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Lisa Rettl

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2003-12-27

Der Ulrichsberg ruft - II

Oder: Alles was recht(s) ist

Erstveröffentlichung:

Lisa Rettl, Der Ulrichsberg ruft. Oder: Alles was recht(s) ist, in: Peter Gstettner/ Grete Anzengruber/ Peter Malina (Hrsg.), Die Mühen der Erinnerung. Zeitgeschichtliche Aufklärung gegen den Gedächtnisschwund Bd.1 (=schulheft 105/2002), Wien 2002, S. 108-123.

Der Ulrichsberg ruft - I

Das Geschichtsbild- bzw. Verständnis der Ulrichsberggemeinschaft und ihrer UnterstützerInnen weist dabei ebenso autoritäre wie faschistoide Züge auf: Der Geschichte wird zur Legitimierung und Überhöhung des eigenen Selbst absoluter Charakter zugeschrieben, der sich auf mystische Weise laufend als eigenständige, selbstreinigende Kontrollinstanz zu reproduzieren scheint. In diesem Sinne sind Aussagen wie etwa „Vor der Geschichte wird nur Wahrheit Bestand haben können […]“[15] oder „Geschichte lässt sich auf Dauer nicht belügen“[16] etc. als Teil der „alten Begriffe“ zu werten, die es am, mit und durch den Ulrichsberg als metaphorischer Krücke soldatischer und patriarchaler Identität – selbstverständlich für Vaterland für Vaterstadt[17] - zu schützen gelte. Nicht zufällig konstatierte daher etwa Ruth Klüger, dass Kriege ebenso wie Kriegserinnerungen einzig und alleine den Männern gehörten[18], was insbesondere auch für den Ulrichsberg gilt: Frauen treten im ulrichsbergischen Erinnerungsszenario nur als in Beziehung zum Mann gesetzte Wesen in Erscheinung (d.h. als wartende Mütter bzw. verwitwete und/oder treue Ehefrauen ), für die ohne dem form- und normgebenden, frontkämpferischen Mann (Ehemann/Vater/Sohn/Bruder), keine eigene, zumindest keine nennenswerte eigene Lebensrealität vorstellbar erscheint und daher auch nicht thematisiert wird.

Der Bedeutungszusammenhang der im Eingangszitat angesprochenen, nicht näher definierten „alten Begriffe“ erklärt sich auf mehreren Ebenen, die einander in verschiedenen Assoziationsketten ergänzen: Einerseits in der Ansprachenrhetorik der Gedenkfeiern sowie den Diskursen rund um den Ulrichsberg (z.B. in diverser „Kameradschaftspublizistik“), andererseits in der Gestaltung der Gesamtanlage selbst, mit ihren Symbolen, Gedenktafeln, Denkmälern einschließlich der Umgebung, die u.a. auch beliebtes Ausflugs- und Wanderziel der lokalen Bevölkerung ist. Über ausgetretene Waldpfade oder die schmale Straße[19] - ein Bild der zur Wirklichkeit erstarrten Heimat des Kitschdenkens[20] - erreicht man die „Gedenkstätte“, die sich südseitig in Richtung Zollfeld (Herzogsstuhl) und Karawanken – absurderweise genau gegenüber dem ehemaligen KZ Loibl/Ljubelj Nord - ausrichtet. Grundsätzlich lassen sich zwei zentrale Bereiche ausmachen: Die Kapelle und das so genannte „Heimkehrerkreuz“, dessen nächtliche Beleuchtung mittels Dieselgenerator die Heimat im Sinne eines realen Ökosystems wohl beträchtlich stören dürfte, der imaginierten Heimat als Ursprung und Ort einer gesunden deutschen Volksgemeinschaft jedoch nichts anhaben kann.

Das etwa 20 Meter hohe, mit Stacheldraht umfasste Stahlkreuz ist – weil weithin sichtbar - zweifelsohne d a s Symbol der UlrichsbergerInnen, nicht zuletzt deswegen, weil es 1959 von der Ulrichsberggemeinschaft selbst initiiert und installiert wurde, während die Kapelle einen viel älteren Bestandteil der Örtlichkeit darstellt, der im Rahmen der „Traditionspflege“ entsprechend adaptiert, d.h. erhalten, renoviert und ausgebaut wurde.

