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2008-07-16 Woher kommt die Entwicklungsbegeisterung der Lemminge? Wachstum, Entwicklung, Nachhaltigkeit und andere Zwänge In seinem Beitrag Die Wachstumsskepsis der Lemminge hat Gerald Faschingeder zusammengefasst, was eine der Hauptaussagen von Andreas Exner bei der Veranstaltung „Aufbruchstimmung unter Lemmingen" war: Je später der Übergang von einer von fossiler Energie abhängigen, wachstumsgetriebenen Gesellschaft zu einer auf erneuerbaren Ressourcen beruhenden Gesellschaft jenseits des Wachstumswahns erfolgt, desto verheerender die Konsequenzen. Ich möchte hier auf einen weiteren, von Andreas Exner angesprochenen Aspekt, eingehen: Sowohl der Mainstream wie AUCH die meisten seiner Kritiker/innen mit ihren „gut-meschlichen" Ansprüchen sind explizit oder implizit auf Wachstum fixiert:
Daran knüpfen sich Fragen an wie: Was ist es, was uns alle so umtriebig in der Auseinandersetzung um die kleinen Unterschiede und in der Realisierung des großen Konsenses macht? Warum können wir gar nicht hinterfragen, dass die Verknüpfung von Gutgehen und Wirtschaftswachstum so verheerend ist? Was ist dran an Entwicklung, dass wir uns da alles mögliche darunter hineindefinieren können, dem Prinzip, dass da was entwickelt werden müsse, nicht abhold sein können und das dann wie das „Amen im Gebet" doch nur eine Version von Modernisierung herauskommt, wie uns zur Zeit der Staatspräsident Lula im Mutterland der Befreiungspädagogik vorexerziert und dabei DIE Realdefinition des Entwicklungsbegriffs abliefert und idealistischen Entwicklungsphantasien einen vor den Latz knallt? Liegt's daran, dass der Lula mit seiner Forcierung von Agrotreibstoffen nur einer von denen ist, auf die der giftige Demoslogan zutrifft: „Wer hat uns verraten? ... Sozialdemokraten!" Sollte es so billig sein? Warum ist die folgende Charakterisierung von „Nachhaltigkeit" nur so verdammt zutreffend: Nicht die Welt zu erhalten, ist das Ziel, sondern die Welt, wie sie ist, zu erhalten. Das ist freilich ein Unterschied ums Ganze. „Nur wenn, was ist, sich ändern lässt, ist das, was ist, nicht alles." Auf welcher Ebene ist das Problem angesiedelt?
1) Grundbedingungen des Kapitalismus Marktwirtschaft bzw. Kapitalismus ohne Kapitalwachstum und damit Wirtschaftswachstum ist nicht möglich. Genau das sagen ja auch die Befürworter/innen dieses Systems: Es bringe den Warenreichtum hervor, indem es auf den Eigennutz der Einzelnen (erzwungen durch die Konkurrenz) setze. Und indem die Egoismen der Einzelnen durch die "invisible hand" des Marktes gebündelt würden, entstünde so kurioserweise der „Reichtum" der Nationen. Umgekehrt: Marktwirtschaft bzw. Kapitalismus ohne Wirtschaftswachstum bedeutet Wirtschaftskrise. Diese akkumulierten Kapitalmassen brauchen immer neue Anlagesphären, widrigenfalls der Wirtschaftskreislauf ins Stocken gerät. Andreas Exner hat das anschaulich dargestellt: Es ist die innere Funktionsweise des Kapitalismus, der aus sich selbst heraus zum Ende der sogenannten (und oft verklärten) sozialen Marktwirtschaft geführt hat. Man muss man sich dazu den zentralen Punkt vor Augen halten, der ein System der „Warenproduktion“ kennzeichnet: Der Wachstumsdrang. Gegenüber vorkapitalistischen Formen des Wirtschaftens ist die „schöne Maschine“ (= der Kapitalismus) gekennzeichnet durch eine Motivverschiebung von der Bedürfnisbefriedigung hin zur Profitrate „Geld – Waren – noch mehr Geld“ (kurz: G-W-G’). Das ist in seiner Abstraktheit der einzige Zweck des Kapitals. Irgendwas für das Leben Sinnvolles zu produzieren ist nur ein Mittel zum Zweck! 