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2009-10-06 Geiz? ... Gier? ... Geld! Dokumentation eines Vortrags im Rahmen der → Thomasmesse am 4. Oktober 09 zur Frage, warum eine Welt nicht genug ist. . Erntedank ist’s: Ein Fest der Dankbarkeit, der Freude. Zu dieser Dankbarkeit sollte aber auch das Innehalten gehören. Innehalten und fragen: Wo stehen wir? Wohin entwickeln wir uns? Welche Perspektiven geben wir uns? Vielleicht können Sie das Wort „Krise“ schon nicht mehr hören, ich werde aber genau darauf eingehen und will Ihnen nahe bringen, warum es wichtig ist, sich damit genauer auseinanderzusetzen – als engagierter Mensch, als Christ/in, als Humanist/in (Nebenbemerkung: das ist was ganz anderes als „als anständiger Mensch“). Zentrale Thesen zur Krise Eigentlich ist schon der Begriff der „Krise“ problematisch, suggeriert er doch, da sei was aus dem Ruder gelaufen, was an sich in Ordnung sei und was durch entsprechende Maßnahmen wieder aus der Krise herauszuführen sei. Meine zentrale These ist nun, dass hier etwas AUFBRICHT, was schon immer den Kern unseres Gesellschaftssystems ausgemacht hat und was sich jetzt in verschiedenen „Krisenfeldern“ – Ressourcenkrise, Umweltkrise, Klimakrise, Sozialkrise, Entwicklungskrise, Krise der Arbeit, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Krise der Werte … – zeigt. Nun bricht auf, was schon immer den Kern des Systems ausmacht – und damit meine ich, wie wir „Miteinander umgehen“. Symptome „Miteinander umgehen“ klingt im 1. Moment für ein politisch geschultes Ohr vielleicht ein bisschen flapsig, aber ich werde gleich darauf eingehen. Zunächst aber die Symptome: 1. Symptom: Wir – die Menschheit wie auch die gesamte Mitwelt – sind mit einem Fuß schon über dem Abgrund in ökologischer Hinsicht. Dazu: 2. Symptom – Die soziale Krise: Laut FAO hungern heuer erstmals über eine Milliarde Menschen. 3. Symptom: Zunahme des Hasses, sichtbar etwa im Zulauf bei den Wahlen für „Hassprediger“. Das alles kennen wir, auch wenn wir immer wieder ohnmächtig zucken, viele von uns hier sich auch Tag für Tag engagieren und dabei aufreiben. Nun zur Behauptung, dass ökologische Krise, die soziale Krise (Hunger) und die Krise im Zusammenleben (Hass) nicht verschiedene Krisen sind, sondern Symptome EINER Krise unseres – und das ist wirklich wichtig: UNSERES – kapitalistischen Systems. Schauen wir uns dazu den World Overshootday noch einmal an: Der Tag, an dem wir die Erde erschöpft haben, war heuer der 25. September, im Vorjahr der 23.9.. Klingt wie ein kleiner Fortschritt, haben wir vielleicht vernünftiger gewirtschaftet? Die Antwort ist banal: Nein, es war die Wirtschaftskrise! Was heißt das aber? Auf der stofflichen Ebene des Wirtschaftens ist tatsächlich das eingetreten, wofür viele ökologisch engagierte Menschen einstehen – für Konsumkritik, für ein Zurückfahren des Konsumierens. Damit zeigt sich nun etwas, was gar nicht ernst genug zu nehmen ist: Wenn wir so handeln, wie wir müssten, dann bekommen wir ein Problem! Das heißt: Wir können zwar im einen oder anderen Fall „anders konsumieren“, wir können aber nicht Nichtkonsumieren, wir sind dazu verurteilt, GIERIG nach immer neuen Waren zu sein! Bedürfnisbefriedigung, Bescheidenheit, … ist nicht vorgesehen. Damit sind wir beim 2. Symptom, der schon erwähnten sozialen Krise, die sich an der Zunahme des Hungers zeigt: Ursache ist laut FAO nicht, dass zuwenig Lebensmittel produziert wurden, vielmehr hat sich das Produktionsniveau gut gehalten. Vielmehr ist – wieder laut FAO – die Wirtschaftskrise, viele Menschen können sich einfach die Lebensmittel nicht kaufen. (Dazu im Detail: → „Der Kern des modernen Hungers") Klingt logisch – aber ist es das? Denn so