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2010-01-15 RAITH, Dirk: Corporate Social Responsibility als Weg aus der Krise? Eine alte Geschichte oder der Bock als Gärtner. Input bei der Tagung → „Wege aus der Krise?" . Immer wieder hört man, dass Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung (freiwillig) wahrnehmen sollten. Insbesondere aus dem kirchlichen Bereich wird darin ein Ansatz im Kampf gegen soziale Missstände gesehen, der mit der kapitalistischen Geschäftstätigkeit vereinbar sei.
Wenn wir heute nach Wegen aus der Krise fragen und ich ein Wort zu „Corporate Social Responsibility“ sagen soll, dann bin ich geneigt zu sagen: „CSR“ ist – jedenfalls in der dominanten Lesart als „business case“ – kein Schritt auf diesem Weg, kein Teil der Lösung, sondern eher ein Teil des Problems. Diese These möchte ich im Folgenden kurz erläutern und begründen. [Redakt. Anmerkung: „business case“ ist ein nicht ganz einfach zu übersetzender Begriff aus der Managementsprache, er kann in etwa mit „Geschäftskalkül“ übersetzt werden.] Edward R. Freeman – um mich dabei gleich auf eine Autorität zu berufen[1] – hat bei einer CSR-Konferenz in Berlin vor ziemlich genau einem Jahr, also unter dem ersten Eindruck der hereinbrechenden Krise, dem etwas verstört wirkenden Publikum eröffnet, „CSR“ sei „a thing that's defined by the old story“ – jener „story“ vom Sinn und Zweck des Wirtschaftens also, die uns eigentlich erst in die Krise geführt habe. Stattdessen forderte Freeman eine „neue Geschichte“ darüber, wofür Unternehmen „gut sein“ sollen, eine, die Antworten auf die Fragen gibt, wie, für wen und warum eigentlich welcher „Wert“ geschaffen werden soll.[2] Die „alte Geschichte“ dagegen, damit hat Freeman wohl die Doktrin gemeint, wonach der (moralische) Sinn und Zweck eines kapitalistischen Unternehmens primär darin besteht, Mehrwert für die KapitaleignerInnen zu schaffen. Oft und gerne wird dazu Milton S. Friedmans berühmter Sager zitiert: „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens ist die Profitmaximierung."[3] Was darin zum Ausdruck kommt, ist einerseits die Warnung, dass Manager/innen weder über das Recht, noch über Interesse, Know-How oder Mandat verfügen, sich für gesellschaftliche Belange einzusetzen. Täten sie es doch, wäre das entweder heuchlerisch oder gefährlich –– in jedem Fall aber unmoralisch. Was in Friedmans Sager aber noch zum Ausdruck kommt, ist eben die noch viel ältere Geschichte, dass durch die Wahrung der Kapitalinteressen, wie von unsichtbarer Hand, das größte Glück der größten Zahl befördert würde: eine Marktmetaphysik und eine „Ethik ohne Moral“, die letztlich die grundlegende Legitimation unseres Wirtschaftssystems darstellt. „CSR“ erscheint demgegenüber zunächst ja wirklich als „ganz neue Geschichte“. Friedman fungiert jedenfalls mit seinem Verdikt erprobtermaßen erfolgreich als „Gottseibeiuns“ der CSRTage und -Tagungen, von dem sich exaltiert abgegrenzt wird. Gilt doch „CSR“ landläufig als logische Reaktion auf den verdienten „Vertrauensverlust“, der Unternehmen und Wirtschaft schon durch frühere Kleinkrisen („dotcom-Blase“) und Skandale („Enron, Nike, Shell“) drohte, und wirkt es doch gerade angesichts der aktuellen Großkrise geradezu als Gebot der Vernunft, dass man – nach all dem „Neoliberalismus“ – wieder „verantwortlicher“ und „moralischer“ agiert. Hört man dann aber genauer hin, dann ist hier gar nicht von „Moral“ oder „Verantwortung“ die Rede, sondern von „Geschäft“. Das wäre – pragmatisch gesehen – nicht das Problem, wenn es denn effektiv und „nachhaltig“ dazu führen würde, dass Unternehmen verantwortlicher agieren. Und genau das ist es auch, was uns der „business case“ der CSR verspricht: Unternehmen sollen nicht nur „gesellschaftlich verantwortlich“ wirtschaften, sie sollen es eben gerade aus ökonomischem Kalkül, denn „Ethik zahlt sich aus.“ Das Bemerkenswerte an diesem Konzept ist nicht nur, dass es nicht von Wirtschafts- oder UnternehmensethikerInnen, sondern von ExpertInnen für Unternehmensstrategie, Marketingleuten und BeraterInnen – als Konzept „von Unternehmen für Unternehmen“ – propagiert wird, sondern dass es den Anspruch erhebt, „eine Quelle unglaublichen sozialen Fortschritts“ zu sein, und zwar weit effektiver als jeder „moralische“ Ansatz der Unternehmensethik es jemals sein könnte.