Independent Carinthian Art & Cult | ||
Mon Oct 14 2024 10:41:28 CET |
|
2007-11-19 Wie die Mittel den Zweck heiligen sollen Über verquere Fronten in der derzeitigen Bildungsdiskussion
Zwei Zugänge? Die derzeitige Bildungsdiskussion kennzeichnen bekannte und unbekannte Tatsachen. Zunächst einmal zu den bekannten: Da gibt es das Lager derer, die wollen, dass alles beim Alten bleibt: Das Gymnasium fein säuberlich getrennt von der Hauptschule, frühzeitige Selektion, Leistung - wie es heißt - soll nicht verwässert werden durch eine Eintopfschule, usw. Soweit so schlecht, so bekannt. Bei aller Problematik von Schubladisierungen: Im Folgenden wird dieser pädagogische Zugang als „konventionell-autoritär“ bezeichnet. Auf der anderen Seite allerdings schaut die Lage bunter, um nicht zu sagen, verwirrender aus – zumindest beim genaueren Hinschauen. Auf den ersten Blick ist allerdings auch hier alles wie gewohnt: Da sind die „Fortschrittlichen“, die sind für die gemeinsame Schule der 10 - 14jährigen, die sind [zum Teil!, Anm. 5.3.2008] für eine umfassende Betreuung der Kinder, die sind für Chancengleichheit, Chancengerechtigkeit, die sind für Förderung, Individualisierung, ja sogar für die Abschaffung der Noten. All das, was in der Sprache der Gegenseite die Ideen der 68er und ihrer Nachfolger/innen sind. Eigene Erfahrungen mit „Reformen“ Doch der zweite Blick auf das Lager der Reformwilligen lässt einen – gelinde gesagt – erschaudern. Es wiederholt sich nämlich das, was wir bereits bei der Montessoripädagogik zur Kenntnis nehmen mussten: Die Tatsache nämlich, dass nicht jede Verbesserung des Schulsystems einem humanen Zweck dient. Es hat sich nämlich am Beispiel der Montessoripädagogik gezeigt, dass man so positive Dinge wie Abschaffung der Ziffernnoten, Freiarbeit, Demokratie in der Klasse, individuelle Förderung … aus verschiedenen Motiven betreiben kann. Dazu eine (mit Vorsicht zu verwendende) Typisierung nach diesen Motiven innerhalb des Lagers der „Fortschrittlichen“: Da gibt es das Engagement für eine humanistische Pädagogik aus emanzipatorischen Motiven heraus: „Bildung ist das Heraustreten des Menschen aus der Sphäre des bloßen Nutzens. Über Bildung gewinnt sich der Mensch selbst als freies Wesen und er erkennt – wie es der deutsche Erziehungswissenschafter Heinz-Joachim Heydorn einmal formuliert hat –, dass die Ketten, die ihm ins Fleisch schneiden, vom Menschen angelegt sind, und dass es somit auch möglich ist, sie zu sprengen.“ Oder zumindest soll im Sinne dieses Ansatzes den Kindern und Jugendlichen das Leben nicht schwerer gemacht werden, als es ohnehin schon ist und man soll ihnen mit Achtung begegnen. Als zweiten gibt es innerhalb des reformfreudigen Lagers einen anderen – zahlenmäßig sehr starken – Zugang. Dieser geht von folgendem Grundmotiv aus: Die Abschaffung der Ziffernnoten, die Freiarbeit, das Lernen in einer vorbereiteten Umgebung mit Materialien, freier wählbaren Arbeitsformen, das „Mit-allen-Sinnen-Lernen“ ... dient dazu, mit diesen humaneren Mitteln mehr aus den Jugendlichen herauszuholen. Wir nennen diesen Ansatz im Gegensatz zum klassischen Unterricht, den wir als konventionell-autoritär bezeichnen, den „modernistisch-autoritären". Beiden Zugängen geht es um das gleiche Ziel, nämlich die heranwachsende Generation zu fitten Humanressourcen für den Weltmarkt zu machen. Letztere sind zwar für scheinbar humanere Methoden, aber der Zweck ist – wie gesagt – derselbe, nämlich