2) Den Tiger reiten? Ökosoziale Lösungskonzepte (ich nenne hier exemplarisch den Global Marshall Plan, das Folgende gilt aber genau so für andere Verbesserungskonzepte) wollen durch starke bzw. zu stärkende staatsförmige Strukturen (Nationalstaaten, Großgebilde wie die EU, die WTO, …) der Marktwirtschaft einen lenkenden Rahmen verpassen, der eine „ökosoziale Marktwirtschaft“ erzwingt. IM DETAIL könnten dadurch tatsächlich gegenüber einer rein neoliberalen Regulierung ökologischere und sozialere Lösungen produziert werden. So kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass zumindest technische Effizienzlösungen rascher durchgesetzt werden, im Standortwettkampf durch Minimalstandards zumindest sowas wie ein unterstes Niveau definiert wird (Zulassung von Gewerkschaften, …) etc. Gleichzeitig aber bedeuten solche Konzepte per Definition [!], dass der „starke Rahmengeber“ Staat, EU, WTO … seinerseits sich einem übergeordneten Rahmen beugt, nämlich den Strukturen der „Marktwirtschaft“ (also des Kapitalismus) mit dem in Punkt 1 genannten Wachstumsparadigma und dem Zwang zur Schaffung immer neuer Anlagesphären. 3) Kein Verrat, sondern Konsequenz Daher ist es kein Widerspruch, sondern nur konsequent, wenn etwa die Global Marshall Plan-Initiative auf Wirtschaftswachstum setzt – dies unter Inkaufnahme der langfristig verheerenden ökologischen Konsequenzen. Gleiches gilt für die soziale Dimension einer ökosozialen Marktwirtschaft: Es wird eben nicht umverteilt, sondern die Investitionsströme werden stärker in die Dritte Welt umgelenkt (bis auf winzige Prozentsätze durch Tobin-Tax, die man, wenn man unbedingt will, als „Umverteilung“ bezeichnen kann). Das Soziale daran ist nach der Auffassung dieser Konzepte, dass die Menschen dann durch die anspringende Wirtschaftsentwicklung zu Geldeinkommen kommen. Ob mit dieser Monetarisierung der Lebenszusammenhänge nicht teilweise die sozialen Probleme verschärft werden, sei in diesem Zusammenhang dahingestellt! Zwischenresümee Was oft als Widersprüche in der Global Marshall Plan-Initiative zu deren eigenen ökosozialen Ansprüchen, als Missbrauch einer eigentlich guten Idee etc. interpretiert werden, sind so gesehen gar keine, sondern nur Konsequenzen ihres Bezuges auf den Kapitalismus: Das Eintreten für Gentechnik in der Landwirtschaft (Energiegewinnung), der Mangel an Äußerungen bezüglich einer soliden öffentlichen Daseinsvorsorge, die Ablehnung von Umverteilung … Sinngemäß gleiches gilt auch für alle anderen systemimmanenten „Lösungsansätze“: Die Beschränktheit des Blicks auf das jeweilig „Machbare“ innerhalb einer als unveränderbar definierten Gesellschaftsordnung verstellt die Sicht darauf, dass man sich mit den konkreten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in der Sackgasse befindet. „Nur nicht aufschauen!“, ist die Devise. 4) Machen „wir“ Zukunft? Unter den gegebenen Bedingungen sicher nicht, da geschieht Zukunft nur als Automatismus, der aus Wert mehr Wert erzwingt. DAS ist das eigentliche Subjekt! Demgegenüber ist das, was wir gemeinhin im Sinne der Aufklärung als den freien, mündigen Bürger / Bürgerin verstehen, eine Illusion. Seine Freiheit ist die „Einsicht in eine Notwendigkeit“, die quasi als Naturgesetzlichkeit gilt. Und diesen so vorgegebenen „Raum“ kann, ja soll man dann „eigenverantwortlich“ menschlich ausgestalten, kulturell behübschen oder was auch immer. So wie die Menschen auf den Osterinseln darin wetteiferten, den schöneren, größeren Moai aufzurichten – zum Wohle der zukünftigen Entwicklung, muss man anmerken! 5) Was tun? Sich über diese Gegebenheiten klar zu sein bedeutet noch lange nicht, vor diesen Realitäten zu kapitulieren oder diese nur passiv erleiden zu müssen. Anzusetzen ist auf den verschiedensten Ebenen:
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