Das Kreuz als öffentlich zugängliches Kriegerdenkmal mit seiner Inschrift - „Vermächtnis der Heimgekehrten“ – offeriert zunächst eine Lese – und Interpretationsmöglichkeit der „alten Begriffe“:

„Siehe Vaterland, das haben wir dir zurückgebracht: Unsere Treue, unsere Tapferkeit, unsere Liebe, geweiht durch das Opfer von Zehntausenden. Es wird dir viel bedeuten müssen, heute und für alle Zukunft.“

Zunächst erscheint das Vaterland- das ja passenderweise vor allem eines der großen Söhne ist - in entpolitisiertem Gewande. Als viel strapazierter Begriff der NS-Propaganda[21] - fungiert er als quasi-neutrales und naturbezogenes Begriffsvehikel, das scheinbare Kontinuität suggeriert: Geradezu so, als sei das „Dritte Reich“ mit seinen politischen und gesellschaftlichen Zielen, für die man(n) in den Krieg gezogen war, ident mit den Idealen des befreiten Österreichs bzw. der Zweiten Republik, in die letztendlich „heimgekehrt“ wurde. Dass, wie aus der Inschrift hervorgeht, dieselbe Liebe, Treue und Tapferkeit - Zwillingsschwestern der zur Religion erhobenen Kameraderie - zurückgebracht wurden und nun als Vermächtnis weitergetragen werden sollen, ist aus Sicht einer demokratischen Öffentlichkeit wohl nur schwer nachvollziehbar.

Die Erhöhung der Begriffe auf sakrale Ebene – die „Weihe“ durch den Soldatentod - vereinigt letztendlich germanisch-geprägte Kriegermythen und Walhallphantasien mit christlich religiösen Vorstellungen, die vor allem durch das Kreuz symbolisiert sind. Auf diese Weise ist eine breite Identifikationsbasis geschaffen, die weder religiöse noch nicht-religiöse Heimkehrer bzw. deren Nachkommen ausschließt. Gleichzeitig wird das „säkulare Erinnerungsmonopol“ der „Heimkehrer“ ergänzt und damit auch aufgewertet durch institutionalisiertes Totengedenken der Kirche, die traditionellerweise „als Verwalterin der Toten agiert“[22].

Die Integration ehemaliger NationalsozialistInnen, insbesondere der „Heimkehrer“, ins kirchliche Leben war der katholischen Kirche – ebenso wie den politischen Parteien - ein ernstes Anliegen, das mitunter seltsame Blüten trug und nicht einmal den direkten Vergleich des christlichen Opfertodes durch Jesus mit dem soldatischen Tod scheute. Bei der Enthüllung des „Vorläufermodells“ des Heimkehrerkreuzes (aus Holz und zehn Meter hoch) am Zollfeld[23], hieß es seitens des Fürstbischofes Joseph Köstners sehr eindeutig:

„Heimkehrer haben dieses Kreuz errichtet und damit ein herrliches Zeugnis abgelegt von Kameradschaft und jenem echt männlichen [sic!] christlichen Glauben, der unsere Heimat groß gemacht hat. Dieses Kreuz hier schließt in sich alle die unzähligen Kreuze auf den Grabhügeln in aller Welt und damit viel Todesnot, viel Tränen und viel Leid. […] Wenn ich dieses Kreuz segne, segne ich alle Gräber in Europa und Afrika. So wie der Tod des Erlösers am Kreuze ein Opfertod war für Milliarden, war auch ihr Sterben ein Sterben für uns, für die anderen, für die Heimat, ein Opfer für die anderen. Deshalb war ihr Sterben sinnvoll, weil es ähnlich war dem Opfertod des größten Helden der Weltgeschichte.“[24]

Die Egalisierung des christlichen Opfertodes mit dem soldatischem findet neben der gesprochenen Bezugnahme auf den alljährlichen Ulrichsbergfeiern[25] und dem offenkundigen Symbol des Kreuzes noch andere Entsprechungen auf symbolisch-gestalterischer Ebene der „Gedenkstätte“: Einerseits die Kapelle selbst, deren Glocken („Europaglocke“, „Kärntenglocke“ und „Kameradenglocke“) bei den jährlichen Gedenkfeiern den ökumenischen Gottesdienst[26] einläuten, insbesondere aber der „Altar“[27] im Kappelleninneren, der sich, der christlichen Tradition folgend, im Osten befindet und eine symmetrische Achse mit dem Portal im Westen bildet. Von diesem nunmehr nicht mehr Gott, sondern dem „Unbekannten Soldaten“ gewidmeten, steinernen Altar erhebt sich ein meterhohes Birkenkreuz, wobei der „Opfertisch“ wie auch der gesamte Apsisbereich mit rötlichen Marmortafeln „verkleidet“ wurde, die in buchhalterischer Manier Kärntner Ortschaften mit ihrer jeweiligen soldatischen Opferbilanz (Todesopfer und Vermisste) auflisten, tabellarisch geordnet nach ersten und zweiten Weltkrieg bzw. Abwehrkampf.

