2004-02-23
Reise nach Abbazia - Teil II
Ein trauriges Tor für den Kaiser von Mexiko, Ferdinand Maximilian von Habsburg, sein Miramar verwaist, ohne Glück, die heiß ersehnte weite Welt reine Todesfalle. Diesseits und jenseits der Meere, überall gibt es nur Mord und Haß. Denn die Feuerkugel und der blanke Stahl regiert die Welt. Die Ohnmächtigen werden mächtig und schlachten die ehedem Mächtigen, bis sie selbst wieder von anderen Ohnmächtigen geschlachtet werden.
So liegen sie überall in der Welt herum, die Leichen der Habsburger. Obwohl sie es nur gut gemeint haben, oder dumm waren, oder womöglich, gar nicht habsburgerisch, ehrgeizig.
Sie waren nie tolldreist. Oft guten Glaubens, meist unfähig, dann und wann auch debil. Gottergeben und schwach, mitunter leutselig, idealistisch, nie zu prunksüchtig, schwäbisch eben mehr, mit schweizerdeutschen Einschlag und immer ein bißchen zu wenig österreichisch.
An sich ist Österreich ja gut für die Lunge, aber man muß durch, durch die
Gebirgsrisse, durch Sprünge, Spalten und Schlüpfe aus dem österreichischen
Österreich hindurch in die balsamische Luft von Abbazia, frisch und mild zugleich, Bora oder nicht.
Eine Aërotherapie, also Luft bestimmter Beschaffenheit, hat der Medizinalrat gesagt, aufstrebender Kurort, wunderschön, im März blühen die Kamelien auf, dann die Magnolien und der Wein, und Ende Mai duftet die ganze Küste nach Rosen. Und Oleander, Kampfer, Bananen, Zitronen, Orchideen prangen und duften und leuchten farbenprächtig mit.
Ja, noch besser für die Lunge, hat er gesagt, wo der Oleander ewig blüht, ohne ihn zu gießen, und wo die achtbarsten Frauen voll Liebeslust durch die Nächte taumeln. Die milde Wollust der Lüfte, das aufpeitschende Meer. Dort, wo der Mond direkt Wasser und Erde berührt, wo er die wogende See und die Ströme des Blutes hinaufzieht in seine von blaugelber Sehnsucht durchtränkten lunaren Sphären.
In drei Vollmondnächten ist dort jede Lunge repariert, und wenn man zurückkommt, dann sagt der Doktor Straubinger: »Sie haben ein Beuschel, Baron, das sich sehen lassen kann. Könnten die größte Tuba blasen damit. Zehn Jahre leben‘S jetzt weiter wie nix.
Also fuhr er für zwei Wochen, bei zunehmenden Mond, im Mai, später wäre es zu heiß gewesen, zum ersten Mal im Leben weiter als bis nach Baden bei Wien. Er kam sich vor wie der Herr Chwostek, der Verkaufsleiter von der Landmaschinenfabrik. Weltreisender.
Südbahnstrecke, nach Triest, bis zur Station Matulji, von dort ist man in kurzer Zeit mit einem Gespann in Abbazia. Im Hotel Quarnero, erbaut für Kaiser und Könige, hat er sich in eines der einfachsten Zimmer eingemietet. Für Domestiken. Speiste aber mit den speisenden Herrschaften. »Schrulliger Baron«, munkelte man, »Einfachheit, alter Militäradel, Feldbetten und so..«. Man hat also sofort eine Modalität gefunden, ihn zu akzeptieren. Mehr noch, zu achten. »Wissen Sie, das sind Kaisermanieren «. Und der Anarchist freute sich der Monarchie, die es so gut verstand, wo immer es ging, Menschen Menschen sein zu lassen.
