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2004-10-28 Weihnachten im Entzug - Teil III Kap. 12
Bisher erschienen: Bevor Pater Henk de Boer damit beginnt, sein Sorgen-Waisenkind Ngobe im christlichen Glauben zu unterweisen, pflegt er hinter die Traumdeutung zu greifen und sich mit einem Johnnie Walker, einem Vyborova oder einem Genever zu stärken. Ngobe, den man – obwohl er noch nicht getauft ist – im Trinitarierheim Immanuel nennt, zählt behördlich sechzehn Jahre, und auch auf einen entsprechenden Geburtstag hat man sich geeinigt. Dies auf der Basis einer röntgenologischen Untersuchung der Handwurzelknochen). Immanuel Ngobe ist ein prächtig gewachsener Fremdkörper im Heim, der die Kulovits zu dem Ausruf veranlasste, wer denn dieser „schnuckelige Nähga“ sei. „Snuckelige Affwikaner“, korrigierte der politisch korrekte Trinitarierpater quasi automatisch, und erstmals wurde im die Schnuckeligkeit Ngobes so richtig bewusst. Ein schwarzes Bild von einem Burschen, gegen dessen Behendigkeit sich jede eigene Bewegung schwerfällig ausnimmt. Immanuel ist aber auch geistig behende, stellt mit erstaunlicher Wortakrobatik die Heilsweisheiten seines Leib- und Seelsorgers immer wieder in Frage. Es heißt (was heißt, dass es sich dabei um eine Phantasie- und Interpretations-Kooperation zwischen Ngobe und seinen Betreuern handelt), dass der schnuckelige Afrikaner Sohn eines Fürsten sei. Es habe ihn im Zuge von Bürgerkriegswirren in den Kongo verschlagen. Von dort sei er von Stammesbrüdern nordwärts mitgenommen worden und im Schlepptau einer Schlepperbande nach Süditalien geraten, von wo es weiter in Norden ging, über die Brennergrenze hinweg und auf die österreichische Autobahn. Auf einem Rastplatz brachten (oder brauchen) österreichische Gendarmen einen ihnen verdächtig erscheinenden, weil kennzeichenlosen Lastwagenanhänger auf, in welchem sich der halb verhungerte, stumm um sich äugende Afrikanerbub fand. Er sprach – so einer der amtshandelnden Gendarmerieinspektoren – „nur Bimbonäsisch“ und es ließ sich nicht herausfinden, wohin man ihn abschieben sollte. Vergeblich versuchte ein verschiedener „Bimboäsischer“ Dialekte mächtiger Afrikanistikdozent, den Buben zur Äußerung von Verständlichem zu überreden. Über die Vermittlung eines Salzburger Trinitarierpriors kam Ngobe letztlich auf den Heimberg: behördlich registriert und mit dem lebensnotwendigen Lebensjahren versehen, a conto trinitarischer Intervention amtlich geduldet (oder jedenfalls nicht ungeduldet). Anfangs sprach Immanuel also kein Wort deutsch und auch keine andere hiezulande verständliche Sprache. Er sprach überhaupt nicht. Pater Henk brachte ihn durch eine Art Lautgebärdentechnik zum Reden: seine diesbezüglichen Mühen wirkten auf den Buben offenbar so erheiternd, dass der eines Tages laut auflachen musste. Der Bann war gebrochen. In der Folge tat Pater Henk sein Angestrengtestes, dem Buben sein eigenes, noch immer nicht ganz unbedenkliches Deutsch beizubringen. Im Laufe dieses christlichen Unterfangns muß ihn der Teufel oder das Unbewusste geritten haben: Pater Henk ließ vorerst nichts Religiöses in seinen Deutschunterricht einfließen. Erst die Sprache, dann die Religion. Der Knabe erwies sich indes als dermaßen sprachbegabt, dass man ihn von Anfang an in Schöpfungs- und Erlösungsgeschichte hätte einweihen können. Das aber hat Pater Henk verabsäumt und nun hat er einen wortschlauen Argumenteverdreher vor sich, der die Lehren der Offenbarung in der schamlosesten (oder, wie Pater Henk vermutet: der unschuldigsten) Weise von sich abfedern lässt. Einer besonderen Blödheit zeiht sich Pater Henk insofern, als er heilschronologisch mit dem Alten Testament angefangen hat, anstatt dem schnuckeligen Afrikaner gleich die neubündische Erlöstheit über den hübschen Löckchenkopf zu stülpen. (Immanuel trägt mittlerweile langgezöpfelte Strähnchen, wie sie von afrikanischen Fußballern und Popsängern modisch gemacht worden sind). Sehr erfolgreich war Pater Henk in der Beibringung mathematischer, geographischer, geschichtlicher und biologischer Wissenswertigkeiten, getreu seiner Überzeugung, dass ein zurechtzivilisierter und mit der abendländischen Kultur vertraut gemachter Naturmensch