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2008-07-14 Die Wachstumsskepsis der Lemminge Ein Freitag, der 13. (Juni 2008), führte eine Runde engagierter Personen zusammen, die sich im Gasthof Kasino in Villach Gedanken über den Widerspruch zwischen Wachstum und Umwelt machten. Dies war die zweite Vorveranstaltung zur heurigen Entwicklungstagung. Ob Armutsbekämpfung oder Arbeitsmarktpolitik, ökologischer Umbau oder Entwicklungszusammenarbeit - all diese politischen Ansätze haben eines gemeinsam: Sie setzen offen oder unausgesprochen Wirtschaftswachstum voraus. Quer durch alle Parteien und auch die meisten NGOs, selbst aus dem Umweltbereich. Warum ist das so? Ist ein Wirtschaften ohne Wachstum denkbar? De facto, so wurde im Zuge dieses Abends festgestellt, hat keiner der Anwesenden eine Periode ohne Wachstum erlebt. Die letzte große Krise, die zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung auf breit fühlbarer Ebene führte, war der Zusammenbruch des NS-Regimes 1945. Seit dem "Wiederaufbau" geht es, bis auf kurze Unterbrechungen wie den Krisen 1974/5 und 1980/82, aufwärts mit dem Wirtschaftswachstum und so ist es schwer, abseits der Wachstums-Logik zu denken. Gesellschaftliche Naturverhältnisse Den Abend begann ich selbst mit einer Einführung in die Fragestellung. Die Umweltfrage beschäftigt nicht erst, seit sich die Klimakatastrophe bemerkbar macht. 1972 wurde vom Club of Rome der Bericht zu dem "Grenzen des Wachstums" publiziert. Was seit damals selten thematisiert wurde, ist, dass die Umweltfrage mit der Art und Weise zu tun hat, welches Verhältnis die Gesellschaft zur Natur einnimmt und was sie als Natur definiert. Man spricht vom "gesellschaftlichen Naturverhältnis", über das in diesem Zusammenhang nachgedacht werden muss. Das gesellschaftliche Naturverhältnis ist per se mit der jeweils herrschenden Produktionsweise verbunden. Die liberale Marktökonomie, in der wir leben, basiert auf der Ausbeutung von fossilen Rohstoffen zur Energieerzeugung. Die Umweltkrise, die wir heute erleben, kann nur bewältigt werden, wenn die Produktionsweise selbst davon berührt wird. Allerdings tendiert der gesellschaftliche Diskurs dazu, Lösungen auf einer anderen Ebene zu suchen: Das Ignorieren der Problemlage ist die dominanteste Form. Große Fußballevents helfen wirksam dabei, alles zu vergessen, was rund um die Klimakonferenz in Bali im Herbst 2007 auch in österreichischen Medien breit diskutiert wurde. Die im politischen Mainstream dominierende Strategie ist es, auf die Lösungsmechanismen des Marktes zu vertrauen bzw. von politischer Seite Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem Markt eine Lösung ermöglichen. So wurde im Anschluss an die Kyoto-Konferenz ein Markt mit CO2-Emissionszertifikaten geschaffen, in den die politische Hoffnung gesetzt wird, durch Verteuerung der Emissionen diese zu reduzieren. Dem Modell ist eine Lösung bislang nicht gelungen; gerade Österreich versagt besonders großzügig gegenüber den eigenen Klimazielen. Aus entwicklungspolitischer Sicht gibt es aber noch eine andere bedeutsame Strategie, die man durchwegs als zynisch bezeichnen kann: Ein Teil der Welt wird so arm gehalten, dass die Menschen dort die ökologische Belastungen des reichen Teiles der Erde kompensieren. Aus diesem Grund spielt die Entwicklung der Unterentwicklung auch für das Weltklima eine nicht unwichtige Rolle. Doch auch diese Strategie ist, mit Blick auf die großen Wachstumsprozesse in China, Indien und Brasilien, nicht mehr länger wirksam. Wachstum ist