[4] Und zwar deshalb, weil das Profitmotiv das für Unternehmen „verständlichste“ und damit auch das glaubwürdigste und nachhaltigste sei. Man kann dem „business case“ zugute halten, dass er – wie das Konzept „nachhaltigen Wirtschaftens“ auch – den Blick für mögliche Synergien (neudeutsch „Win-Wins“), technische Lösungen und neue Geschäftsfelder schärft und externe Kosten als potentiell ertragreiche „Investitionen“ betriebswirtschaftlich internalisierbar macht –– und damit tatsächlich einen Beitrag zu einer verantwortlichen Unternehmensführung leisten kann. Die zahlreichen Beispiele von „good“ und „best practice“ sollen ja gerade das demonstrieren. Dennoch spricht einiges dafür, dass man – so war die Eingangsthese – mit dem „business case“ als dominantes Konzept der „CSR“ vorschnell den Bock zum Gärtner machen könnte. Was stützt nun diese These? Der gewichtigste moralische Einwand gegen den „business case“ ist vielleicht jener gegen den Grundsatz, dass nicht die moralische Legitimität von Ansprüchen, sondern lediglich der mögliche „shared value“ (vgl. Porter/Kramer a.a.O. : S. 8) den Ausschlag für ein Engagement geben sollte. Es leuchtet ein, dass Unternehmen so verfahren – genau das besagt ja der „business case“. Dann aber sollte so eine Haltung auch als das bezeichnet werden, was sie ist, nämlich als Opportunismus gegenüber Macht und Verwertungsmöglichkeiten, und nicht als „gesellschaftliche Verantwortung“.[5] Die viel beschworene „Moralisierung der Märkte“ geht insofern also mit einer untergründigen und bedenklichen „Vermarktung von Moral“ einher, die wiederum Teil des Problems ist.[6] Es lassen sich aber auch zahlreiche empirische (oder grundlegender: methodologische) Einwände gegen den „business case“ vorbringen, die allesamt darauf hinauslaufen, dass man bestenfalls von einzelnen Verantwortungsbereichen sprechen kann, die sich – durch Kostensenkung, Effizienz- und Produktivitätssteigerung oder Marktpositionierung etwa – positiv auf die „bottom line“ auswirken –– und einfach „gutes Management“ sind.[7] Der „große Win-Win“ zwischen „Ethik“ und „Wirtschaft“ ist aber bestenfalls Wunschdenken, schlechtestenfalls ist er Ideologie – die alte Geschichte. Damit sind wir auch schon bei den praktischen Einwänden, die sich gegen den „business case“ als Lösungsansatz für die Krise (als „Verantwortungskrise“) vorbringen lassen: Neben der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit einer Haltung, die letztlich als opportunistisch bezeichnet werden muss (s. o.), ist v. a. die Verallgemeinerbarkeit des „business case“ – einerseits auf alle Bereiche verantwortlichen Unternehmenshandelns (nicht nur die profitablen) und alle Unternehmen (nicht nur die sichtbaren oder durch die Branche bevorzugten) – mehr als fraglich. Vor allem aber scheint die Hoffnung auf eine Lösung des „Verantwortungsproblems“ durch das Profitmotiv bzw. über den Markt gerade in Zeiten anhaltender Deregulierung und des Hyperwettbewerbs im globalen Maßstab geradezu paradox, und es lenkt von der eigentlichen Problematik ab, nämlich wie die Regeln beschaffen sein müssen, damit ernsthaft verantwortliches Wirtschaften – durchaus auch als „business case“ – überhaupt möglich wird.[8] Man könnte sogar noch einen Schritt weiter in dieser Einschätzung gehen: Der „business case“ von CSR – in Europa etwa seitens großer Unternehmenslobbies wie UNICE/Business Europe oder CSR Europe heftig lobbyiert – lenkt nicht nur von nötigen Regeln ab, er soll auch davon ablenken – gerade weil es häufig einen unverantwortlichen „business case“ gibt, dessen Interessen mächtiger und dessen Erträge größer sind (vgl. Ungericht, Raith, Korenjak, a. a. O. : S. 69ff.). In der österreichischen Debatte haben die langjährigen Auseinandersetzungen mit CSR-kritischen Institutionen indes im neuen Leitbild der Unternehmensinitiative respACT[9] wenigstens oberflächliche Spuren hinterlassen: Dort wo nämlich auf die programmatische CSR-Definition des „Grünbuchs“ der Europäischen Kommission[10] Bezug genommen wird, liest man neuerdings von einem „selbst verantworteten [statt „freiwilligen“] Beitrag