2007-12-09
Der Tod ist nur ein Schlaf
„Im Friedhof in der Kirchenmauer sind die Steintafeln jener Toten eingelassen, die nur noch als klappernder Inhalt einer Blechbüchse aus dem Leben wiederkehren, in das sie als einfältige Helden mit Hurra eingetreten sind und die Brust der Eltern aufgetrieben haben wie den Wanst einer Kuh, ein Todesstich aber das ganze Elend und den Ekel austreten ließ aus der giftigen Blase ihrer zum Himmel stinkenden Dummheit. Das Hakenkreuz als Siegel ihrer Menschenverachtung haben sie bis heute nicht entfernt.“
Der Vater schickt die kleine Schwester zur Post. Das Pfarramt wurde benachrichtigt, ein eingeschriebenes und daher besonderes Paket sei hinterlegt, das man innerhalb einer Frist abzuholen habe.
„Das ist die Urne vom Konrad, der bei einer Schiffsexplosion ums Leben gekommen ist. Er ist als Matrose um die halbe Welt gefahren und kehrt jetzt als Asche zurück.“
Ungefähr vor einem Monat ist der Wirt zum Vater gekommen und hat gesagt, dass das Außenministerium aus Wien angerufen und gebeten hat, die Angehörigen vom tragischen Unglück zu verständigen.
Der Vater geht den Steig hinter dem Kastanienbaum bei der Kegelschnur hinunter auf die Retzen und redet der Mutter des Toten die Gewalt des Todes fort.
„Der Tod ist nur ein Schlaf.“
Später kommt mit der Sterbeurkunde die amtliche Bestätigung.
Die kleine Schwester fährt mit dem Fahrrad. Im Schuss rast sie den Berg hinunter ins untere Ende des Dorfes. Mit fliehenden Haaren erfüllt sie den Auftrag. Sie lehnt das Fahrrad an die Mauer des Posthauses und tritt in die Poststube.
„Da Vota schickt mi ums Packl“, sagt sie und legt die Benachrichtigung aufs Pult.
Die Postfrau holt unter ihrem Schreibtisch eine braune Schachtel hervor und gibt sie der kleinen Schwester.
„Tua schean aufpassn und loss es nit folln.“
Die Schwester klemmt die Schachtel auf den Gepäckträger und schiebt das Fahrrad vorsichtig den Berg hinauf. Auf den ebenen Strecken möchte sie gerne fahren, aber sie getraut sich nicht. „Bitte pietätvoll behandeln!“, steht mit fetten schwarzen Lettern auf einem weißen Aufkleber gedruckt.
Für den Konrad ist kein Platz mehr in der Kirchenmauer. Er wird in der Erde verscharrt.
mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Axel Karner: „Der Tod ist nur ein Schlaf“
aus: A. K., Das Gedächtnis der Ameisen. Erzählung. In: Michael Bünker, Karl W. Schwarz: Protestantismus und Literatur. (Ein kulturwissenschaftlicher Dialog. Evangelischer Presseverband, Wien 2007) S.701-740