2010-09-10
Ich und der Staat
Gedanken zu einem sonderbaren Verhältnis
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Der Beitrag erschien zuerst in
der Zeitschrift Streifzüge 49,
Juli 2010 bzw. im Internet auf
www.streifzuege.org.
Meine früheste Erinnerung an den Staat geht so: Ein Volksschulknirps befindet sich auf der Fahrt mit Bruder, Mama, Papa ins hitzeflirrend sommerliche Burgenland – Badetrip an den Neusiedlersee. Vorbei ziehen sommergelbe Weizenfelder, die unvermeidlichen Pyramidenpappeln säumen die Straße. Der Knirps stellt aus in der Tat heiterem Himmel eine Frage in den drückendheißen Autoinnenraum: „Wem gehören eigentlich die Sachen in der Schule?“ Mama und Papa mögen sich gewundert haben, was den Kleinen hitzerot-sommerlich gerade auf den Staat zu sprechen kommen lässt. Mama jedenfalls versucht eine Antwort. Nach einigem Zögern, halb zu Papa gewandt, halb fragend, meint sie: „Naja, das ist ja öffentliches Eigentum, das gehört dem Staat, also uns allen.“ Ich bin erstaunt: „Die Kästen in der Schule, die gehören allen?“ Papa sieht das anders: „Unsinn“, meint er, oder so ähnlich – warum erklärt er nicht.
Jahre später, bei einer Veranstaltung der Grünen Bildungswerkstatt in Linz. Der Knirps ist inzwischen frühe Dreißig. Er kritisiert den Staat. Nach der Veranstaltung, auf deren Podium sich der Autor befunden hatte, entspinnt sich ein Streitgespräch mit einer Frau aus dem Auditorium. „Der Staat, das sind doch wir“, meint sie vehement.
Sind wir der Staat? Ist der Staat wir? Meine Antwort lautet nein. Wären wir und er eins, dann müssten wir ihn nicht beständig bitten, beklagen, kritisieren. Staat, das ist ganz offensichtlich etwas, was nicht ident ist mit der Gesellschaft. Ein Etwas, das sich sperrt, eigene Ziele verfolgt, auf das Einfluss ausgeübt werden will, etwas, das vor allem uns beeinflusst. Ebenso wenig jedoch ist der Staat etwas, das aus sich selbst heraus existiert. Es ist deshalb zur stehenden Formel geworden, den Staat mit Nicos Poulantzas als „materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen“ zu fassen. Und wenngleich das noch nicht alles ist: das ist er.
Heute gibt es kein Gehen, Reden oder Tun mehr ohne Staat. Damit freilich ist der Staat auch abhängiger geworden von den Verhältnissen, in denen er verwurzelt ist und die ihn erzeugen.
Also: Gehört die Schule uns?
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Dazu auch:
Du bist des Staates Eigentum. Was uns die Debatte über die Rechte von Migrant/innen über unseren eigenen Status sagt.
Und so lautet denn das 11. Gebot: Du musst den Staat lieben ... mehr als dich selbst und deinen Nächsten, auf dass er deine Existenz als Arbeitskraft garantiere.
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