2004-01-22
MINIMUM - I
Textausschnitt aus „MINIUM“
D
jango lag eingerollt auf der hinteren Sitzbank und der verrostete Kombi schwamm mit seinen ausgeleierten Stoßdämpfern über die geflickte Landstraße. Michor klammerte sich verkrampft am Griff des Handschuhfachs fest, obwohl er ohnehin angegurtet war. Zu lange war er schon nicht mehr in einem Auto gesessen, so dass ihm die Geschwindigkeit, die sich auf Grund der Straßenverhältnisse in Grenzen hielt, Angst machte. Welchen Sinn hatte es wohl, die gut 200 Kilometer nach Hradec Kràlové zu fahren, um dort in einem tschechisch staatlichen Altenheim einen völlig verkalkten Bassisten, der wahrscheinlich sein Instrument nicht mehr von einer Klomuschel unterscheiden könnte, aufzustöbern? Michor hatte nach eigenen Angaben schon drei Jahre von seinem jetzt vierundachzigjährigen Freund nichts mehr gehört. Nur Michor hatte darauf bestanden, vorher nicht anzurufen und sich zu erkundigen, ob Tomec überhaupt noch am Leben wäre. Das mache man nicht, meinte er, weil es ein schlechtes Omen wäre.
Jetzt hatte Bleiweiß mit dem schlechten Gefühl zu kämpfen, Michor quer durch Tschechien zu kutschieren, um feststellen zu müssen, dass Tomec an seinem dreiundachzigsten Geburtstag an einem Stück Zwieback erstickt sei.
Der einsetzende Nieselregen verscheuchte Bleiweiß‘ Gedanken, der sich wieder mehr auf den Verkehr konzentrierte. So trieben sie dahin und wollten sie noch vor der Dämmerung in Hradec Kràlové ankommen, müssten sie gehörig Dampf machen. Michor sah durchs Seitenfenster zu, wie die eintönig graue Landschaft an einem tristen Juninachmittag vorüber zog und schwieg in seiner Illusion, es tatsächlich zu schaffen, eine neue Band zu gründen, bestehend aus drei altersschwachen Swingfanatikern und einem völlig durchgeknallten Experimentalisten, der mit einem Soundsampler und Live-Instrumenten eine Osteuropatournee bestritt und ausschließlich in irgend welchen Kneipen in irgend welchen unbedeutenden Örtchen auftrat, wobei die meisten Zuhörer, so welche anwesend waren, die volle Länge einer Performance nicht aushielten und die Veranstalter in Stress brachten, weil sie ihr Eintrittsgeld im Gegenwert eines Krügerls Pilsner zurückerstattet haben wollten.
Bleiweiß glaubte wirklich daran es zu schaffen, wenn die zwei anderen Opas ihre Instrumente noch einiger Maßen im Griff hätten. Alleine die Skurrilität ihrer Truppe müsste eine Menge Leute dazu animieren, sich ihre Konzerte anzuhören! Und es würde sich herumsprechen wie ein Lauffeuer, dass die Musik erste Sahne wäre. New York in Reichweite!