gleichzeitig eine große Lösung für Weltprobleme als auch Quelle neuer großer Probleme. Die Krise nach dem Peak-Oil Wachstum war deshalb der Knotenpunkt der Reflexionen des Ökologen und freien Publizisten Andreas Exners, der anschließend die Widersprüchlichkeit der Weltentwicklung illustrierte. Ein Kernargument seiner Ausführungen stellte der Peak-Oil dar, das Ölfördermaximum, jener Punkt also, an dem die geförderte Ölmenge nicht mehr steigt, sondern nach und nach zurückgeht. Berechnungen ergeben, dass 2010 mit dem Peak-Oil zu rechnen sei. Die Produktionsmenge tendiere bereits jetzt zur Stagnation, die Zeit der großen Ölfunde sei vorüber. Gleichzeitig zeichne sich nicht ab, dass alternative Formen der Energiegewinnung Erdöl als Energiequelle abzulösen imstande seien. 13,1% des weltweiten Energieverbrauches stammen aus erneuerbarer Quelle, davon seien 10,6% festes Brennholz. Während Energie aus Wasserkraft mit 2,2% noch wahrnehmbar sei, könne man bei Anteilen von 0,064% für Wind-, 0,039% für Sonnenenergie und 0,414% für Geothermie nicht davon sprechen, dass es sich um quantitativ relevante Energiequellen handle.
Die Ablösung des Erdöls durch erneuerbare Energiequellen stoße an Grenzen. Agrosprit brauche zuviel Flächen und habe eine schlechte Energiebilanz, der Wind wehe nun einmal unregelmäßig und sei nicht speicherbar; die Nutzung der Sonnenenergie sei zu teuer. Ebenso problematisch sei die Strategie, auf Effizienzsteigerung zu setzen, da sich diese nicht ausreichend steigern lassen. Erfahrungsgemäß werden Effizienzgewinne durch Mehrverbrauch "aufgefressen", so Exner. Andreas Exners Perspektive fiel pessimistisch aus: Bei weiter steigendem Ölpreis sei früher oder später mit einer großen Wirtschaftskrise, einem phänomenalen Einbruch der Wirtschaftsleistung zu rechnen. Ohne Wachstum käme ja auch die bestehende Geldwirtschaft unter Druck, da das Wachstumsbedürfnis der Ökonomie nicht mehr befriedigt werden könne. Die Wachstumswirtschaft, so Exners Fazit, werde früher oder später enden.
Perspektive: relativ chaotisch Was könnte getan werden, um dies zu verhindern? Der, zumindest theoretisch denkbare, Übergang zu anderen Quellen der Energie und zu einer weit höheren Energieeffizienz brauche einen längeren Übergang und hohe Investitionen. Diese sehe er derzeit aber nicht, so Exner. Die Zukunft werde relativ chaotisch werden. Damit meine er, dass niemand voraussagen könne, ob es dadurch zu Kriegen, Diktaturen oder demokratischen Lösungen kommen werde. Die Situation sei historisch offen. In der anschließenden Diskussion wurde darüber spekuliert, welche politische Entwicklung im Falle einer solchen Krise zu erwarten sei. Wichtig wäre, so Exner, dass die Zivilgesellschaft darauf hinwirke, Krieg keine Legitimität zu geben. Sind wir Lemminge, die gemeinsam ins Unglück stürzen oder ist eine wirksame, breit getragene politische Antwort möglich, die vor dem Schlimmsten bewahre? Um auch etwas Optimismus aufkommen zu lassen, wurde Immanuel Wallersteins Büchlein "Utopistik" in Erinnerung gerufen, in dem dieser trotz aller pessimistisch machenden Anzeichen dazu aufrufe, gemeinsam am Projekt einer neue, postkapitalistischen Ökonomie zu arbeiten. Die Veranstaltung wurde veranstaltet vom ÖIE-Kärnten / Bündnis für Eine Welt und dem Paulo Freire Zentrum in Kooperation mit Kulturinitiative kärnöl, SOL (Menschen für Solidarität, Ökologie und Lebensstil) und dem Klimabündnis Kärnten. Quelle: www.paulofreirezentrum.at Forführung der Diskussion:
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