1999-10-16
WORTBRUCH
Betrachtung der Augenblicke
Wolfsberg, 18. Oktober 1956, 23.45 Uhr
... andere arbeiten, und ich komme in ihre Arbeit. Nur durch lautes Schreien kann ich die Zangengeburt beenden. Mutter steht noch unter dem Einfluss der schmerzbefreienden Medikamente. Ich überstehe meine Geburt ohne sichtbare geistige und körperliche Schädigung ...
St. Paul/Lav., 29. Mai 1960
... der Arzt beruhigt meine Mutter. Das Stottern und die Wortfindungsschwierigkeiten sind für mein Alter normal. Ich muss keinen Sonderkindergarten besuchen ...
St.Paul/Lav., 5. Mai 1962
... als Dispenskind werde ich von der allgemeinen Vorschrift das Schreiben und das Lesen mit sechs Jahren zu erlernen vorübergehend für ein Jahr befreit. Zum Trost schenkt mir Tante Fani einen Kompass ...
... UND DANN MIT DEM GRIFFEL RITZEN...
St. Paul/Lav., 9. September 1963
... die Einschulungswörter der Tante Fani spinnen den Ernst des Lebens in die Abendsonne der Herbstnachmittage. Zum erstenmal erlebe ich die Qualen der Buchstaben. Meine minimalen unsichtbaren cerebralen Disfunktionen entwickeln eine Schwäche für das Schreiben ...
St. Paul /Lav., 28. Juni 1967
... die Spiele der Freunde streichen sich ihr verschwitztes Butterbrot, während mir trotz vierstündiger Nachhilfe die Gesetzmäßigkeiten der deutschen Sprache fremd bleiben. Nach der Aufnahmsprüfung ins Gymnasium begrüßt mich Onkel Alfons mit einem lateinischen Satz . Ich frage mich, wieso vergisst er immer auf das versprochene Taschengeld...
.... UND DANN MIT DEM GRIFFEL ZEICHNEN...
St. Paul /Lav., 15. August 1974
... die erste Nacht ist alt und der biologische Orgasmus wie gewöhnlich vorzeitig. Erst im Sitzenbleiben, im Betrachten der hautlosen Augenblicke, spürt die Einsamkeit die verschleuderte Lust, während du mit Morgengrauen im Hammerschlag der Zeit gehst...
St. Paul /Lav., 25. Mai 1975
... nach der Reifeprüfung lädt mich Ernst auf ein Bier ein, erzählt mir von Zypern und seinen Lebenssinn. Seit seinem Unfall treffen wir uns am Friedhof der Erinnerung...
Salzburg, 1. Oktober 1975
... um 11.45 wird Dieter durch einen Funkgefreiten von der behördlichen Existenzberechtigung ausgeschlossen. Hans darf dienen, hat aber auch nie den Dom gesehen...
Graz, 1. Oktober 1976
... Hans wird als Sozialarbeiter abgelehnt. Seither studiert er das Verhalten der Schmetterlinge...
.... UND DANN MIT DEM GRIFFEL REIBEN...
St. Paul /Lav., 28. Feber 1978
... und im Jagdzimmer der Gefühle, unter den Trophäen seiner Zeit liegt ein schwarzgekraustes Buch. Die Zunge der Augen schleckt am Salz der Wörter, im Umblättern der Seiten entsteht unbekannte Gier. Braune Augen schlafen und nur der Dackel schaut gelangweilt zu...
Graz, 20. Dezember 1983
... die schwarze Robe, das erbeutete wissensschaffende Wort, fordert den Schwur der Treue. Mutter lächelt zufrieden und Vater bleibt sitzen, während Elizabeth mit dem Tod kämpft und Matthias in seiner Geburt stecken bleibt...
.... UND DANN MIT DEM GRIFFEL SUCHEN...
Bodensdorf, 31. Oktober 1985
... und zufällig öffnete der Augenblick die Badezimmertür während die Hausfrau sich rasiert. Die Entschuldigung, ein Hauptwort beschließt die Gegenwart, die Eigenschaftswörter der Sehnsucht bleiben haltlos...
Villach, 2. August 1986
... die Architektur der Wörter nimmt sich ein Taxi nach Venedig. Die Erkenntnis, das die Wege der (T)räume unter Wasser liegen, bestätigen Hans in seinem Entschluss Butler zu werden...
Zwischendurch Irgendwo
... stürzt sich die Langweile der Augenblicke mit Wörter tot. Die Patenzettel der Gedanken hängen im Aktenordner der Einsamkeit. Während die Stadt das kristallsplitternden Lei Lei singt, setzt sich die Scham der Scham einen Kübel auf, nimmt das nächste Wort, verschreibt ihm die ewige Treue des Stundenvaters...
Klagenfurt, 26. Februar 1991
... in der Nierostwanne reiben Schwesterhände Blut aus deinem Greisgesicht und Vaters Hilflosigkeit steht im Kreissaal
stolz, wie ein Beamter
.... UND DANN MIT DEM GRIFFEL HASSEN...
Sveti Ivan, 27. August 1993
Damals
im Verlaufen unseres Gespräches, in der Isolierung des Schreibens
erübrigen sich die weiteren Erörterungen
der zeit- und zufallsbedingten Voraussetzungen
meiner Wortsucht,
da jedes Wort
nur mehr wohlbekanntes Zitat,
Vergangenheit ist,
keine Entschuldigung
für den
Wortbruch
der
Muttersprache...
Villach, 30. Jänner 1994
... das Wort an und für sich ist geschlechtslos und hebt die, ihm durch die Gesellschaft und Geschichte bedingte Konnotation der aufoktruierten Geschlechtertrennung in der Mehrzahl wieder auf. So sind in der Mehrzahl Hausmänner weiblich und für gewöhnlich ist das Kurzzeitgedächtnis der Hausfrau gut entwickelt, es erzählt ihr Leben. Der Mond klemmt zwischen ihren Augen, frisst sich durch ihr Gehirn und die Hausfrau wird süchtig ob der obskuren Begierde ihres Alltags. Ihre Heimat ist dort, wo sich Erinnerungen verabschieden, ein Kindergesicht zur Fotze wird. Gegen 22 Uhr leert sich die Lücke...
.... UND DANN MIT DEM GRIFFEL STERBEN
Wolfsberg, 22. Juni 1995
... und irgendwann stirbt das Vaterunser,
das Wort ist eine leere Hand,
für alles zu gebrauchen,
für gewöhnlich sind Söhne schüchterne Mörder
und ein Turnusarzt drückt Franz die Augen zu
.... UND DANN MIT DEM GRIFFEL REDEN
Villach, 18. Oktober 1996
... die Teufelskralle der Zeit sitzt in der Küche,
die Moritat des Mathematikers,
das zerdehnde Singen des Wortes
zeugt Räume
und im Sitzenbleiben
nimmt Hans den nächsten Zug
nach Kranska Gora
... UND DONN IRGENWONN MIT AN GRIFFEL TONZN
Villach, 16. Oktober 1999
... wia domols
werdn maine hend wida miad
da gedonkn ans lebnn
grobt in da erndn sai loch
und
derwal mai maul ane highl
aus vasprechungen wirft
kriacht da entrische wind
üba zuagmochte augn
ans ufa da hinkatn frogn
de liab is a troie
vull tramhapata kruckn
und wonn
a mai hond
zschpot onkhlokhn tuat
vagiß meina net
teadin
i hob diar jo nia
jo nia net
a rosngartl vasprochn