gesehen müsste man eine der größten Perversitäten der letzten Jahre, die sogenannte Verschrottungs- oder Abwrackprämie, in einem anderen Licht sehen, man müsste sie rehabilitieren: So gesehen heißt mehr Autos Kampf gegen die Wirtschaftskrise und damit tatsächlich Hilfe für die Hungernden der Welt?! Bedeutet Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhalts, ja sogar Umweltschutz, denn wenn die Wirtschaft wächst, können wir uns Umweltschutzmaßnahmen leisten … komisch? Vernünftig? Der harte Kern: Äquivalententausch Damit bin ich endgültig beim Kern: Wir müssen unbedingt anschauen – und ich ersuche, die Formulierung zu beachten – was die Logik unseres Systems uns allen an Regeln vorgibt, wie wir miteinander umzugehen haben: Der Kern ist der Tausch. Nicht irgendein Austausch, sondern der Tausch. Das klingt harmlos, das kennen wir alltäglich, das ist unsere ständige Praxis: Ich darf dir nur geben, wenn ich etwas im gleichen Wert, das heißt im gleichen Ausmaß an Arbeit – bekomme. Vermittelt wird das über das Geld. Das ist das Zentrum des Marktes … Ob Supermarkt, Tauschkreis, Biobauernmarkt, es gilt: Wer nichts hat, bekommt nichts. Die Ausnahme der Mildtätigkeit bestätigt diese Regel. Diese Regel ist zunächst einmal verheerend für die Einen, die Bedürftigen. Das ist aber auch verheerend für die Anderen, die „Anbieter“ von Waren: Denn wenn nichts weitergegeben werden kann, dann stockt der Kreislauf. Denn dann kann der Verkäufer auch nichts mehr kaufen. Das ist der Grund, warum es Bankenmilliarden, Verschrottungsprämie nach dieser Logik des Tauschs geben MUSS. (Dazu im Detail: → „Bedürfnisse und die Welt der Waren") Äquivalententausch heißt aber auch: Ich muss Bedürfnisse schaffen (-> Werbung = Systemlogisch), das ist der harte Kern der so gar nicht naturgegebenen Endlosigkeit unserer Bedürfnisse. Aber: Irgendwelche Relevanz haben diese Bedürfnisse nur, wenn hinter ihnen Kaufkraft steckt, wenn sie also zur „Nachfrage“ werden. (Dazu → „Nachhaltige Abhängigkeit garantiert!") Tausch heißt aber auch: Ich konkurriere darum, meine Ware an den Mann / die Frau zu bringen. Und meist ist diese Ware gar kein stoffliches Ding, das ich angreifen kann, sondern für die meisten ist diese Ware die eigene Arbeitskraft. Arbeit wird so zu einer eigenen Ware – ich biete meine Arbeitskraft feil. (Dazu: → Arbeit) Das ist also das 1. Nadelöhr, durch das wir miteinander verbunden, besser: aneinander gekettet sind in einer Wirtschaft, die nicht durch Vereinbarung, Empathie und Ausreden gekennzeichnet ist, sondern durch den Tausch und das Medium Geld, das quasi zwischen uns vermittelt. Beachte: Diese Form des Wirtschaftens gilt nur für einen Teil unseres Lebens, der aber alle anderen Lebenssphären dominiert. Dazu kommt ein 2. Nadelöhr: Die Mehrwertproduktion, mit anderen Begriffen: der Gewinn / der Profit. Die eingesetzten Produktionsmittel werden zu Kapital, das heißt sie müssen dazu dienen, aus eingesetztem Kapital am Ende mehr Kapital zu machen. Dafür sorgt alleine schon die Peitsche der Konkurrenz. Wer dagegen verstößt, muss auf Dauer untergehen. Das „Immer-Mehr“ ist gesellschaftliches Grundprinzip im Kapitalismus, die GIER – in anderen Gesellschaften eine bekämpfte Eigenschaft – Kardinalstugend. Insofern ist natürlich der Vorwurf von den gierigen Managern absurd!!! Das hat aber auch noch andere Konsequenzen: Die ungeheure Wachstumsdynamik macht einerseits den Kapitalismus so attraktiv, aber auf Dauer ist er genau deswegen mörderisch für den gesamten Planeten. Zusammenfassung: Es besteht ein grundsätzlicher Widerspruch. Auf der einen Seite haben wir einen ungeheuren stofflichen Reichtum, dies wäre das Potenzial für ein gutes Leben für alle. Auf der anderen