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2011-08-22 Der autoritäre Krisenstaat. (1) Das Kapital fordert seine Menschenopfer. Wie in jeder Krise sucht es Stabilität durch die Destabilisierung der Mehrheit. Doch ist diese Krise neu. Das beginnen Zivilgesellschaft und politische Klasse zu realisieren. Sie fordern erneut Führung, Staat und starke Hand. In der Mehrfachkrise droht ein verschärfter Autoritarismus. . Es ist nicht leicht, das Zeitgeschehen im größeren historischen Rahmen zu verstehen. Man lebt als Mensch, und sei eins reflektiert, naturgemäß eher in den Tag hinein. Die politischen Angriffe von gestern sind längst vergessen, wenn es zur nächsten Demo mit den immer gleichen Forderungen geht. Zumeist werden erst im Rückblick die großen Linien der Entwicklung sichtbar. Und auch dann häufig nur für die Historiker/in. Neoliberalismus: Autoritäre Antwort auf 1968 So ist heute weithin vergessen, dass der Neoliberalismus eine Antwort auf eine Herrschaftskrise im Gefolge von 1968 war. Die kapitalistische Arbeitsdisziplin und die patriarchale Aufgabentrennung im Haushalt wurden im Verlauf der 1970er Jahre breit in Frage gestellt und praktisch unterminiert. Die Wachstumsraten der Produktivität der Arbeit sanken, während die Investitionskosten zunahmen. Das führte zu einem Fall der Profitraten. Zugleich verlor der Staat angesichts wachsender sozialer Unruhe an Legitimität. Jene, die sich am Ende der 1970er Jahre zu Gefängnisstrafen verurteilt sahen, andere Formen der Repression erlebten oder gar ermordet wurden, erfuhren hautnah, was Nicos Poulantzas 1978 in seiner In den westlichen kapitalistischen Staaten erleben wir beachtliche Veränderungen. Man müsste blind sein (und die Leidenschaft blendet immer, auch wenn sie den edelsten Motiven entspringt), wollte man nicht wahrhaben, dass sich allmählich eine neue Staatsform durchsetzt. Eine Staatsform, die ich in Ermangelung eines besseren Terminus als autoritären Etatismus bezeichnen werde, ein Terminus, der die allgemeine Tendenz dieser Transformation anzuzeigen vermag: ein gesteigertes Ansichreißen sämtlicher Bereiche des ökonomisch-gesellschaftlichen Lebens durch den Staat artikuliert sich mit dem einschneidenden Verfall der Institutionen der politischen Demokratie sowie mit drakonischen und vielfältigen Einschränkungen der sogenannten „formalen“ Freiheiten, die man erst wirklich schätzen lernt, wenn sie einem genommen werden. Obwohl einige dieser Veränderungen seit langem im Gange sind, stellt der gegenwärtige Staat verglichen mit seinen früheren Formen, einen eindeutigen Wendepunkt dar. (Poulantzas, „Staatstheorie“, 1978/2002, S.231) John Kannankulam hat in An die Stelle der durch den technischen Fortschritt vermittelten Stabilitätserwartungen ist nun die Rede von der ‘Unregierbarkeit’ getreten, der man nur Herr werden zu können glaubt durch die Anspruchsreduktion der Masse der Bevölkerung und die Rückkehr zum ‘starken Staat’ (Saage 1983, zit. in Kannankulam 2008, S. 189). Erst die in den 1990er Jahren aufkommende Globalisierungskritik in der Machart von Attac suggerierte im Rückblick auf die neoliberale „Konterrevolution“ (Milton Friedman) an der Wende zu den 1980er Jahren, der Neoliberalismus hätte den Staat unterminiert. Das war jedoch einem verzerrten Blickwinkel geschuldet. Aus keynesianischer und traditionsmarxistischer Sicht galt der Staat fälschlich als Garant von sozialer Gleichheit und Freiheit. Die Bewegungen nach 1968 hatten den Staat dagegen als Garant für Ungleichheit und Knechtschaft praktisch bekämpft oder in kommunitären Lebensformen zu umgehen gesucht. Nur vor der Folie einer naiven Projektion, wonach der Staat als Die sozialen Bewegungen der 1970er Jahre versuchten die staatlich garantierte Ordnung des Kapitals jedoch zu unterminieren und etwas Besseres an ihre Stelle zu setzen. Die politische Rechte formulierte das Problem daher als eine Krise des Staates. Diese Sichtweise schwang etwa in Österreich noch bis in die 1990er Jahre in den Stammtischdebatten mit und scholl