für die katholische Heilslehre so offen sein muß, wie der Schoß der heiligen Jungfrau für den zeugungswilligen Gott. Hierin äußert sich eine de Boer’sche Tendenz zu Fairness wie zu Hybris: der absolute Höhepunkt und die Belohnung aller Erkenntnisakrobatik ist die christliche Erleuchtung. Der zu Erlösende klettert über die Stufen profaner Gelehrsamkeit empor zum Seelenheil, zum Gipfelkreuz des schroffen Berges der Erkenntnis. In dieser Überzeugung hat Pater Henk gelehrt und unterwiesen. Mit dem Misserfolg, dass er nun bei der religiösen Belehrung Immanuels völlig unhierarchisch, unpyramidonal und unchronologisch in der Heilslehre umherirrt, von seinem Schützling immer wieder in ein dunkles Meer der Spekulation gelockt, an dessen Küsten keine erleuchtenden Türme zu sehen sind. „Reden wir allso wiejder über Gott, den Allmächtigen,“ seufzt Pater Henk de Boer, „am Anfang war das Wort, wie geschriejben sdeht.“ Immauels Kastanienaugen blitzen auf, sein volllippiger Mund gibt eine Reihe geradezu klischeeweißer Zähne frei:
„Das Wort Gottes?“ Der schnuckelige Afrikaner hat ihn schneller als befürchtet am Glatteis. „Die Geslechtlichkeit Gottes ist symboulisch – er ist alles Männliche und alles Weibliche und alles Menschliche in einem, wie er es geschaffen hat.“ „Warum?“ Wäre Pater Henk ein kindererziehungserfahrener Familienvater, ein Mitschöpfer des Menschlichen mithin, die Frage Immanuels würde ihn nicht wirklich aus dem Konzept bringen. Jeder Vater hat in seinem Leben Tausende von Warums teils recht, teils schlecht beantwortet und ist mit dieser Frage und ihrer grandiosen Müßigkeit auf Du und Du. Nicht so Pater Henk. Zu Seiner Verherrlichung, konnte erantworten, wie seinerzeit sein eigener Religionslehrer, aber das käme ihm heute noch absurder vor als damals. Diese Welt zu Seiner Verherrlichung? Wozu hätte der Allmächtige eine solche Selbstverherrlichung nötig? „Gott hat viedleicht,“ sagt Pater Henk leise, „Er hat viedleicht ein Opfer gebracht, sich sedlbst zum Opfer gebracht...wie jejder von uns, der aufhört, nur für sich sedlber zu lejben.“ Immanuels Augen schimmern (schelmisch, wie es Pater Henk dünkt). Sie scheinen ihn zum Weitersprechen aufzufordern; ihn zu drängen, sich in einem Wust von immer neuen Worten zu verwickeln, sich an immer neuen Erklärungen zu versuchen, wo allenfalls eine einzige überzeugen könnte, eine, die nur weniger, ja womöglich gar keiner Worte bedürfte. Der Trinitarier erliegt – wie schon sooft – der Wortversuchung. Aufopferung, schöpferische Selbstentäußerung, Brüderlichkeit, Verzicht, Schönheit...laut gegen die eigene Ratlosigkeit andenkend, zerbricht sich Pater Henk den Kopf über Gottes Schöpfungsmotive, kommt mehr und mehr ins Stocken, verstummt schließlich. Immanuel spielt mit den lila Schlaufen des Adventkranzes auf Henks Nachttischchen. „Er ist allein,“ sagt er nach langem Schweigen, „er hält das nicht aus. Er will einen Freund haben.“ Jetzt wirkt das hübsche, schmale Gesicht melancholisch. Plötzlich aber zuckt ein Lächeln darin auf: „Es muß aber auch mit nur Adam langweilig sein.“ „Gott weiß natürlich schon...“, hebt Henk an. Nein, das ist die nächste selbstgestellte Falle. Die Allwissenheitsfalle. Wenn er alles vorausweiß, dann sind – so Immanuel – die „Menschen für ihn langweilig.“ Warum ist Pater Henk kein autoritärer Patriarch, der die Bekehrung mit Feuer und Schwert durchpeitscht, kein Internatskaplan, der mit Einschüchterungen und Schuldgefühlsbeibringung arbeitet, kein Entwicklungshilfe-Missionar, der mit Wasserleitungen, Aspirin, Coca Cola und Corned Beef lockt, mit Hochzivilisations-Spielzeug, das man nur bekommen kann, wenn man der Gemeinschaft der Gläubigen beitritt?
Ludwig Roman Fleischer: „Weihnachten im Entzug“, SISYPUS, 2004, 14.- €
1994, 2013-04-06, Nr. 5915 Laut einer Umfrage des Sterns beffcrworten rund 80 % der Deutschen die Einffchrung von Bildungsgutscheinen statt hf6herer Regelse4tze ffcr Kinder aus Hartz-IV-Familien.Selbst bei den Anhe4ngern der Linken liegt die Zustimmungsquote bei 71 %Lediglich die CSU-Ffchrung sperrt sich gegen das Modell.Mfcssen die Gegner des Modells bei den ne4chsten Wahlen nun die CSU we4hlen? |
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