Seite wird dies in einer Form produziert, der genau dieses gute Leben verhindert. Nun zu uns Wir sind zutiefst Teil dieser Gesellschaft und seiner Grundsäulen Erwerbsarbeit, Waren, Geld, Bedürfnisschaffung, Konkurrenz ..., denn wir haben diese Form des Miteinanders von klein auf verinnerlicht. Und weil wir halt überleben müssen, reproduzieren wir dies tagtäglich. Deswegen wollen und können wir so schwer den oben angesprochenen harten Kern erkennen, deswegen erscheint er uns zur Natur des Menschen zu gehören. Ich nehme mich da überhaupt nicht aus, auch wenn es bei den Menschen individuell durchaus Unterschiede gibt, welcher Aspekt dieses lebensfeindlichen Miteinanders stärker, welcher schwächer entwickelt ist:
Dämonen
Solange dieses System so halbwegs (bei uns!, in der globalen Peripherie war dies sowieso nie der Fall) funktioniert hat, war es möglich, „Dämonen“ der jüngsten Vergangenheit klein zu halten. Nun aber, mit dem drohenden Auseinanderbrechen dieses Systems, das wir als naturgegeben betrachten, treten Abwehrmechanismen auf. Z.B. Antisemitismus: Die immer schon vorhandenen Widersprüche werden in äußere Mächte hineinhalluziniert, in eine Verschwörung der Multis, der herrschenden Klasse, … Auch ich habe lange in diesen Kategorien gedacht. Stutzig bin ich erst geworden, als andere auch mit diesen Bildern dahergekommen sind und diese dann weiter gedacht haben: mit den Zirkeln, in denen die Herren der Multis drinnen sitzen, mit der Ostküste, … Andere Abwehrmechanismen: Die so heiß verteidigte Konkurrenz führt zum Rassismus, die alltägliche Gewalt des Systems wird hineinprojiziert in einzelne Migrantengruppen, das tägliche Leid entfremdeter Erwerbsarbeit wird hineinprojiziert in die Minderleister und die „faulen Zigeuner“ … Was tun? Perspektiven? 1. Das, was ich gesagt habe, ist überhaupt nicht neu. Das spüren viele Menschen, auch wenn der Austausch etwa über den ungeheuren Druck, der auf uns allen lastet, kaum erfolgt. Und um genau das geht es: Räume des Austauschs, des gegenseitigen Helfens, des Innehaltens zu nutzen, zu erhalten, zu schaffen. Das können Kirchen sein, Stammtische, Aktionen wie „Am Krisenherd …“, es gibt vereinzelt Gemeinschaftsgärten … 2. Wir leben und erleben tagtäglich auch eine andere Praxis, die wir ins Bewusstsein holen müssen und die wir natürlich auch kritisch anschauen müssen: In der Familie, ja auch am Arbeitsplatz. Wenn wir alle nur so funktionieren würden, wie uns das System vorgibt, ginge nichts mehr. Auch im gesellschaftspolitischen Bereich gilt es Vieles zu erhalten, was die Logik des Systems erst erträglich gemacht hat, z.B. die öffentlichen Krankenkassen, … 3. Letztlich kommen wir aber, das ist meine Überzeugung, nicht darum herum, das Bestehende sehr grundsätzlich zu hinterfragen („Kritik“) und eine Form des lebensbejahenden Wirtschaftens neu zu entwickeln. Ansätze gibt es in der Idee der Solidarökonomie … 4. Bei all dem brauchen wir aber viel Geduld mit unseren Mitmenschen und uns selbst, denn das, was da entstanden ist und was uns beherrscht, ist so tiefgreifend und umfassend, weil da nicht einfach etwas Äußeres ist, gegen das wir uns wenden können. Ich möchte dies am Beispiel der Gerechtigkeit, eines so positiv besetzten Begriffes, zeigen: Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus 20) ist ein Plädoyer gegen Äquivalententausch – eher für „jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen". Ein Lob also der Ungerechtigkeit.
Mario Sedlak, 2009-10-19, Nr. 4667 Du hast interessante Gedanken, aber mir ist völlig unklar, wie man "eine Form des lebensbejahenden Wirtschaftens" (Solidarökonomie?) in die Praxis umsetzen könnte.
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