einem auf Demos regelmäßig entgegen: dass man doch etwas arbeiten gehen solle; dass die vielen Sozialleistungen die Leute ungefügig gemacht hätten; dass man bei zuviel freier Zeit auf dumme Gedanken käme. Derlei hört man inzwischen selten. Zu sehr hat sich die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und das Wissen um die Zumutungen am Arbeitsamt in den Alltagsverstand gefressen. Die Rebellionen seit 1968 hatten die herrschaftliche Kontrolle der Gesellschaft zusehends gestört und aufgeweicht. Das soll nicht heißen, dass das Anliegen der Emanzipation damals weiter verangekommen war als es dies heute ist. Ich denke jedoch, dass die Dynamik der Befreiung in den 1970er Jahren in der Tat die Ordnung der Herrschaft bedrohte. Und dies erforderte aus Sicht der politischen Klasse und des Kapitals eine Gegenreaktion. Sie musste zwangsweise Aspekte der Rebellionen seit 1968 aufnehmen, um auch für die Masse annehmbar zu werden. Als ein solches ideologisches Amalgam bot sich der Neoliberalismus an. Ihm folgte der sozialdemokratische Sozialliberalismus der Marke Blair und Schröder. Am Vorabend der Diktatur: Meinung und Psyche vor dem Zweiten Weltkrieg Wie falsch zeitgenössische Einschätzungen liegen können, zeigt in erschreckendem Maße die Zwischenkriegszeit. Rückblickend betrachtet ist die Periode zwischen 1914 und 1945 der „Dreißigjährige Krieg“ des 20. Jahrhunderts. Doch meinten viele nach dem Schrecknis des Ersten Weltkriegs in den 1920er und 1930er Jahren, dass nun sicherlich die Wende zum Besseren bevorstehe. Die Revolution ließe nicht mehr lange auf sich warten, hieß es. Nur wenige waren nüchtern und scharfsichtig genug, die tatsächlichen Verschiebungen in der gesellschaftlichen Tektonik zu erkennen und die Strömungen der sozialen Bewegungen richtig einzuschätzen. Einer dieser wenige war Erich Fromm, der mit dem Werkzeug der Psychoanalyse ausgestattet im Kommentar zu einer groß angelegten empirischen Studie der politischen Einstellungen von Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten 1929 konstatierte: Ausgangspunkt der Untersuchung ist die theoretische Annahme, daß Meinungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt vertreten werden, relativ unverläßlich sind, falls sich die Umstände drastisch verändern. An sich ist eine Meinung nichts anderes als die Übernahme von Denkmodellen, die von der Gesellschaft allgemein geteilt oder von einer besonderen Gruppe vertreten werden, in diesem Fall von den deutschen Arbeitern und Angestellten. Wir nahmen an, daß nur solche Meinungen starke Motivationen zum Handeln darstellten, die in der Charakterstruktur eines Menschen verwurzelt sind – wenn es sich um „innerste Überzeugungen“ handelt; denn wenn eine Meinung in der Charakterstruktur verwurzelt ist, sollte man besser von einer Überzeugung als von einer Meinung sprechen. Tief verwurzelte Überzeugungen sind in der Tat sehr starke Motivationen für das Handeln, vorausgesetzt, daß die Möglichkeiten für derartige Aktionen gegeben sind. (…) Wir folgerten aus dieser Annahme, daß nur dann, wenn wir die Charakterstruktur der deutschen Arbeiter und Angestellten genau kannten, ihre voraussichtliche Reaktion auf einen Sieg des Nationalsozialismus vorauszusehen seien (Fromm, GA III, S. 3). Fromm und sein Forschungsteam hatten 1929 eine umfangreiche und methodisch bahnbrechende empirische Untersuchung des Charakters der Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten in Deutschland durchgeführt. 