2008-10-20
Kind.Tot
Hinter dem Vorhang aus dem Fenster schauen. In das Dorf.
„In diesem Haus atmet man nicht. In diesem Haus lebt man nicht. In diesem Haus hat nie einer gelebt.“
Ich höre den Schrei. Es ist die Sau, die abgestochen wird. Zuerst fährt das Messer in den Hals, das Blut rinnt in ein Schaff. In der Zinkwanne wird der Kadaver mit heißem Wasser überbrüht und die Borsten werden abgeschabt. Dann hängt sie mit gespreizten Beinen und mit dem Kopf nach unten, der Fleischer Franz schneidet den Bauch auf, die Innereien fallen in den Schnee.
Vom Platz herauf hallen aufgeregte Stimmen. Beim Rattner steht die Tenntür sperrangelweit offen. Im Tenn stehen einige Leute und reden. Ein Mann geht in das Haus. Nach ein paar Minuten stürzt eine Frau aus dem Haus. Sie schreit. Sie läuft über den Hof, in die Tenne hinauf.
„Wo is da Bua?“
Dann ist es still. Lange Zeit still.
Jemand klopft an unsere Haustür und verlangt nach dem Vater.
„Schnell. Es is wos Schlimmes passiat. Da Rattna Helmut henkt in Tenn. Oba daschreckns Ihnan nit.“
„Habt´s schon die Gendarmerie angerufen und den Doktor?“
Als der Vater auf den Tenn tritt, packt ihn das Grausen.
„Es ist viel schlimmer gewesen als damals, als sie nach wochenlanger Suche den Maurer Gustl gefunden haben. Der schon verwest war. Wo nur mehr das halbe Gesicht zu sehen war. Ganze Fliegenschwärme sind aufgeflogen und haben sich wieder auf dem stinkenden Leichnam niedergelassen.“
Der Vater ist erstarrt. Vor ihm hängt der nackte Leichnam eines Kindes, fachgerecht aufgeschnitten und ausgenommen wie ein Schwein. In einer Emailschüssel daneben liegen die Innereien.
Später als der Gendarm aus dem Tal heraufkommt und der Doktor den Tod amtlich feststellen muss, wird der Kadaver vom Helmut von den Fleischerhaken heruntergehoben und auf den Tennboden gelegt und mit einer Rossdecke zugedeckt. Da muss er liegen bleiben bis der Kriminalinspektor aus Villach kommt und die Sache untersucht hat.
Am Platz ist es still. Die Leute reden nicht. Ab und zu fährt ein Motorrad vorbei, in den Graben hinein, von der Frühschicht nach Hause. Der Fahrer wundert sich, dass so viele Autos auf dem Platz stehen. Beim Rattner werden Türen aufgerissen und zugeschlagen.
„Irgendjemand hat heute Nacht das Kind regelrecht geschlachtet“, sagt der Arzt, „ausbluten lassen und ausgenommen wie ein Sau.“
„Auf der Tenn sicher nicht“, sagt der Inspektor, „da ist kein Tropfen Blut zu sehen. Irgendwo, vielleicht in einem Keller hat wer das Kind aufgschlitzt und verarbeitet. Vielleicht find´ ma noch a Spua im Schnee. I frag´ mi nua, wieso hängt er dann das Kind im Tenn auf? Ein Irrer.“
„Vorsicht! Da bin ich mir nicht so sicher. Dafür schaut alles ein wenig zu sauber und zu geplant aus.“
„Gibt´s einen Missbrauch?“
„Das wird ma nach der Obduktion wissen, wenn überhaupt. Das Fleisch ist ja hergerichtet wie zum Verkauf. Grad dass nicht noch ein Preisschild dranhängt. Aber ausgeschlossen ist gar nichts.“
Bevor der Arzt geht, redet noch der Vater mit ihm und bittet ihn, ob er nicht bei der Mutter von dem Kind vorbeischauen und ihr etwas geben kann.
„Meinetwegen“, sagt der Doktor, „etwas zur Beruhigung. Aber es wäre besser gewesen, sie hätte auf das Kind aufgepasst.“
Im Winter wird es um halb Fünf finster. Beim Zlanig brennt die Hoflampe. Der Hansi geht in den Stall. Der Rattner Tenn ist hell erleuchtet, als würden sie einen Film drehen. Um Fünf fängt es an zu schneien.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Axel Karner