2004-11-03
Weihnachten im Entzug - Teil IV
Kap. 12
Bisher erschienen:
Weihnachten im Entzug - Teil I
Weihnachten im Entzug - Teil II
Weihnachten im Entzug - Teil III
Noch immer haben sie die Genesis nicht bewältigt. Immanuel lässt Pater Henk aus der Schöpfungsgeschichte einfach nicht hinaus.
„Wer war euer Gott?“ fragt der Trinitarier, sich fragend, ob er das schon einmal gefragt, sich diese Frage bloß vorgenommen oder sie womöglich überhaupt nur geträumt hat. „Das war kein einer,“ lächelt Immanuel nach kurzem Nachdenken, „aber ich habe sie alle vergessen.“ „Alles, was es gibt, hat einen S-chöpfer, Immanuel.
Gott ist der Schöpfer von alles.“
Jetzt wäre es an der Zeit, die Kantischen Aporien ins Spiel zu bringen. Aber wie tut man das bei einem afrikanischen Heiden, der am liebsten Die schönsten Sagen des klassischen Altertums und Pu der Bär liest? "Gott ist eine Idee, die Ideej des Ursprungs, des absolut Guten, des absolut Barmherzigen, des absolut S-chöjnen...“ „Was ist absolut?“ Will er es wirklich wissen oder es relativieren? „Vollkommen, grenzenlos, das Allerhöchschte, Allergröjschte, über das nix hinausgehjt.“<
„Und wer hat diese Idee gehabt?“ Pater Henk zuckt die Achseln. Seufzend erhebt er sich und tritt an Die Psychopathologie des Alltagslebens heran.
„Er ist allein“, sagt Immanuel halblaut vor sich hin, „seine Mutter starb, sein Vater wurde totgemacht, sein Bruder wurde totgemacht. Die Bösen wurden tot. Die Guten wurden tot. Die Schwachen wurden tot. Die Starken wurden tot. Er dachte: Sie sollen wieder leben. Irgendwer muß das organisieren.“ „Siehj mal, Immanuel, vertrau mir, vertrau mir auf Probe, vertrau mir auf Krejdit. Ich sage dir, was ich glaube, ich sage es dir ganz aufrichtig. Bitte unterbrich mich eine hadlbe S-tunde lang nicht. Ich erzejle es und du hörst es und versuchst, nicht zu vergessen, dass ich ehrlich bin und es gut mit dir meine und will, dass du glücklich bist.“
Und Pater Henk erzählt, vor seiner Handbibliothek auf- und abschreitend, erzählt er auf Immanuel hinab, erzählt von Adam und Eva und der Schlange, und Immanuel lauscht, den Kopf schiefgelegt wie eine kokette Krähe; und Pater Henk erzählt von Kain und Abel, Abraham und Isaak, Esau und Jakob, David und Goliath, Jonas und dem Wal, Moses Ezechiel und Elias. Immanuel lauscht, lauscht mit Behagen, wie es scheint, schließt die Augen, und da Pater Henk die Zunge bald wie ein Stück Zellstoff im Mund zu liegen beginnt, hievt er während der Durchquerung der Wüste Sinai den Genever hinter der Traumdeutung hervor und genehmigt sich den einen oder anderen, von Hals zu Hals. An den Babylonischen Gewässern entsteht Stille. Immanuel öffnet die Augen und holt seinen Bekehrer ins Paradies zurück.
„Adam und Eva wissen nix. Sie wissen nur, dass sie nix wissen dürfen. Und sie leben nicht wie ein Mann und eine Frau und sie kriegen keine Kinder, weil sie nicht wissen dürfen, wie ein Mann und eine Frau lebt und wie man Kinder kriegt.“
Manchmal hat Pater Henk den Verdacht, Immanuel Ngobe ist ein Spitzel, der von einer heidnischen Geheimdienst-Organisation ausgebildet wurde: er soll die christlichen Glaubenswidersprüche ausspionieren und den Weg bereiten für die Konterrevolution der alten Götter.
„Also...ich hatte den Apfel auch gegessen...,“ ...“hätte,“ verbessert Pater Henk seinen im Gebrauch des Konjunktivs noch etwas unsicheren Schüler, „würde gegessen haben... „Auch ohne Anstifterei durch den Schlangensatan.“ „Warum?“ „Um nicht nix zu wissen, um wie ein Mann und eine Frau zu leben und Kinder zu kriegen.“ „Gut. Gott hat das vorausgesehen,“ (Pater Henk wischt sich den Schweiß von der Stirn) „das Gute daran, und auch die Problejme, die es geben wird...“ „Würde,“ verbessert der Schüler den Lehrer, und dem wird es mit einemmal leicht ums Herz, so leicht, als hätte es Flügel und würde himmelwärts abheben. Wie der Junge doch reden gelernt hat! Ein anderer wäre wohl für immer stumm geblieben, nach alldem.
„Würde, gut. Gott hat das bestimmt vorausgesehjn.“ „Bitte erzähl weiter, Pater Henk, lieber Pater Henk.“ „Wo weiter?“ „Wo du willst.“ Soviel Freiheit ist ein Zwang, dem Pater Henk sich am liebsten entzöge. „Jejsus ist also Gottes Sohn,“ müht er sich ins Erzählen zurück, ohne rechte Überzeugung, dass dies sinnvoll sei, „und Jejsus hat die Menschen von der Erbsünde erlöst.“ Heftig schüttelt Immanuel den Kopf. „Nein, das glaub ich nicht.“ „Aber es ist so. Das ist ein Glaubensgrundsatz. Viedleicht der wichtigste.“ „Nein,“ beharrt Immanuel, „ich glaub es nicht, ich glaub es nicht.“ „Und wieso nicht?“ „Die Menschen essen noch immer dauernd Äpfel.“
Wiederum weiß Pater Henk nicht, ob er den schnuckeligen Afrikaner für ein naives Kind oder für einen abgefeimten Philosophen halten soll. „Willst du auch?“ fragt er endlich, auf die Geneverflasche deutend. Immanuel nicht strahlend. Pater Henk kramt ein Glas hervor und schenkt dem Afrikaner ein. Der nippt, kostet, trinkt aus. Pater Henk lab sich von der Flasche.
„Bitte glaub mir doch, Immanuel. Glaub mir.“ „Dir glaub ich, Pater Henk, lieber Pater Henk. Das sagt Immanuel noch oft an diesem diesigen Dezemberabend, während Lehrer und Schüler immer betrunkener werden, bis der schnuckelige Afrikaner sich auf dem Sofa ausstreckt und – possierlich wie ein Kater atmend – einschläft. Pater Henk lallt och Teile seines Breviers, ehe er sich auf dem Fußboden ausstreckt. Die Atemzüge Ngobes scheinen ihn sanft in den Schlummer zu tragen.
Fortsetzung folgt
Ludwig Roman Fleischer: „Weihnachten im Entzug“, SISYPUS, 2004, 14.- €
ISBN: 3-901960-25-2