2008-07-09
Mein Gott, Werner!
Eine Reaktion von WALTHER SCHÜTZ auf Wir brauchen „Europtimismus“ von Werner Wintersteiner
Da du mich ja kennst, brauche ich aus meiner grundsätzlichen EU-Gegnerschaft kein Hehl zu machen. Sie entspringt aus einer ebenso grundsätzlichen Kapitalismuskritik, von der aus gesehen die EU ja strukturell nichts anderes sein kann als dessen staatliche Verwaltung und der sich rasch zuspitzenden Widersprüche des – wie schreibst du doch: „Wohlstandsmodells“.
Bei dir ist das ja anders, du bist ja fest überzeugt von der konstruktiven Ausgestaltung und Ausgestaltbarkeit der Verhältnisse. Und tatsächlich - wenn man auf der phänomenologischen Ebene verbleibt, so hat dieser Kontinent einige vergleichsweise friedliche Jahrzehnte hinter sich.
Aber so einfach kann man sich es indes nicht machen, man muss schon auf die Dynamiken, auf Ursachen, Entwicklungstendenzen etc. schauen. Das brauche ich dir als Friedensforscher nicht zu sagen, hier nur zur Erinnerung: Die „disziplinierende Wirkung“ des Kalten Krieges / der Blockkonfrontation; die lange Aufschwungphase des ölgetriebenen Fordismus, die verlockenden Perspektive einer nachholenden Modernisierung und damit Befriedung (welch ein grausiges Wort) an der Peripherie ...
Und schaut man SO auf die Gegenwart und die zukünftigen Entwicklungen, ist unschwer zu erkennen, dass diese Sonderfaktoren weg sind. Entsprechend die Reaktion auf der Ebene von Staatlichkeit in ihren verschiedenen Facetten: Massive Tendenzen zur Zusammenführung der bisherigen nationalen Streitkräfte zu einer modernisierten, gemeinsamen EU-Streitmacht (von wegen "Projekt Friedensmacht Europa"), Durchsetzung eines alle Sphären umfassenden Konkurrenzmodells im Inneren (von wegen Sozialstaat Europa. So ziemlich das einzige, was die EU in dieser Hinsicht geleistet hat, ist, Diskriminierungen im allumfassenden Kampf eines jeden gegen jeden abzubauen = Fairness), Pushen des Weltwirtschaftskrieges nach Außen (so ist die EU bei den WTO-Verhandlungen alles andere als ein Garant für eine humanere Ausgestaltung der Weltwirtschaft) ... All dies gerinnt in den Lissabon-Zielen, wonach die "Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt" werden solle, de facto einer wirtschaftlichen Kriegserklärung an den Rest der Welt.
So wenig der alte Nationalstaat irgendwelche (ohnehin nicht harmonischen) Zustände bewahren kann, genausowenig ist es die EU (von der du immer wieder zwischendurch als „Europa“ schreibst), die ein zukunftsfähiges Modell bringen wird: Jegliche staatliche Politik wird auf Teufel komm raus zuallererst einmal die Akkumulationsdynamik des Kapitalismus garantieren müssen. Die EU ist dazu nur das entsprechend modernisierte Instrument, die Fortsetzung nationalstaatlicher Politik mit anderen Mitteln. Das ist eine gefährliche Drohung!
Werner, du hast recht: Die Österreich-Brille zu tragen ist falsch. Genauso falsch ist aber deren Ersetzung durch eine EU-Brille. Was wir brauchen ist eine grundlegende Diskussion über unsere Zukunft. Und nun komm ich zum Anlass deines Artikels: Dem von dir sogenannten „europapolitischen Umfaller der SPÖ". Ich hätte mir von dir als kritischen EU-Befürworter erwartet, dass du zwar die Motive der SPÖ geißelst (in die Knie gehen vor der „Krone" etc.), aber die Chance betonst, die sich daraus für einen EU-/Europa-Diskurs ergibt und dass nur eine solche Vorgangsweise demokratiepolitisch überhaupt vertretbar sei. Und da hätte ich mich mit dir treffen können. So aber hast du in einer meines Erachtens völlig unangebrachten Weise zu einer EU-Verteidigung ausgeholt, die mich als EU-Gegner in einem eigenartigen Sinn schon wieder optimistisch stimmt: „Der Kaiser ist nackt!" Und das darf man nicht aussprechen. Demokratie nach Art des gemeinsamen Hauses Europa. Statt dessen ist das grausig Lied von der EU als "Projekt Friedensmacht“ angesagt.
P.S. Zur Position der SPÖ: Es handelt sich NICHT um einen europapolitischen Umfaller. Dies ist als schlichte Tatsache festzuhalten. So steht die SPÖ nach wie vor zum Vertrag von Lissabon – leider!
Fortsetzung der Debatte:
Werner Wintersteiner Mein Gott, Walther!
worauf Walther Schütz kontert mit Sand ins Getriebe statt Öl!