2008-02-02
Welche Zukunft machen wir? - Eine kurze Replik
Als interessierter Teilnehmer komme ich mich gerne dem Wunsch der Initiatoren nach, zum Wesen des Global Marshall Plans bzw. zur Tagung an sich einige persönliche Anmerkungen anzubringen:
Eines vorweg: Das folgende kurze Statement versucht nicht so sehr die ökonomisch - politische Dimension des GMP zu beleuchten ( das lässt sich besser bei ATTAC oder in den „Streifzügen“ nachlesen), sondern stellt (einigermaßen ungeschützt) eher die persönliche Perspektive – oder nennen wir es beim Namen: die persönlichen Zweifel – über den Stellenwert unseres politischen Handelns in den Vordergrund.
Ein erster Blick auf die GMP-Initiative fordert Tribut an die bürgerliche Etikette a la Elmayer: Es ist aber mehr als ein Akt der Höflichkeit, den GMP als eine nicht nur gut gemeinte sondern auch äußerst spitzfindige Initiative einiger weltoffener Menschen anzuerkennen. Zudem ist F.J. Radermacher ein begnadetes Organisationstalent mit beachtlichem strategischen Weitblick, was sich allein an der elendslangen Liste der Unterstützungserklärungen von Einzelpersonen (darunter auch meine!) und Organisationen bzw. Institutionen (darunter auch das Land Kärnten [!] oder die UNI Klagenfurt) ablesen lässt. Die Respektsbezeugung stammt aus persönlichen Begegnungen mit ihm, sowohl im Umfeld des IKN (Institut für Kulturelle Nachhaltigkeit) als auch anlässlich der jährlichen Tagungen des Uni Clubs auf der Abazzia di Rossazzo – ein zugegebenermaßen etwas elitär ausgerichtetes Dialogforum mit dessen ungeachtet tief greifenden und kritischen Diskussionsprozessen.
Die einladende Seite am GMP ist sein unmissverständlicher Hinweis, dass mit dem Kapitalismus etwas nicht stimmt. Und dieser Grundtenor in Form einer ausgewiesenen Neoliberalismus-Kritik findet immerhin einsichtige Adressaten bis hin in höchste Kreise von Politik und Wirtschaft, von denen eigentlich die Annahme gilt, sie wären grundsätzlich resistent gegen jedwede Erschütterung ihres kapitalistischen Credos. Relativ laut wird auch über die potentielle Rückeroberung des Primats der Politik über die Ökonomie nachgedacht, ein Vorgang, dem in seiner Tendenz ebenso Anerkennung zu zollen ist. Dasselbe gilt grundsätzlich für die Stoßrichtungen „Ökologie“ und „Soziales“ – wenngleich deren Pragmatik – soviel vorweg - einer genauen Prüfung nicht standhält.
Womit wir bei jenen Merkmalen angelangt sind, deren Vorhandensein die Zweifel an dieser Initiative die offensichtlich positiv angelegte Grundthematik zu übersteigen beginnen lassen. Ausgehend von einem postkolonialen Gestus, der sich auch sprachlich durchs Programm zieht, begreift sich dieser Neuvorschlag für die globale Zukunft als durch und durch ökonomistisch und hegemonial, als idealtypisch eurozentristische Kopfgeburt, deren „westliche Essenz“ sich durch alle Programmpunkte zieht und der von seinem Charakter her so ziemlich genau das Gegenteil von dem ist, was unsereins als jene Tendenz empfindet, die sich sozusagen als letzter Rettungsanker vor der Katastrophe aufdrängen würde: kollektiv emanzipatorisch! (An dieser Stelle sei übrigens angemerkt, dass selbst Geistesgrößen wie Marx gegen hegemoniales und koloniales Gedankengut nicht immun waren – vgl. seine Ausführungen zur britischen Herrschaft in Indien: MEW, Bd. 9, 220 ff. – wenngleich er wie kein anderer vor und nach ihm den Keim der menschlichen Emanzipation in die Welt gesetzt hat.)