die Fitness in einem Wettkampf jeder gegen jeden. Nun könnte man die Meinung vertreten, dass das Ziel egal sei, die Hauptsache wäre doch, dass es den Kindern besser ginge. Die Erfahrung zeigt indes, dass der Zweck / die Grundorientierung eben nicht sekundär ist. Beispiel Ziffernnoten: Was heißt es schon, auf Ziffernnoten zu verzichten, wenn man gleichzeitig mit anderen Rangreihensystemen die Konkurrenz anheizt? Oder wenn die Freiarbeit nicht etwa zu mehr Selbstbestimmung oder gar Entspannung führen soll, sondern zu einem besseren Zeitmanagement? Die gesamtgesellschaftliche Reformdiskussion Zurück zur quasi staatsweiten, oder korrekter müsste man wohl sagen, EU-weiten „Bildungs"-Diskussion. Auch hier ist das Ziel die Wettbewerbsfähigkeit. Mehr aus den Kindern als Arbeitskräfte, mehr aus dem Standort im globalen Wettkampf herausholen, heißt die Devise, so bei Bundeskanzler Gusenbauer und auch der bekannten Pädagogin Enja Riegel, Mitglied der Expertenkommission: „Die Schulentwicklung in Österreich und in Deutschland ... entspricht nicht mehr dem, was man heutzutage braucht in Ländern, die keine Rohstoffe
haben, sondern in denen es um Kinder geht, die gut ausgebildet werden
müssen – und zwar alle." Jüngstes Highlight: Die Werbeschaltung des Bundesministeriums in der Kleinen Zeitung: Für „wissensorientierte Leistungsgesellschaften ... bedeutet [jedes nichtgeförderte begabte Kind] einen dramatischen Verlust und schwächt Österreichs Wettbewerbsfähigkeit international." Unter der Voraussetzung, dass man ein bisschen genauer hinsieht, erkennt man vergleichsweise leicht, dass es um mehr Druck, um mehr Herausholen geht. Zur Wirkungen des Einzugs des Marktes in die Bildung siehe
Bildung als Ware? I Marlies Krainz-Dürr, Rektorin der „neuen“ Pädagogischen Hochschule (vulgo PÄDAK), setzt voll auf die Konkurrenz, auch wenn sie es euphemistischer formuliert: Ein Punkt werde laut der Direktorin in der Kärntner Pädagogik jedoch vernachlässigt: die Autonomie einzelner Schulen. „Man weiß in den einzelnen Standorten am besten, was die Kinder aus den jeweiligen Einzugsgebieten am dringendsten brauchen.“ (Kleine Zeitung 9.11.2007, S.5) Schulen also als Einzelunternehmen, die am freien Markt auf Kundenfang gehen! Das hat in viel klarerer Weise ein Journalist auf den Punkt gebracht: „Lehrer haben es nicht leicht – ihre Kunden sind selten freiwillig vor Ort und trotzdem muss man ihnen ein Produkt verkaufen, das gemeinhin mit dem schönen Wort „Wissen" umschrieben wird ..." (Kleine Zeitung, Beilage Campus, Oktober 2007, S. 20) II Da passen die Forderungen der Schulreformkommission, der Industriellenvereinigung.... nach einem neuen Dienstrecht wie der Schlüssel zum Schloss: Wenn Direktor/innen zu warenverkaufenden Schulstandortmanager/innen werden, dann sollen sie sich auch das Personal aussuchen können wie es der Markt verlangt und wie es die Profilierung erfordert: „Die Personalhoheit für die Lehrer soll künftig an die Schulen verlagert werden", wie es so fein in der KTZ vom 15.11.07, S. 3 heißt. III Wirklich sehr weit zu gehen scheint die Forderung nach Abschaffung der Ziffernnoten. Sollte es doch Pläne zu einer massiven Verbesserung des Systems geben? Zu früh gefreut, denn gleichzeitig setzt man auf standardisierte Bildungsziele, die mittels schulübergreifender Tests abgeprüft werden sollen. Das mag zwar im ersten Moment für das einzelne Kind eine Erleichterung sein, wird aber insgesamt den Druck im