Fortsetzung: Samstag, 3. Jänner 2004

[15] Jörg Haider, Ulrichsbergrede, 02.10.2000
[16] Norbert Rencher, Ulrichsbergdokumentation, S. 6.
[17] Die Bezeichnung Vaterstadt (gemeint ist Klagenfurt) findet sich in: Norbert Rencher, Ulrichsbergdokumenation, S. 11.
[18] Ruth Klüger, weiter leben. Eine Jugend, München 200110, S. 12.
[19] Die Straße ist im Regelfall (außer dem Tag der Gedenkfeier) durch einen Schranken kurz nach dem „Kollerwirt“ für den öffentlichen Verkehr gesperrt und nur anlässlich der Ulrichsbergfeier geöffnet.
[20] Ruth Klüger gebrauchte den Ausdruck des Kitschdenkens im Zusammenhang mit der Frage, ob die Namen der KZs wie Buchenwald und Birkenau eine sarkastische Verhunzung der deutschen Romantik durch die Nazis gewesen sei, oder ob die klingenden Namen lediglich die „natürlichen Einfälle des Kitschdenkens“ seien, die der Verharmlosung und Vertuschung Vorschub leisten. Vgl. Ruth Klüger, weiter leben. Eine Jugend, München 200110, S. 114. Die Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit dem Ulrichsberg erscheint mir insofern legitim, als dass auch hier der Heimatdiskurs mit seiner scheinbaren Idylle Teil einer Verharmlosung der dort propagierten, an NS-Ideale angelehnte Grundhaltungen ist, die unter dem Mäntelchen einer angeblich europäischen Friedensfeier ehemalige Wehrmachtssoldaten, Kollaborateure, NS-SympathisantInnen und Neonazis eint.
[21] Vgl. dazu Reinhold Gärtner/Sieglinde Rosenberger, Kriegerdenkmäler. Vergangenheit in der Gegenwart, Innsbruck 1991, S. 29.
[22] Ebd., 26.
[23] Dieses Holzkreuz stellte das nicht nur das erste Heimkehrerkreuz, sondern überhaupt das erste Kriegerdenkmal dar, „das der Kamerad dem Kameraden schuf“. (Zit. nach Volkszeitung, 11.10. 1947, S. 2). Es fungierte praktisch als „Provisorium“, bis ein Ideenwettbewerb für das „Ehrenmal auf dem Zollfeld“ (1953) eine endgültige Entscheidung über die Gestaltung des „Ehrenhains“ bringen sollte. Gemäß dem ursprünglichen Plan sollte das „Heimkehrerehrenmal“ nicht am Ulrichsberg, sondern auf kirchlichem Grund in Maria Saal am Zollfeld errichtet werden. Da die diesbezüglichen Verhandlungen zwischen der Gesellschaft zur Errichtung eines Ehrenmales auf dem Zollfeld und dem Gurker Ordinariat scheiterten (1954), kristallisierte sich als Alternative der geschichtsträchtige Ulrichsberg heraus, dessen Besitzer Graf Goess sich mit der Nutzung des Ulrichsberges als „Heimkehrergedenkstätte“ ohne zeitliche Begrenzung einverstanden erklärte. Das „Heimkehrerkreuz“ am Ulrichsberg sollte – so Norbert Rencher - die erste Etappe eines Ehrenmales sein, an dem für den Frieden gebetet und an dem sich ehemals feindliche Soldaten die Hände reichen sollten (vgl. Norbert Rencher, Ulrichsbergdokumenation, S. 20).
[24] Fürstbischof Köstner, zit. nach Volkszeitung, 11.10.1947, S. 2 („Der Dank der Heimgekehrten“).
[25] Die erste Gedenkfeier mit Grundsteinlegung für das „Heimkehrerkreuz und der kirchlichen Weihe fand am 12.10.1958 statt.
[26] Der ökumenische Gottesdienst umfasst neben den Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche auch noch einen Vertreter der Altkatholiken.
[27] Das Wort Altar leitet sich vom lateinischen alta ara ab, dessen Bedeutung etwa im Bertelsmannlexikon mit „erhöhter Opferplatz“ übersetzt wurde.
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