3.300 psychoanalytisch konzipierte Fragebögen wurden verteilt, 584 davon standen einer Auswertung zur Verfügung. Diese Studie wurde erst 1980 publiziert und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Rückblick zeigt sich, wie gut Fromms Ausgangshypothese und seine Methode den Fortgang der Geschichte zu prognostizieren erlaubten: Die Ergebnisse des interpretativen Fragebogens waren – so traurig sie vom politischen Standpunkt aus waren – hinsichtlich der angewandten Methode höchst ermutigend. Wir erhielten ein recht deutliches Bild von den autoritären, antiautoritären und ambivalenten Charakteren, das eine innere Konsistenz aufwies. Die statistische Auswertung ergab schließlich etwa 15 Prozent mit einem stark antiautoritären Charakter, etwa 10 Prozent mit einem autoritären Charakter und etwa 75 Prozent mit ambivalentem Charakter (a.a.O., S. 6). Die Untersuchung „Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reichs“ von 1929 erlaubte es dem Forschungsteam um Erich Fromm, zwischen der diskursiven Ebene und der emotionalen Struktur, der psychischen Verfasstheit der Menschen zu unterscheiden. Ich denke, dass auch eine Diskursanalyse den autoritären Charakter der damals vorherrschenden Strömungen des Marxismus und damit auch die Anfälligkeit gegenüber dem Nationalsozialismus hätte aufdecken können. Der Nationalsozialismus lehnte sich teilweise diskursiv an den Marxismus an ( Fromm und sein Team konnten jedenfalls feststellen: Die Analyse der Antworten konzentrierte sich darauf, die Beziehung zwischen den emotionalen Antrieben eines Individuums und seinen politischen Meinungen herauszuarbeiten. Die Ereignisse in Deutschland nach Beendigung der Erhebung haben gezeigt, wie wichtig die Frage danach ist, in welchem Ausmaß die jeweiligen politischen Meinungen mit der Gesamtpersönlichkeit übereinstimmen; denn der Triumph des Nationalsozialismus enthüllte den erschreckenden Mangel an Widerstandskraft in den deutschen Arbeiterparteien, der in scharfem Gegensatz zu deren numerischer Stärke stand, wie sie sich in den Wahlergebnissen und Massendemonstrationen vor 1933 gezeigt hatte (a.a.O., S. 8). Die Springpunkte der politischen Syndrome, die aus den Antworten auf die Fragebögen zu destillieren waren, bestanden (1) im Grad der Übereinstimmung zwischen den proklamierten politischen Überzeugungen und der gesamten Charakterstruktur, den Einstellungen, wie sie sich in den anderen Lebensbereichen wie etwa dem Umgang mit Kindern zeigte, (2) in der Gewichtigkeit der politischen Überzeugung, die umso höher war, je stärker der eigene konkrete Einsatz für die politischen Ziele war, die man abstrakt vertrat, und je besser man Frustrationen wie Wahlniederlagen etc. tolerierte. Fromm illustriert den ersten Punkt mit dem folgenden Beispiel: Wenn bei einem Befragten, der Anhänger einer Linkspartei ist, sich bei der Frage 424 („Wodurch kann nach Ihrer Meinung die Welt verbessert werden?“) die Antwort findet: „Durch die Zerschlagung der herrschenden Klasse“, und die Antwort desselben Mannes auf die Frage, ob Kindererziehung ohne Prügel möglich sei (Frage 621/22), vielleicht lautet: „Nein, Kinder brauchen Prügel, um Respekt zu bekommen“, dann kann aus zwei solchen Antworten der Schluß gezogen werden, daß der Haß des Probanden auf die Kapitalisten wohl kaum auf einer inneren Verpflichtung auf Freiheit und Gleichheit beruht; denn dies stünde in Widerspruch zu seiner Methode, Kindern Respekt einzuflößen. (a.a.O., S. 26). In der Zusammenschau von politischer Haltung und der Gewichtigkeit der politischen Überzeugung ergaben sich 1929 folgende drei Haupttypen oder politische Syndrome unter den befragten Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten. (1) Für eine freie Gesellschaft Aktive (die damals zur überwiegenden Zahl in den linken Parteien organisiert waren), die Freiheit, Gleichheit und Glück für alle wünschten, den Krieg hassten, mit den Unterdrückten sympathisierten und sich stark engagierten, (2) Menschen, die diese Ziele teilten, sich jedoch gefühlsmäßig schwächer engagierten; ihre hauptsächlichen emotionalen Interessen, wie Fromm schreibt, „konzentrierten sich auf die Familie, die Arbeit, das Hobby oder irgendwelche persönlichen Ziele“ (a.a.O., S. 9): Sie hätten zwar niemals gezögert, die Linksparteien politisch zu unterstützen, aber die Stärke ihrer Überzeugungen war letztlich geringer. Sie folgten ihren Parteiführern, entwickelten jedoch kaum eigene Initiativen und tendierten dazu, den Kampf dann aufzugeben, wenn er mit persönlichen Risiken und Opfern verbunden war. (3) Menschen, deren