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2011-03-16 Ein Widerspruch: Öffentliche Verantwortung und Entschleunigung Aus Anlass des zivilisatorischen Super-GAUs in Japan stelle ich hier meinen auf dieser Homepage am 16.5.2008 zum ersten mal veröffentlichten Beitrag erneut zur Diskussion. Ursprünglich wurde er für die „Zeitpresse“ – der Zeitschrift des Vereines zur Verzögerung der Zeit – geschrieben. .
Dass alles zu schnell gehe, ist ein Eindruck, dessen man sich kaum erwehren kann: Was heute noch gültig ist, ist morgen uralt. Eine Barriere nach der anderen wird eingerissen, ohne dass man der Verantwortung für sich und kommende Generationen überhaupt nachkommen kann. Das ist das Eine. Auf der anderen Seite der Ruf nach SPEED: Noch immer gehe alles zu langsam, noch immer sei Österreich [man kann hier wohl beinahe beliebig jeden anderen Staat einsetzen, z.B. Japan...] nicht genug vorne, bei der Gentechnik, beim Abbau von Arbeitsschutzbestimmungen, bei der Reform des Gesundheitswesens, ... Welche Rolle spielt da die „öffentliche Verantwortung“, fragt der Verein zur Verzögerung der Zeit? Wie das doch schön klingt, wie einem da das Herz aufgeht alleine schon beim Klang der Worte „öffentliche Verantwortung“. Man sieht sie direkt vor sich, die mündigen Bürgerinnen und Bürger, die auf der Agora zusammensitzen, ihre Meinungen austauschen und zum Schluss zu einer für das Gemeinwesen sinnvollen Lösung kommen, gegen die idiotischen Eigeninteressen. Das ist sie, wie man sie sich vorstellt, die „Aufklärung“. Das Augenscheinliche scheint dem indes zu widersprechen: Politik als die institutionalisierte Form von „öffentlicher Verantwortung“ folgt dem Imperativ „schneller – höher – weiter“. Zumindest so gut es geht, wenn da nicht hie und da doch Rücksicht zu nehmen wäre auf „überkommene Besitzstände“, vertreten von Gewerkschaften und anderen Verbänden. Aber selbst diese „Bremser“ jammern in trautem Einklang mit verantwortungsvollen Medien je nach Gemengelage über bürokratische Blockaden, über drohende Handlungsunfähigkeit etwa der EU …: Also auch die Zivilgesellschaft auf dem Beschleunigungstrip. Fast drängt sich da einem der Spruch auf „Als sie das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten sie ihre Anstrengungen“. Was stimmt also nicht mit der „öffentlichen Verantwortung“, die da angesichts der globalen Zustände doch eher auf ein Innehalten, auf eine Nachdenkpause, auf ein Erschrecken vor der gesellschaftlichen Rastlosigkeit, dem geradezu manischen Aktivismus hinwirken müsste? Ist der Mensch schlecht und unaufgeklärt? Ist die Öffentlichkeit verantwortungslos? Wurde die democracy korrumpiert? Bräuchten wir Optimierungen des demokratischen Prozedere wie mehr direkte Demokratie? Öffentliche Verantwortung heißt „Gas geben“ Demgegenüber ist festzuhalten: Das, was wir hier erleben, diese Aufbruchstimmung unter den Lemmingen, ist genau die Wahrnehmung der öffentlichen Verantwortung, genau der Vernunft, auf der das vorliegende System aufgebaut ist. Alles andere wäre das Gegenteil von Einsicht in die Notwendigkeit, wäre Un-Vernunft gegenüber der conditio sine qua non unserer Gesellschaft: Die Verwertungsbedingungen für das Kapital müssen stimmen, sein Wachstum muss gewährleistet sein, die Wertschöpfungsketten dürfen auf keinen Fall unterbrochen werden, belieferungsbedürftige und mit Kaufkraft ausgestatte Mängelwesen müssen nach immer neuen Waren gieren … Warum eigentlich? Weil ein Zurückschrauben als Strategie nicht vorgesehen ist