich habe versucht, durch deficit spending (also Inkaufnahme eines „Budgetdefizits“) den Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten. Diese quasi-staatlichen Funktionen gibt es bei allen Tauschkreisen als (unbeabsichtigte) Nebenwirkungen auf verschiedensten Ebenen. So gibt es einen Mini-Sozialstaat. Ein Teil einer Mini-Steuer fließt in einen Sozialtopf, aus dem (siehe oben das Beispiel der gebrechlichen Frau) Sozialleistungen finanziert werden können. Allerdings beträgt die gesamte „Staatsquote“, also auch das, was neben den Sozialleistungen auch für infrastrukturelle Leistungen (Verwaltung) aufgewendet wird, nicht mehr als 10 Prozent des Tauschkreis-„BIP“s. Verglichen mit einer Staatsquote von über 40 Prozent in der „normalen“ österreichischen Wirtschaft wahrlich ein neoliberaler Nachtwächterstaat. Apropos Nachtwächterstaat: Auch die letztlich repressive Funktion von Staat (Garantie der gesellschaftlichen Grundstruktur) kam bei einem der letzten Teamsitzungen des Vorstands zum Ausdruck. Nachdem immer wieder Mitglieder, die keine Tauschaktivitäten vorweisen, mit ihrem teilweise in tatsächlichem Geld (Euro) zu entrichtenden Mitgliedsbeitrag über lange Zeit säumig sind, kam die Idee auf, durch ein Inkassobüro (dessen Inhaber ebenfalls ein Tauschkreismitglied ist) die ausstehenden Beträge einzutreiben. Die Idee wurde zwar nach heftiger Diskussion abgelehnt, dennoch verweist allein ihr Aufkommen auf ein grundlegendes Faktum: Weil die „ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit“ (Markt) nur bedingt funktioniert, bedarf es der Ergänzung durch eine „gesellschaftliche Gesellschaftlichkeit“ in Form des „repressiven Staates“. Resümee Tauschkreise sind Marktwirtschaft mit zinsloser Verrechnungseinheit, sprich Geld. Allerdings funktioniert das Wirtschaften noch ohne Ausbeutung fremder Arbeit. Es wird kein Mehrwert erwirtschaftet, der von einem Akteur akkumuliert wird. Das ist der Unterschied zum Kapitalismus. Neben der Möglichkeit des Kennenlernens von kritischen Menschen sind für mich – auch wenn es absurd klingt – gerade diese strukturellen Fehler der Tauschkreise das Positive: Wenn es gelingt, diese zu thematisieren, sind Tauschkreise eigentlich ein großes Planspiel, das zeigt, was Markt (und Staat) bedeuten. So besteht die Chance, die Diskussion wesentlich radikaler zu führen als bei einer Kapitalismuskritik, die nur auf Multinationale Konzerne und Finanzmärkte und Zinsen reduziert ist (zu den problematischen Aspekten der Zinskritik siehe von Andreas Exner und Stephanie Grohmann . Zum Weiterlesen
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