2010-03-23
Martin Birkner: Thesen zu Migration, Arbeit(steilung), Antirassismus
Gedanken zum Arbeitskreis „Migration und Arbeit / Armut“ im Rahmen der Debatte „Migration – Kampf um's Überleben?“
.
1.
Diskussionen über Migration werden meist entweder sozialtechnisch oder paternalistisch geführt, als politischer Diskurs über die Regulierung und/oder Beschränkung von Migrationsbewegungen oder als Opfer-Diskurs. In beiden Fällen werden MigrantInnen als politische Subjekte nicht ernst genommen.
2.
Der theoretische Ansatz der Autonomie der Migration hingegen geht von den Migrationsbewegungen selbst aus, und zwar verstanden als Soziale Bewegungen. Migration wird nur in zweiter Hinsicht als Effekt, als Antwort auf Anfordernisse des Kapitalismus gesehen, primär jedoch als eigensinnige und eben (relativ) autonome Bewegung.
3.
Migrant/innen sind also primär nicht Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse und Exklusionsmechanismen, sondern als Subjekte, die selbst sprechen und kollektiv handeln, wenngleich auch – und aus guten Gründen – für die Öffentlichkeit nicht leicht sichtbar.
4.
Dabei bewegt sich Migration natürlich innerhalb der herrschenden kapitalistischen Arbeitsteilung, wenngleich sie diese selbst wiederum verändert. Ein Blick auf die rassistische Arbeitsteilung – in ihrer Verknüpfung mit der geschlechtlichen, internationalen und jener zwischen anleitenden und ausführenden Arbeiten kann den Blick auf Migration auch – und meines Erachtens vor allem – als Arbeiter/innenbewegung öffnen.
5.
Rassistische Arbeitsteilung ist sowohl eine Notwendigkeit für die Kapitalakkumulation (Segmentierung von Arbeitsmärkten ? Niedriglohnbereich, Industrielle Reservearmee) als auch im Rahmen politischer rassistischer Strategien (die sich in Österreich nicht nur bei den rechtsradikalen populistischen Parteien finden lassen, sondern z.B. durchaus auch im ÖGB) zur Spaltung der arbeitenden Menschen entlang rassistischer Trennlinien.
6.
Aus diesen beiden Perspektiven, der der Autonomie der Migration und jener der gesellschaftlichen Arbeitsteilung können meines Erachtens strategische Ansatzpunkte für eine emanzipatorische antirassistische Politik entwickelt werden. Einige davon möchte ich im Folgenden stichwortartig benennen.
Vier mögliche „Einhakpunkte“ antirassistischer Politik:
- Dem Integrationsdiskurs politisch entgegentreten! Er unterstellt ein einheitliches politisch-soziales Gebilde bzw. eine „Leitkultur“, das es so nicht gibt! Migrant/innen brauchen keine Integration, sondern Respekt und Zugang zu Sozialleistungen, Arbeit und Gesundheitsversorgung.
- Ein bedingungsloses Grundeinkommen für ALLE, ohne Rücksicht auf Herkunft und Staatsangehörigkeit, um die überdurchschnittliche Armutsbetroffenheit von Migrant/innen zu beenden.
- Politischer Druck auf jene Akteur/innen auszuüben, die, gerade im Rahmen der Arbeiter/innenbewegung rassistische Politik durch protektionistische Maßnahmen mittragen – allen voran der ÖGB! Lohnerhöhungen für alle und gemeinsames Handeln anstatt Razzien gegen migrantische Arbeiter/innen und nationaler Abschottungspolitik.
- Eine breite politische Kampagne gegen Abschiebungen und die zunehmende Militarisierung des europäischen Migrationsregimes. Migration ist ein globales Phänomen, nur Ideen wie die einer Weltbürger/innenschaft kann dem gerecht werden, nicht aber nationalstaatliche Politik.
Antirassistische Politik muss antikapitalistisch sein oder sie ist unwirksam! Der untrennbare Zusammenhang von gesellschaftlicher Arbeitsteilung, Ausbeutung und Klassenkämpfen mit Migrationsbewegungen braucht keinen moralischen Antirassismus, aber auch keine Beschränkung auf das Einfordern von Rechten – so bedeutsam diese auch sind. Migration ist auch eine Arbeiter/innenbewegung, eine Bewegung, die Kapital und staatliche Politik immer AUCH ein Stück weit vor sich her treibt, die unkontrollierbar bleibt. Eine Strategie des Klassenkampfs, verstanden als Kampf gegen das Klassifiziert-Werden, könnte hier ansetzen und politische Strategien für eine Überwindung der auf Ausbeutung und Unterdrückung gleichermaßen aufgebauten kapitalistischen Verhältnisse zu entwerfen versuchen. Aber nicht ohne Migrant/innen als politische Subjekte!
18.3.2010
.
Vergleiche dazu auch die Beiträge
Gerhard Payr,
„Migration – Ökologie – Entwicklung“
Christian Salmhofer,
„Hot Spot Zentralasien“