2002-10-15
Due cani, che sanno di vernice e di velocità
Ein Statement über Christian Gassers 'Redhounds'
9 durchnumerierte Bahnschwellen, monumental, nebeneinander an der Wand stehend, 2 Windhunde aus massivem Eisen vor der Wand hängend, der eine mit dem roten Lack von Ferrari, der andere mit jenem von Alfa Romeo grob gestrichen; beide laufen in Richtung eines Videos, in welchem einer Frau ins Gesicht geschlagen wird. 'REDHOUNDS', die neueste Arbeit von Christian Gasser wird die österreichische Kunst nicht unbeeinflußt lassen. So viel steht fest.
'Der Erschießungsstuhl von Salt Lake City', die 'Bleikreuze' oder 'Der Zwerg und die Mädchen'. Wenigstens eine dieser Arbeiten von Christian Gasser aus den letzten Jahren hätten uns einen Irrtum bemerken lassen müssen, einen Irrtum, dem wir bei der Betrachtung von Gassers Arbeiten aufgesessen sind, einen Irrtum, der jetzt von den 'REDHOUNDS' endgültig offen gelegt wird.
Abkehr von der Moderne
Wie oft haben wir versucht, Gasser in die vornehmste Tradition des 20. Jahrhunderts einzureihen. Ihn an das Ende einer Reihe zu stellen, deren Anfang Marcel Duchamp markierte, die mit Piero Manzoni, Lucio Fontana und Yves Klein ihre Fortsetzung erfuhr, die sich mit Rauschenberg, Liechtenstein und Warhol in das Weltgedächtnis meiselte, wie das R.I.P. in einen englischen Grabstein, die mit Vostell, Beuys und Paik geradezu einen theoretischen Unterbau erhielt, und welche - zumindest aus meiner Sicht - in den Arbeiten Rudolf Schwarzkoglers ihren wohl besten Ausdruck fand. Eine Tradition der es schließlich gelang, "..., Kunst nicht als illusionistisch abgehobene Scheinwelt, sondern als dem Leben bis zur Identität angenäherten Prozeß erscheinen zu lassen." (Jürgen Schilling, 'Aktionskunst', 1978, Verlag C. J. BUCHER).
Christian Gasser gehört dieser Tradition (die Akademie hat ihr die Bezeichnung 'Moderne' verpaßt) nicht mehr an. Die Arbeiten Christian Gassers haben einen Wandel durchlaufen. Die 'REDHOUNDS' sind keine ästhetischen Objekte mehr, die nichts außer sich selbst bedeuten. Das sind nicht mehr Gegenstände, die ihren Platz ohne Distanz in der Realität fordern. Diese Arbeit ist schwanger an Bedeutung. Dieser Arbeit liegt eine Semantik zu Grunde, welche den Betrachter ordentlich in die Pflicht nimmt. Diese Arbeit kann ohne den Betrachter nicht gedacht werden. Vielmehr ist es so, daß sie vom Betrachter gelesen und damit rekonstruiert werden muß.
Ich warne aber alle vor der postmodernen Keule. Dieser kümmerliche, gegenständliche und illusionierende Versuch einer Antithese zur Moderne wird Makulatur bleiben und hat nichts mit dem zu tun, was Christian Gasser macht. Wenn man schon eine neue Zuordnung seiner Arbeit versuchen wollte, dann zu einer Entwicklung, wie sie Heinrich Klotz als 'Zweite Moderne' beschreibt: "... sind es nun die sebstbegründeten Vokabularien, welche die Kunst [...] der Gegenwart wieder mit der Wurzel der Modernen verbinden. 'Neue Abstraktion' und 'Dekonstruktivismus' sind die ästhetischen Ausdrucksweisen am Anfang einer Zweiten Moderne." (Heinrich Klotz, 'Kunst im 20. Jahrhundert, 1999, beckische Reihe).
Die 'semantische Abstraktion'
'Ich mag keine Spompanadln', gibt Christian Gasser selbst die Richtung vor, in welcher eine Entschlüsselung seiner Semantik (um nicht gar von Ikonologie zu sprechen) gelingen kann. Die Abstraktion, begriffen als reduktiver Prozeß, erfolgt hier nicht mehr am Kunstgegenstand, sondern sie erfolgt in seiner Semantik. Weg mit all den Dingen, die uns den Blick auf das Zentrum verstellen. Weg mit all der Scheiße, die die Gehirne global zumüllt. 'Mich interessiert nur Sexualität, Gewalt und Tod.', sagt Gasser und ich frage: 'Was sollte es auch sonst noch geben?'.
Das Tryptichon 'REDHOUNDS' ist ein Monument dieser 'neuen Abstraktion', einer Abstraktion, die ich 'semantische Abstraktion' nenne. Diese Arbeit ist ein Lügendetektor, weil sie keine Schlupfwinkel bietet. Man kann sich ihr nicht mit dem Hinweis auf formale Inkonsistenzen oder weiß der Kuckuck welch anderen Einwänden entziehen. Diese Arbeit legt ihre Hand in unsere Wunde. Sie ist die ultimative Metapher für die kulturelle und gesellschaftliche Traumatisierung, der wir uns in diesem angehenden Jahrhundert gegenüber sehen.
Da stehen 9 Bahnschwellen, die einst gigantischen Tonnagen als Basis gedient haben, zwei Windhunden aus massivem Eisen gegenüber, die mit unübertrefflichem Raffinement in einer geradezu Federleichtigkeit vor der Wand hängen und auf ein Video zuzulaufen scheinen, in welchem einer Frau ins Gesicht geschlagen wird. Das alles kann man sehen. Was man nicht sehen kann, ist die abgrundtiefe Brutalität, mit der Gasser hier seinen Satz so formuliert, daß es nur mehr Ohnmacht ist, derer man sich bewußt wird. Und das ist die eigentliche Abstraktion. Die Reduktion unserer komplexen Egos auf Angst und Wut, die beiden einzigen Emotionen, zu denen wir letztlich wirklich fähig sind. Kraft und Geschwindigkeit, Macht und Repression, Verletzung und Ohnmacht; das sind die kulturellen und gesellschaftlichen Sublimationen dieses genetischen Erbes tief unten in unseren Stammhirnen. Diese Realitäten wegzudesignen und aus dem Blick zu bringen, ist das eigentliche Trauma, welches uns die neoliberale Globalisierung zufügt.
'REDHOUNDS' ist eine perfekte Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Befindlichkeit, die gültige Reflexion einer sich immer rascher verbreitenden sozialen Pathologie. Und nichts fürchtet der Blender mehr als den Reflektor. Damit wird diese Arbeit zu einer scharfen Waffe im sozialen Raum, dessen sich ein gigantischer Moloch immer mehr zu bemächtigen anschickt. Wir werden sehen, wie lange es sich die diversen Bi- und Quintennialen noch leisten werden können, Christian Gassers Arbeit zu negieren.