![]() | Independent Carinthian Art & Cult | |
Fri Feb 07 2025 09:14:04 CET |
|
2004-06-07 Freiheit, Gleichheit und Subjekt Die aktuelle Krise unserer Gesellschaft lässt sich mit konjunkturellen Schwankungen genauso wenig verstehen wie sich die Abgründe des Grand Canyon mit der Profiltiefe eines abgefahrenen Sommerreifens vergleichen lassen. Oder anders ausgedrückt: Selbst wenn in absehbarer Zeit ein ökonomisch akzeptables Wirtschaftswachstum eintreten sollte (woran nicht einmal mehr die eingeschworensten Hardliner glauben), für die Menschen in unserer Gesellschaft würde sich rein gar nichts zum Besseren wenden. Ganz im Gegenteil: Bewusstlose, politische Eliten würden sich dadurch erst so richtig bestätigt fühlen in ihrer bornierten Affirmation der Alternativlosigkeit des Standortwettbewerbs. Politische Prozesse würden dadurch mit noch viel höherem Druck gesellschaftliche Strukturen in die Globalisierungspipeline pumpen, an deren anderem Ende die Tanker der transnationalen Konzerne die Fracht schon sehnsüchtigst erwarten. Das Öl in dieser Pipeline heißt Sozial-, Lohn-, Infrastruktur- und Steuerdumping, heißt Privatisierung, Flexibilisierung und Rationalisierung. Und die Raffinerien des völlig entbetteten Finanzkapitals werden dieses Öl zu einem weltweiten Bürgerkriegspotential raffinieren. Denn diese Standortprostitution auf dem Strich der transnationalen Freier wird nichts daran ändern, dass die strukturelle Arbeitslosigkeit nicht trotz, sondern gerade wegen ihr nachhaltig anwachsen wird. Wenn Unternehmungen sich nämlich neu ansiedeln, hinterlassen sie beim Verlierer mit Sicherheit mehr Arbeitslose als sie Arbeitsplätze beim Gewinner schaffen. Und die Gewinner von heute sind die Verlierer von morgen. Bereits jetzt muss ja schon allein die Stagnation der Arbeitslosenzahlen (übrigens in historischen Höchstständen) von konservativen genauso wie von sozialdemokratischen Regierungen in allen Ländern als wirtschaftspolitischer Erfolg verkauft werden. Aber das ist nur ein kleiner Auszug. Denn die ca. 6000 Zeichen dieses Artikels reichen bei weitem nicht aus, um den Abgrund auch nur annähernd vollständig zu skizzieren, an dem unsere Gesellschaft zum Tanz gebeten hat. Wie aber lässt sich nun dieser irrwitzige Zug der Lemminge erklären? Wie ist es möglich, dass Menschen aller politischen Lager sehenden Auges auf einen Abgrund hin beschleunigen, der das sichere Ende bedeutet? Die Antwort auf diese Frage kann keine beiläufige sein, denn sie ist zugleich eines der Mene Tekel der kapitalistischen Doktrin. Und so nimmt es auch nicht Wunder, dass diese Antwort in keinem Psychologie- oder Soziologiebuch zu finden ist, sondern genau dort, von wo aus die kapitalistische Ideologie ihre Wirkkraft am nachhaltigsten entwickelt. Dort steht sie schwarz auf weiß und in fetten Lettern in der Doch genau diese Freiheit und Gleichheit erweist sich bei genauerer Untersuchung als der eigentliche Motor des Lemmingzuges. Wir alle freien und gleichen Bürger, egal ob jetzt prekär beschäftigte Alleinerzieherin, ob milliardenschwerer Eigner eines Fußballklubs; ob Vertreter für Beilagscheiben oder Witwe eines früh verstorbenen Sektionschefs; ob Landeshauptmann oder Viertelputzer; ob Arbeitsloser oder Privatier; also genau wir Freien und Gleichen sollten uns nämlich einmal mit aller uns vom toten Kant zugesprochenen Vernunft fragen, was denn mit dieser Freiheit