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2006-12-15 Radikales Denken lernen - Teil 2 Vom notwendige Scheitern zur not–wendigen Kritik der Strukturen Achtung: Artikel diser Teil ist noch im Entwurfstadium! Im 1. Teil dieser Thesen zu einer Didaktik bin ich der Frage nachgegangen, warum es in der Struktur der Gesellschaft angelegt ist, dass wir so oft mit unseren pädagogischen Bemühungen im Sinne einer "globalen Ethik" scheitern müssen. Die AufgabeAuf folgende zwei - unmittelbar miteinander zusammenhängende - Ziele einer „Didaktik" emanzipatorischer Bildungsprozesse möchte ich im Folgenden eingehen - auf die Kritik der Sprache und die Enttabuisierung von Strukturen: 1. Sprachkritik: Gesellschaftliche Widersprüche werden oft naturalisiert, werden als „Sachzwänge“ wahrgenommen. Ein entscheidender Mechanismus in der Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse ist die Sprache. Wo man „in Gefühle investiert“, Bildung und Beziehungen nur als spezifische Form von Kapital – als Humankapital – gesehen, die Mitwelt als Ressource verstanden wird, da wird verschleiert, dass diese Begriffe aus dem Wirtschaftsleben des real existierenden Kapitalismus stammen und eben nicht den Umgang mit Gefühlen, mit Beziehungen ... an sich ausdrücken, sondern bereits Ausdruck einer bestimmten Sichtweise auf die Welt sind. Neben dem Begriff der „Arbeit“ ist es speziell der des „Konsums“, der nicht einfach „menschlichen Stoffwechsel mit der Natur“ umschreibt, sondern dessen kapitalistische Version. Mit der Verallgemeinerung werden auch die kapitalistischen Spezifika unterschlagen. Eine der Aufgaben sollte es daher sein, die zentralen gesellschaftlichen Begriffe in einen historischen Kontext zu stellen, damit zu relativieren und die Naturalisierung der vom Menschen gemachten Verhältnisse ein Stück weit aufzuheben. 2. Enttabuisierung von Strukturen: Oft werden gesellschaftliche Widersprüche zwar bemerkt, aber die hinter den Erscheinungen stehenden gesellschaftlichen Strukturen werden tabuisiert. Da wird massenhaft Konzernen und irgendwelchen kriminellen Machenschaften die Schuld zugeschrieben. Empörung und Multischelte sind weit verbreitete Phänomene, und zwar in allen politischen Lagern. „Empörung“ aber ist etwas äußerst Problematisches, sie hat zunächst die Tendenz, gesellschaftliche Widersprüche als individuelles Versagen zu verharmlosen – aber gerade dieses Verharmlosen ist alles andere als harmlos. Denn wenn die Welt „an sich“ in Ordnung ist, dann müssen nur die individuellen Bösewichte bestraft, im Zweifelsfalle eliminiert werden. Was da zunächst im pseudoemanzipatorischen Impetus daherkommt, kann sich leicht zu Antisemitismus auswachsen.[1] Die politischen Haltungen wurden lange Zeit mit dem Links-Mitte-Rechts-Schema [2] unterschieden: Dieses Schema ist aber vollkommen ungenügend, verbleibt es doch auf einer rein moralischen Ebene - „ist halt eine Geschmacksfrage, wie man sich entscheidet". Vielmehr soll eine zweite Dimension berücksichtigt werden: Die der Einschätzung gesellschaftlicher Zustände entweder nach rein moralischen Kriterien oder nach dahinter wirksamen gesellschaftlichen Strukturen (sogenanntes „radikales“ – im Sinne des lateinischen Ursprungs des Wortes von „an die Wurzeln gehendes“ – Denken). Ein solchermaßen erweitertes, politisches Schema ergibt ein Dreieck:
Aufgabe einer emanzipatorischen Bildungsarbeit sollte sein, Menschen in ihrer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Widersprüchen zu unterstützen, sodass sie sich in ihrer Erkenntnis den gesellschaftlichen Wurzeln annähern können. Mehr als eine Unterstützung in einem Prozess, der im Wesentlichen Selbstbildung ist, kann und sollte es nicht sein, sonst wird ein Dogma lediglich durch ein anderes ersetzt. (siehe dazu auch Emanz. Entwicklungspol. Bildung). Die ChanceNatürlich ist all das nicht einfach. Zu faszinierend ist etwa die „schöne Konsumwelt“ (es werden ja deswegen auch Heerscharen von Psycholog/innen