In der wilden Steiermark, die mit Mürzzuschlag beginnt und aus der man am anderen Ende im oberen, ungastlichen, mißmutigen Murtal südlich abbiegt, fuhr die Eisenbahn noch einmal einen Berg hinan, ehe sie dann in carinthische Regionen hinabdampfte. Dieses Murtal war ein Tummelplatz von Raubrittern, erzählte ihm ein mitreisender Kärntner, einer dieser Seegebirgler, welche die traurigsten Lieder der Welt singen, unentwegt, besonders gerne aber, wenn sie sich fröhlich wähnen. Eine Art von Klagegeheul, ehe sie Unmengen unehelicher Kinder zeugen. »Nur lassen«, ist der Wahlspruch aller dortigen Frauen, ob mit oder ohne Goldhaube, was im heimischen Ton durch den kalkknochigen Mitreisenden mit der Lautfolge »lei loosn« ausgedrückt wurde.
In einer friedhofsnahen Stadt mit dem bezeichnenden Namen Klagenfurt stieg jener seltsame Mensch wieder aus.
Der Lungenkranke empfand ihn als ein ziemlich schlechtes Omen. An der Adria zu sterben, schien ihm nun gewiß. Es muß ja nicht immer der Tod in Venedig sein. Es gibt doch auch unzählige, hochdramatische Küstentode. Dieser steinerne Gast, eine wunderbar treffende Allegorie der Lungensucht, hatte eine eingefallene Brust und ein knochiges Gesicht. Nach Landesart trug er, über die Schulter gelegt, eine Sense mit sich. Sonst aber war er sauber und sorgfältig bekleidet.
Das ganze Abbazia, der Name rührt von einer mittelalterlichen Benediktinerabtei her, die gute Luft, der Rosenduft und der stets vollere Mond erweckten in ihm aber eine unendliche, unstillbare, verzehrende Sehnsucht nach der Melanie.
Obwohl sie abfällig über die Langeweile und die ständig dort schon aus Wien bekannten Gesichter gesprochen hatte. Gleich wie Abbazia angefangen hat, ja noch vor 1883, haben die Sterhazys natürlich dabei sein müssen, und stets das »Prinzesserl« mitgenommen.
Nun glaubte er mit Schritt und Tritt auf ihren Spuren zu wandeln, am Meer entlang, auf der Esplanade, an der Kaiservilla Angiolina vorbei. In seiner Verzweiflung, mit schmerzendem Herzen, oder war es nur die wehe Lunge, die sich hinter dem Herz versteckte. Man zählte eben das erste Jahr des neuen Jahrhunderts, in dem Gott verlernt hatte, zu lächeln
Es war bereits das siebente Jahr seines ständigen und einzigen Verhältnisses mit der Marie Galotti, mit welcher er seit nahezu zwei Jahren gemeinsam die k. k. Hofoptikerei am Kohlmarkt betrieb. Jene des seinerzeitigen Prinzipals Gottlieb Bohumir Swoboda. Das hat ganz schön was gekostet, und nicht von ungefähr nahm man sich das spartanische Zimmer im Quarnero. Wenn man auch Luft war für die Familie, so durfte man doch deren guten Ruf nicht schaden, indem man sich als Schwiegersohn derer von B. in etwas Gewöhnlichem einquartierte. Einen Tag später wäre es telegraphisch und mit Entsetzen in Wien bekannt gewesen. Ja, so ~ng war die Welt bereits geworden.
Er hätte der Melanie gerne eine photographische Ansichtskarte mit ein paar lieben Worten geschrieben. Doch befürchtete er, sie würde denken, damit will er sich hervortun bei ihr. Die Marie und die Franziska aber hatten eine bekommen mit der Versicherung, daß er ganz gesund zurückkehren werde.
Er nahm sich vor, trotz gebrochener Seele auf eine möglichste Verbesserung seines körperlichen Zustandes zu achten, und befolgte daher sehr genau die Anweisungen des Kurarztes, Aber ganz konnte er die Worte des Doktor Straubinger nicht aus dem Gedächtnis verscheuchen: »Es ist nimmer der Körper, es ist die Seele, die krank ist«. Und weil er sich für alles interessierte, hat er auch die neuen Schriften dieses dubiosen Doktors Freud gelesen.