politische Überzeugung im Unterschied zum zweiten Typus zwar leidenschaftlich, jedoch, anders als beim ersten nicht verlässlich war: Diese Menschen waren von Haß und Ärger gegen alle erfüllt, die Geld besaßen und das Leben zu genießen schienen. Diejenigen Teile der sozialistischen Plattform, die auf den Umsturz der besitzenden Klassen zielten, sprachen sie sehr stark an. Auf der anderen Seite übten Programmpunkte wie Freiheit und Gleichheit nicht die geringste Anziehungskraft auf sie aus, denn sie gehorchten bereitwillig jeder mächtigen Autorität, die sie bewunderten, und sie liebten es, andere zu beherrschen, sofern sie selbst die Macht dazu hatten. Iher Unzuverlässigkeit trat schließlich in dem Moment offen zutage, als ihnen ein Programm wie das der Nationalsozialisten angeboten wurde. Dieses Programm sprach nämlich bei ihnen nicht nur die Gefühle an, die das sozialistische Programm attraktiv erscheinen ließen, sondern auch jene Seiten ihrer Natur, die der Sozialismus unbefriedigt gelassen oder der er unbewußt widersprochen hatte. In diesen Fällen wandelten sie sich von unzuverlässigen Linken in überzeugte Nationalsozialisten. (a.a.O., S. 9). Wie der nachfolgende Siegeszug des NS zeigte, war diese Gruppe zusammen mit der zweiten, wenig engagierten Gruppe eine absolute Mehrheit. Die sozio-psychische Grundlage der neoliberalen „Konterrevolution“ Hier ist nicht der Ort, weiter auf die unbedingt lesenswerte Studie von Fromm und seinem Team einzugehen. Hier interessiert die Schlussfolgerung für heute. Zum Einen ist anzunehmen, dass auch die Durchsetzung des Neoliberalismus keineswegs nur eine Top-Down-Maßnahme war, passiv Unterdrückten eine neue Art zu arbeiten, zu leben und zu lieben aufzupressen. Vielmehr nahm der Neoliberalismus bestimmte Forderungen der 1968er in sich auf und wendete sie in einen Vorteil für das Kapital. Das ist jedoch noch nicht die ganze Erklärung. Die Forderungen der 1968er und ihres weitgespannten Umfelds waren – wie in sozialen Bewegungen häufig – mehrdeutig. Man kann vermuten, dass die Forderungen nach Freiheit, die 1968 und danach im Zentrum stand, sich zum Teil lediglich gegen eine spezifische Form des Kapitalismus, den viele schlicht langweilig fanden, gerichtet hat. Ähnlich wie am Vorabend der NS-Herrschaft waren zwar viele von den Parolen der Hippies, der entstehenden Jugendkultur und der Militanz der Straße angezogen. Doch angesichts der zunehmenden Repression gegen Ende der 1970er Jahre und der gleichzeitigen Hoffnung, unter den neuen Rahmenbedingungen des Neoliberalismus zu individuellem Reichtum, einer angesehenen sozialen Stellung und mehr Warenkonsum zu gelangen, gaben viele ihr Engagement für eine andere, freie Gesellschaft auf und wurden zum sozialen Movens der nachfolgenden „Konterrevolution“. Man kann das Buch Dass ähnlich wie in den 1930 Jahren auch am Ende der 1970er die politische Meinung, ihre Gewichtigkeit und der sozio-psychische Charakter in einem konfliktiven Verhältnis stehen konnten, zeigte sich nicht zuletzt in der späteren Entwicklung von Aktivistinnen und Aktivisten. Eine Fraktion hatte sich im Namen des bewaffneten Kampfes zu Staatsapparaten im Kleinen gewandelt. Sie wurden im Verlauf ihrer Aktivität dem, das zu bekämpfen sie vorgaben, immer ähnlicher. Wie Eine andere (bei weitem größere) Fraktion wurde stattdessen zu einer Pioniertruppe des Neoliberalismus. Ein illustratives Beispiel sind in dieser Hinsicht die Ähnliche Entwicklungen ließen sich vermutlich bei vielen in den 1970er und 1980er Jahren trotzkistisch Orientierten zeigen, die in den Parteien (etwa der SPÖ), den Medien und in Unternehmen höhere Funktionen erreichten und ihre früheren Meinungen zugunsten neoliberaler Orientierungen aufgaben. Das politische Engagement in den Kadergruppen der 1970er Jahre lässt sich rückblickend wohl sogar als eine gute Vorbereitung auf die Konkurrenz und die autoritäre Struktur in Parteien, Medien und Unternehmen verstehen. Zu . Zuerst erschienen auf .
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