Auch die Intentionen der Initiative des Ökosozialen Forums sind tief im kapitalistischen Weltverständnis eingebettet, wenngleich Marktfundamentalismen erfreulich scharf kritisiert werden. Das entlarvende Credo ihres aktuellen Vorsitzenden, Franz Fischler, lautet: Ökologie muss ökonomischer werden. Damit verschärft er jene ohnehin bereits kritikwürdige Haltung seines Vorgängers, Josef Riegler, dessen Nachhaltigkeitsverständnis sich problemlos in die Welt von Raiffeisen International und der Amtskirche einbetten lässt, was einerseits auf fehlende politische Schärfe schließen und andererseits allzu große Bereitschaft zu konservativer Systemstützung erkennen lässt: Nicht anders ist es zu erklären, dass sich die Initiative neuerdings (anlässlich einer Tagung vom 21.1.2008 in Wien) sogar für die Einführung einer Devisentransaktionssteuer zu Gunsten einer neuen EU-Finanzierung funktionalisieren lässt, statt den ursprünglich im Zuge der Tobin-Tax-Diskussion einhellig vertretenen Vorschlag weiterzuverfolgen, das damit vereinnahmte Geld für Entwicklungsprojekte zu widmen. Schließlich erweist sich die prononcierte Wachstumsideologie des Projekts als ebenso kritikwürdig wie dessen top-down-Strategie, sodass sich schlussendlich und insgesamt der Eindruck aufdrängt, der Global Marshall Plan und das Ökosoziale Forum fungierten in einer historisch ähnlich unglücklichen Art wie weiland die Sozialdemokratie, der es bis heute nicht bewusst zu sein scheint, dass der Preis für ihr großartiges „Sozialprojekt“ die bedingungslose Anerkennung des bürgerlichen kapitalistischen Weltbildes war, eine – wie es post festum den Anschein hat – an Tragik schwer überbietbare historischer Fehlentscheidung!
Wie angekündigt, soll in diesem kurzen persönlichen Statement jedoch nicht die politische Analyse im Vordergrund stehen: Mein Interesse gilt an dieser Stelle vielmehr der Frage, wie man sich dem Tagungsmotto „Welche Zukunft machen wir?“ als generelle gesellschaftliche Aufgabe annähern kann: Worin besteht das Essentielle dieser Aufgabe? Etwa in der Entscheidung über Pro und Kontra des GMP? Vielleicht im analytischen Vergleich seiner Programmatik etwa mit jener des ÖIE oder gar des Kärnöl-Wesirs? So wichtig kritische Programmatik-Diskussionen, so erforderlich gesellschaftspolitische Strategien sein mögen, so nützlich sich Modelldiskussionen für die Zukunftsgestaltung erweisen mögen, es werden primär nicht Inhalte im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Frage, wodurch und inwieweit sich Prozesse der kollektiven Selbstvergewisserung initiieren lassen, wie es gelingt, die Betroffenen dazu zu bewegen, sich über ihr eigenes Schicksal und über jenes der Welt Klarheit zu verschaffen und gesellschaftliche Zukunftsverantwortung zu übernehmen. Der zentrale Moment, den es dabei zu überwinden gilt, ist jene Macht, die bisweilen als die gefährlichste enttarnt wird: Die Macht der Gewohnheit. Die allseits internalisierten Verhältnisse in Frage zu stellen, unsere Selbstverständlichkeit einer Hinterfragung preiszugeben, jene Gedanken ausfindig zu machen, die uns eigentlich und wirklich bewegen, jenes Feld zu eröffnen, das uns erlaubt realiter über die Frage nachzudenken, was wir denn überhaupt wollen, all das gilt es an die Oberfläche zu bringen. Sehen wir den Fortgang der Welt ebenso wie die Anhebung unseres Bewusstseins als einen (kollektiven Emanzipations)Prozess, so steht die Aufgabe im Zentrum, solche Diskurse zu etablieren, solche Diskussionsprozesse zu organisieren, um schließlich nicht nur die Essentialien menschlichen Selbstverständnisses zu ergründen, sondern diese in einen kollektiven Emanzipationsprozess einzubringen, dessen zentraler Moment die größtmögliche Teilhabe aller Betroffenen darstellt. Diese Vorstellung versteht sich – übrigens fern aller wissenschaftlichen Expertensicht bzw. -hörigkeit – als Versuch, innerhalb der Zivilisation so etwas wie einen Kulturwandel herbeizuführen.
So gesehen versteht sich sowohl der GMP-Prozess als auch die Aktivität seiner Gegner als fruchttragendes Fundament einer zivilgesellschaftlichen Bewegung, die sich der Verantwortung für die Zukunft unserer Welt verschrieben hat.
Innerhalb dieser Bewegungen sehe ich – um entgegen der obigen Beteuerungen schlussendlich doch in aller Kürze inhaltlich Stellung zu beziehen – persönlich dort die stärkste Hoffnung, wo sich Gedanken und Haltungen mit einem Aufbruch in eine nachbürgerliche Welt anzufreunden beginnen.
Im Übrigen bin auch ich der Meinung, dass Kärnöl durch nichts ersetzt werden kann!
St. Oswald im Rosental, am 31.1.2008