System erhöhen, weil es die wenigen bisherigen Freiräume auch noch verschüttet. IV Erklärtes Ziel „Chancengerechtigkeit“ : Hier signalisiert bereits der Begriff den neoliberalen Trend. Denn während es in der alten Gesamtschulidee der 68er und der ihr vorangegangen Generationen darum gegangen ist, eine umfassende, wirkliche Menschenbildung für alle durchzusetzen, geht es heute eben um CHANCEN-Gerechtigkeit. Dies ist ein Begriff aus dem ideologischen Fundus der neuen Sozialdemokratie, der nichts anderes besagt, als dass im Wettkampf eines jeden gegen jeden, im allgemeinen Hauen und Stechen alle die gleichen Voraussetzungen haben sollen. Es geht eben nicht um die Abschaffung (oder zumindest Einschränkung) des Hauens und Stechens, sondern dass alle die gleichen Chancen haben sollen in der allumfassenden Konkurrenz. Das mag zwar im ersten Moment etwas gerechter sein, aber diese Gerechtigkeit hat einen hohen Preis: Die Lehre ist nämlich, dass das Hauen und Stechen an sich schon richtig wäre, wenn es nur „fair" ablaufen würde. Die alten Standesdünkel werden ersetzt durch einen sozialdarwinistischen Leistungsrassismus. (Zum Wandel der Sozialdemokratie vom Verteilungs- zum Chancengerechtigkeitsdiskurs siehe Birgit Mahnkopf Viele Wege führen ins 3. Jahrtausend V Und nochmals zum Ziel der gemeinsamen Schule der 10 - 14jährigen: Während die Schultypen aneinander angeglichen werden bzw. durch eine formell gleiche „Neue Mittelschule" ersetzt werden sollen, gibt es jedoch eine neue Aufgliederung – wie es beschönigend heißt – nach Schulprofilen. In Wirklichkeit bilden sich unter dem Schlagwort „Autonomie" einerseits neue Eliteschulen bis hin zu einem Privatschulwesen heraus, andererseits werden „Restschulen" übrig bleiben. Es wird so das Gegenteil einer gemeinsamen Schule herauskommen. Was hier zu entstehen droht, ist ein Schulsystem nach US-amerikanischem Vorbild. VI Begleitet wird das gesamte Programm von einer Walze von neuen Kontrollmechanismen und Einschränkungen wie z.B. dem Abbau von Methodenfreiheit, ... Selbst wenn man all die oben genannten Punkte ignoriert, dann stellt sich hier die Frage: Was ist das für eine „gute" Pädagogik, die nicht in einem Diskurs des Aufbruchs entsteht, sondern die von oben durchgedrückt werden muss? Begründet wird es oft so, dass man damit den paar sogenannten „Killerlehrer/innen" zu Leibe rücken könne, sicher aber ist nur Eines: Der Druck wird vor allem auf die Pädagog/innen erhöht, die nicht stromlinienförmig agieren. Vergessen sind die Lehren der Vergangenheit, wonach Errungenschaften wie Pragmatisierung und Methodenfreiheit auch zum Schutz VOR dem Staat , der in sich IMMER das Potenzial zur Repression trägt, eingeführt wurden. Perspektiven Hier wäre aber auch einer der Punkte, an dem eine emanzipatorische Wende ansetzen sollte: Es geht unmittelbar einmal um Schutz der Beteiligten, der Schüler/innen UND Lehrer/innen vor dem totalitären Zugriff, der Menschen zu Humanressourcen degradiert:
Soweit zum Programm von mehr Druck, mehr Druck, mehr Druck … im Namen des Standortes, nur oberflächlich getarnt durch humanistische Phrasen und einer Gegenperspektive von MEHR SCHUTZ. Wir möchten unseren Versuch einer Analyse mit einem Plädoyer an die vielen Engagierten schließen:
.
erika, 2007-11-19, Nr. 4011 ein heißer tip: "laborschule bielefeld"
Mimenda, 2007-11-19, Nr. 4012 sehr treffend diese unterscheidung von konventionell-autoritär und modernistisch-autoritär.
|
|