2010-12-08
Aus dem Arbeitslager: Die Aktion der Konzerne gegen Bettler
Die Wirtschaftskammer, Stadt Wien und Polizei erweitern ihre katastrophale Propaganda gegen Bettler und Bettlerinnen in Wien.
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Künstlerische Intervention. Foto Erika Stengl, Design: H.D.Smoliner. Zum Vergrößern anklicken! |
Nun prangern die Plakate der Wirtschaftskammer auch an den Eingängen vieler Lebensmittelgeschäfte und öffentlichen Einrichtungen in Wien, die ihre Kunden davon abhalten will, Zivilcourage zu beweisen und Bettlern und Bettlerinnen in Wien zu helfen.
Als Argument wird wieder der längst entkräftete Mythos des organisierten, gewerbsmäßigen Bettelei herangezogen – auch wenn Peter Goldgruber, Leiter der Sicherheits- und verkehrspolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Wien immer wieder betont, dass es sehr selten organisierte Banden sind, die hinter den Bettlern und Bettlerinnen Wiens stehen. Folglich wird nun mit einer neuen Offensive des Apparats versucht, eine Säuberung der Stadt von gesellschaftlich nicht angepassten Menschen durchzubringen, indem man das Betteln kriminalisiert und Bürger dazu auffordert, von extremer Armut betroffene Menschen zu denunzieren. Diese Offensive ist traurigerweise nichts anderes als ein Boykottaufruf der Konzerne gegen diejenigen, die unter den durch ebendiesen Konzernen ausgelösten wirtschaftlichen Depressionen in den südöstlichen Ländern Europas am meisten zu leiden haben. Weiterhin untragbar ist auch der Glaube der Konzerne, offenbar mündigen Bürgern systematisch vorschreiben zu müssen, wie diese zu handeln hätten.
Auf dem Plakat ist vermerkt, man solle das Geld lieber anerkannten Hilfsorganisationen überlassen, statt sie direkt an von Armut betroffene Menschen zu spenden. Keine etablierte Hilfsorganisation, keine Lobby wendet sich an die absolute Armut, die uns täglich mehrmals auf den Straßen Wiens begegnet. Den Großteil der Bettler stellen tatsächlich Angehörige der Roma und Sinti-Gruppe. Gerade darum fällt es anscheinend vielen so leicht, weg zu sehen und seinen/ihren Platz in der Wegschau-Gesellschaft zu manifestieren.
Eine Lobby für Roma und Sinti (Anm.: es gibt die kleine BettelLobby Wien) wäre von Nöten, um zuerst auf die diskriminierenden Umstände, mit denen sich Angehörige dieser Volksgruppe schon immer konfrontiert sahen, aufmerksam machen zu können. Diese Angehörigen werden z.B. bei ihrer Arbeitssuche ständig zurückgewiesen, aus Angst der Arbeitgeber, die Arbeitssuchenden der Roma und Sinti könnten aus Armut bei der Arbeit im Büro oder in Geschäften stehlen – ein Teufelskreis. Indes werden „Zigeuner-Ghettos“ an Stadträndern oder abgelegenen Orten (mitten in Europa!) gebildet, um diese Gruppe immer weiter zu marginalisieren. Was bleibt einem/einer also noch anderes übrig, als auf die Straße zu gehen und zu betteln? Die EU trägt nicht ausreichend zu einer Lösung der sg. Roma-Problematik bei.
Im Falle des offen-rassistischen Vorgehens der französischen Regierung gegen Roma und Sinti hätte diese viel schärfer vorgehen müssen, Geldstrafen verhängen und dadurch Schulen oder Projekte in der Ostslowakei oder in Rumänien finanzieren können, um dadurch gleichzeitig die Not der Betroffenen, in anderen Ländern betteln zu müssen, einzudämmen. Logisch, dass die EU als Menschenrechtsakteur in diesem Fall versagt (hat). Erkennen kann man aus diesem Beispiel aber erneut, dass Wegsehen keine Lösung ist, dass die Propaganda der WKO nicht unterstützt werden sollte. Der Mythos um kriminelle Bettelorganisationen ist bereits entkräftet, man darf wieder Menschlichkeit zeigen und Aufstehen gegen das ökodarwinistische Diktat der Profitgeier – man darf wieder ein solidarisches Gemeinschaftstier sein, ohne sich dafür schämen zu müssen!
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27.11.2010, 12:30 bis 12:50, Mariahilfer Straße, Wien. Gesichter der Polizisten anonymisiert. Foto Christian W. Zum Vergrößern anklicken! Bildquelle: https://bettellobbywien.wordpress.com/ |
Eine sehr gute Argumentation findet sich unter:
Wiener Bettlerinnen Mythen
Aktuell: Kurier, 7.12.2010: Betteln - Beweise für Bandentheorien fehlen
Dazu auch von Gernot Haupt
Historischer Rückblick in die 30erJahre und Politische Ausbeutung der Bettler