und Künstler/innen auf uns losgelassen), zu sehr ist sie zu unserer „Zweiten Natur“ geworden. Einen Ansatzpunkt möchte ich aber hier nennen: Die Widersprüche und Zumutungen der kapitalistischen Warenwelt fallen dort auf, wo traditionell nicht unter kapitalistischem Verwertungsdruck stehende Bereiche dem Markt „geöffnet“ werden. Aktuell sind dies bei uns die Bereiche Bildung, Gesundheit und Wasser. Insofern hat die Kampagne gegen das Dienstleistungsabkommen GATS und für die Aufrechterhaltung einer öffentlichen Daseinsvorsorge eine neue Qualität in den Diskurs eingebracht. Weil da die kapitalistische Ökonomie in neue Bereiche vorstößt, wird uns auch das Schrille der Warenwelt in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, seien es die Heilsversprechungen der aufblühenden (Aus-)Bildungsindustrie (bei immer weniger offenen Arbeitsstellen), sei es die explodierende Wellnesskultur (bei gleichzeitig immer weniger Zeit zum Entspannen), sei es der gesamte Jugend- und Schönheitskult. ANMERKUNGEN [1] Norbert Trenkle, Entsorgung nach Art des Hauses. Zur Verharmlosung antisemitischer Tendenzen durch den wissenschaftlichen Beirat von Attac-Deutschland. In: Streifzüge 32/2004. Im Netz unter www.streifzuege.org ... zurück zum Text [2] Unter „links” wird traditionell eine politische Einstellung verstanden, die im Wesentlichen sozial erzeugte Ungleichheit abbauen will. „Die Differenzierung zwischen Links und Rechts entspricht dem Unterschied zwischen Egalitarismus und Nicht-Egalitarismus. ... – so etwa BOBBIO, Norberto, Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung (Berlin 1994) ... zurück zum Text .
Mimenda, 2006-12-14, Nr. 3030 Sprachkritik
Stephan Jank, 2006-12-14, Nr. 3032 Eingangs einmal Dank für diesen Beitrag. Gut iauch, dass (und vor allem: wie) Mimenda schon darauf reagiert hat, selbst wenn (oder gerade weil) der Text noch in der Designphase ist. Vielleicht sollte er dort auch bleiben. Denn er ist schon verdammt gut und in so einem Fall besteht immer die Gefahr, dass er durch Umpudern an Prägnanz verlieren könnte. Eine kleine Anmerkung sei mir aber erlaubt, betrifft sie doch einen weissen Fleck auf der Landkarte. Nämlich jenen "unten rechts" in Abb.2, dort wo es um die radikale Hinterfragung grundlegender gesellschaftlicher Kategorien im klassisch rechten politischen Spektrum geht. Ich glaube (und warne eindringlich davor), dass es dort gerade keinen weissen Fleck gibt, sondern dass dort ganz im Gegenteil zur Zeit eine ernstzunehmende (und daher extrem gefährliche) Theoriebildung Platz greift mit dem Ziel, antiemanzipatorische, nationalistische, rassistische, antisemitische, völkische oder kurz: faschistische bzw. nationalsozialistische Positionen in einen aufgeklärten Schafspelz zu kleiden. Unterstützt wird dieser Prozess (meist unbewusst) von nicht unwesentlichen Vertretern unserer Bildungseliten, die nimmer müde werden, ihr delikates Schärflein dazu beizutragen, dass radikales emanzipatorisches Denken an der Gummiwand der Aufklärung abprallt. Denn aufgeklärtes Denken ist per se antiemanzipatorisch. Wenn es ein Tabu gibt, das es zu brechen gilt, dann ist es diese Aufklärung selbst, mit samt ihrer neunmalklugen Einsicht in das sogenannte Notwendige. Radikales Denken darf also nicht bei ökonomischen (Ware, Arbeit, Wachstum, ...) oder politischen (Staat, ...) Kategorien stehen bleiben, sondern muss deren Grundlagen ans Tageslicht zerren, die in der blutigen Ideologie der Moderne, der sogenannten Aufklärung ihre Grundlegung finden. Nur dann ist eine wirksame Abgrenzung gegen rechten RADIKALISMUS möglich, der in seiner Borniertheit immer nur ein Produkt der Aufklärung bleiben kann. Denn mit RADIKALITÄT war rechtes Denken noch nie gesegnet. Mimenda, 2006-12-14, Nr. 3035 Nun, das gefällt mir sehr, was du schreibst, Stefan, und auch das, was Walther schreibt. Kann nur beipflichten, er möge das so stehenlassen wie's ist.
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