und Gleichheit tatsächlich gemeint ist. Sind Freiheit und Gleichheit in diesen Menschenrechten etwa als gesellschaftliche Kategorien verfasst? Etwa als die Möglichkeit freier und gleicher Individuen gemeinsam, bewusst und ohne Zwänge über die Organisation und Reproduktion ihrer Gesellschaften zu entscheiden? Weit gefehlt! Denn genau die Kategorien Recht, Staat, Nation, Eigentum, Arbeit und damit die politischen und ökonomischen Grundlagen jeder Gesellschaft sind in dieser merkwürdigen Deklaration der Verhandelbarkeit durch ihre Mitglieder völlig entzogen. Die bis über jede empirische Wahrnehmbarkeit hinaus abstrahierten und nur in diesem Sinne gleich zu denkenden, bürgerlichen Rechtssubjekte dieser Deklaration müssen im Gegenteil bezüglich genau dieser Kategorien massiven Rechtsschutz erhalten. Nirgends zeigt sich klarer, mit welch ungeheurer, hegemonialen Repression diese Kategorien in der westlichen Welt gedacht und implementiert sind. Die Freiheit, die den Menschen in diesem, von ihnen vollkommen unbeeinflussbaren Korsett dann noch angedichtet wird, verkommt damit genau zu jener Karikatur von lächerlicher Wahlmöglichkeit, wie sie im freien (Media)Markt ("Ich bin doch nicht blöd") gebraucht wird, um den Verwertungsprozess des einzig wirklich freien Subjekts in dieser Deklaration, des automatischen Kapitalsubjekts in immerwährendem Gang zu halten. Diesen, seit Generationen in freier und gleicher Konkurrenz zueinander gehaltenen Subjektmonaden, diesen Schmieden ihres eigenen Glückes sozusagen, muss geradezu jeder noch so destruktive Wettbewerb als innerster Bestandteil ihrer eigenen Natur erscheinen. Freiheit, Gleichheit und Subjekt erweisen sich damit genau als das, was sie seit ihrer liberalen Konstitution immer schon waren: Kampfbegriffe, als Rechte formulierte gefährliche Drohungen.
Danke für diesen ausgezeichneten Beitrag.
Ich glaube, wir hätten eine Menge Spass bei einer solchen Diskussion. Aber abgesehen davon glaube ich, dass diese Debatte ohnehin schon seit langem fällig ist. Denn insbesondere Menschenrechtsorganisationen sollten sich schön langsam fragen, wes Brot sie essen und mit wes Maß sie messen. Ich würde mich jedenfalls freuen, sollte Dir gelingen, was Du anregst.
Ein hervorragender Artikel!
Jetzt wird es abstrus. Die Menschenrechtsdeklaration als den Ursprung allen Elends dieser Welt hinzustellen. Genau an diesen Punkt steige ich aus der unter Alternativen beabsichtigten Diskussion aus.
Martin Moser, 2004-06-07, Nr. 1209 Was sollen wir nun tun, Stephan? Die Subjekte wieder in den Zustand der Unfreiheit, Ungleichheit, Vernunftlosigkeit, Gewissen- und Verantwortungslosigkeit versetzen?
Erika, 2004-06-07, Nr. 1210 Lieber Stefan!
Erika, 2004-06-07, Nr. 1211 1.Die Krise unserer Gesellschafft lässt sich für eine Durchschnittsbürgerin kaum verstehen.
Martin Moser, 2004-06-08, Nr. 1213 "Subjektmonaden" in freier Konkurrenz? Ist das nicht etwas missverständlich? Die Monaden (Begriff aus Leibnizschen Metaphysik) sind doch ohne Fenster zur Welt, autonom gegenüber den anderen Monaden und doch in prästabilisierter Harmonie... Martin Moser, 2004-06-08, Nr. 1214 Lieber Stephan,
Ich habe nicht mit derartig vielen qualifizierten Reaktionen gerechnet. Gebt mir bitte ein bisschen Zeit, um alle zu beantworten.
Liebe Erika! Hier der Versuch einer Antwort auf Deine Reaktion im LB 1211:
Lieber Herr Jank;
Konfusius sogt:
|
|