in diesem System. Abgesehen von individuellen Ausreißern ist als gesellschaftlich relevantes Phänomen ein „weniger“, ein „langsamer“ nur um den Preis der ökonomischen Krise zu haben, ein kleiner Verzicht wird zur großen ökonomischen Katastrophe mit Arbeitslosigkeit, Elend und all den Grauslichkeiten, die wir ja aus der Geschichte der 30erJahre des vorigen Jahrhunderts kennen. Diese Form der gesellschaftlichen Verkettung ist menschheitsgeschichtlich neu und unterscheidet den Kapitalismus von anderen Systemen, sie macht ja auch seine Attraktivität aus. Was für den Einzelnen gilt, gilt auch für den Staat als die Verkörperung öffentlicher Verantwortung, und zwar auf jeder Ebene: Ob als Gemeinde oder Bundesland, ob als Staat oder Quasistaat wie die EU, für alle geht es zuallererst einmal um eins: Die Wertschöpfungsketten dürfen nicht reißen, das Spiel muss auf jeweils erweiterter Stufenleiter weitergehen. Auch wenn der Staat schon aufgrund seiner schieren Größe und seines Machtmonopols eine gewisse Sonderstellung einnimmt, Regeln aufstellen kann etc.: Dass sich fast immer nur bestimmte Tendenzen durchsetzen, dass alles „neoliberal reguliert“ wird, ist mehr als nur ein Zufall oder einer bestimmten politischen Mode geschuldet. Nein, den demokratisch gewählten Menschen, die sich da als Gestalter und Gestalterinnen wähnen, ist „instinktiv“ klar, dass ohne einer munter sprudelnden Ökonomie auch die Quellen ihrer „gestalterischen Macht“, also die Steuern etc. versiegen. Diesen Instinkt entwickeln sie im Heranreifen zur Regierungsfähigkeit mit dem schon erwähnten Programm „schneller – höher – weiter“, garniert mit mehr oder weniger „bio + fair“ je nach parteipolitischer Präferenz. Bruch mit der herrschenden Vernunft Je mehr Kapital akkumuliert, je schwieriger die Profitraten für diese Kapitalmassen hochzuhalten sind und je verzweifelter sich die Suche nach den letzten Investitionsfeldern gestaltet, desto klarer zeigt sich, dass die bisherige „öffentliche Verantwortung“ immer nur ein Ausgestalten von – inzwischen rasch schrumpfenden – Spielräumen innerhalb äußerst rigider Parameter war. Das anzunehmen fällt nicht leicht, sind wir doch alle auf Vernunft, auf Einsicht in die Notwendigkeit getrimmt. Konstruktiv zu sein sei ja eine Tugend, zumal Beruf, Karriere, akademische Anerkennung daran hängen. Und dass man nicht der große Gestalter, sondern höchstens der Nachvollzieher von Zwängen ist, das nagt am Selbstbewusstsein, insbesondere am männlich sozialisierten. Dennoch: Mit dem Mittragen öffentlicher Verantwortung werden wir nicht mehr weit kommen, vielmehr geht es um eine – durchaus öffentlich zelebrierte – Verantwortungs-losigkeit, braucht es eine Un-Vernunft, eine Verweigerung gegenüber der Einsicht in die Notwendigkeit des herrschenden Systems. Weil wir ja immer auch gleichzeitig Teil dieses Systems sind und unsere Lebensgrundlagen sichern müssen ist unabdingbar die Suche, die Wiederentdeckung und die Neuentwicklung von Bereichen, denen eine andere Logik als die des „schneller – höher – weiter“ zugrunde liegt. Da brauchen wir auch gar nicht weit zu suchen, die müssen wir uns nur bewusst machen. Solche Bereiche gilt es zu stärken, damit wir nicht der Alternativlosigkeit der „schönen Maschine“ und deren Takt ausgeliefert sind. Der vorliegende Artikel wurde für die „Zeitpresse“ – der Zeitschrift des Vereines zur Verzögerung der Zeit – verfasst: www.zeitverein.com/. Weiteres / Hintergrund:
:-)
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