der Unternehmen zur Nachhaltigen Entwicklung“ und einer „Verbesserung“ von „Rahmenbedingungen“ – selbst wenn damit vage die „Lebensumstände aller Menschen“ gemeint sind. (respACT, a.a.O. : S. 7) Die jüngst erhobene deutliche Zustimmung österreichischer UnternehmensvertreterInnen – quer durch alle Unternehmensgrößen und -branchen – zu verbindlichen und sanktionierbaren Regeln in CSR-relevanten Bereichen[11] zeigt jedenfalls, dass der „business case“-Ansatz ohne begleitende Regelungen, wie er von den Interessenvertretungen propagiert wird, die Bedürfnisse des Großteils der Unternehmen nicht angemessen berücksichtigt. Das Fazit dieser Erhebung kann jedenfalls auch für die hier angestellten knappen Überlegungen zum „business case“ der CSR gelten: „Die gängige Losung von CSR als „business case“ und das Versprechen von „win-wins“ zwischen Erfolg und Verantwortung erweisen sich demnach nur als sehr eingeschränkt tauglich, um die soziale und ökologische Verantwortung in den Unternehmen flächendeckend zu fördern. […] Notwendig wären Rahmenbedingungen, die Handlungsspielräume schaffen, innerhalb derer gesellschaftliche Erwartungen und individuelle Werthaltungen allgemein realisiert werden können."[12] Solange der „business case“-Ansatz aber die Bedingungen seiner allgemeinen Verwirklichung konterkariert – solange bleibt er selbst ein Teil des Problems, und nicht der Lösung. Zur Person RAITH, Dirk: geboren am 1. April 1974 in Bruck an der Mur, Steiermark, Österreich, Doktoratsstudium der Sozial- & Wirtschaftswissenschaften (Schwerpunkt BWL) an der Karl-Franzens-Universität Graz . . . Dazu auch: Forderungen aus der Zivilgesellschaft . . Anmerkungen [1] Freeman gilt als Wegbereiter des Stakeholder-Ansatzes im Strategischen Management und in der Unternehmensethik. Vgl. ders. (1984): Strategic Management. A Stakeholder Approach, Pitman. ... zurück zum Text [2] Edward R. Freeman: "Stakeholder Theory and Global Financial Crisis" (urspr. Titel "Creating Sustainable Value for Stakeholders"), Vortrag gehalten am 8. 10. 2008 auf der 3rd International Conference on Corporate Social Responsibility vom 8.-10.10. 2008 an der Berliner Humboldt-Universität. ... zurück zum Text [3] Milton S. Friedman (1970): The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits, in: New York Times Magazine, 13. September 1970, S. 32f. und S. 122ff. ... zurück zum Text [4] Vgl. exemplarisch Michael E. Porter & Mark R. Kramer (2006): Strategy and Society. The Link Between Competitive Advantage and Corporate Social Responsibility, in: Harvard Business Review, Dec. 2006, S. 1-15. ... zurück zum Text [5] Vgl. Ulrich Thielemann (2008): Ethik als Erfolgsfaktor? The Case against the business case und die Idee verdienter Reputation, in: Scherer, A.G./Patzer, M. (Hrsg.), Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensethik. Wiesbaden : Gabler, 2008, S. 231-255; hier S. 241ff. ... zurück zum Text [6] Vgl. Bernhard Ungericht, Dirk Raith & Thomas Korenjak (2008): Corporate Social Responsibility oder gesellschaftliche Unternehmensverantwortung? Kritische Reflexionen, empirische Befunde und politische Empfehlungen, Wien-Berlin. ... zurück zum Text [7] Vgl. Thielemann a. a. O., S. 234ff.; David J. Vogel (2005): The Market for Virtue. The Potential and Limits of Corporate Social Responsibility, Washington. ... zurück zum Text [8] Vgl. Robert B. Reich (2007): Supercapitalism. The Transformation of Business, Democracy and Everyday Life, New York, S. 168ff. ... zurück zum Text [9] respACT (2009): Erfolg mit Verantwortung. Ein Leitbild für zukunftsfähiges Wirtschaften, Wien. ... zurück zum Text [10] Europäische Kommission (2001): Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen. Grünbuch [KOM(2001) 366 endg.]. ... zurück zum Text [11] Dirk Raith, Bernhard Ungericht, Thomas Korenjak: Corporate Social Responsibility in Österreich. Eine Bestandsaufnahme, Wien - Berlin 2009 [im Erscheinen], S. 135ff. ... zurück zum Text [12] Dirk Raith, Bernhard Ungericht, Thomas Korenjak: Corporate Social Responsibility in Österreich. Eine Bestandsaufnahme, Wien - Berlin 2009 [im Erscheinen], S. 24 und S. 148f. ... zurück zum Text
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