2002-11-24
Vom Wählen und vom Opium
Gedanken eines Nichtwählers
Das größte Defizit in einer Demokratie ist bei weitem nicht - wie man vielleicht vermuten würde - sein Budgetdefizit. Weit gefehlt! Das größte Defizit in einer Demokratie ist das Wissensdefizit ihrer Bürger. Ein Defizit, das immer gigantischere Ausmaße annimmt und darüber hinaus einen monatlichen Zuwachs erfährt, daß 'die Sau graust'. Und das hat Gründe. Und diese Gründe lassen einem vor Angst das Blut in den Adern gerinnen.
Oder wissen Sie, was die 4 Buchstaben 'GATS' bedeuten? Übrigens muß in diesem Zusammenhang auch 'MAI' nicht immer nur ein Wonnemonat sein. Holen Sie sich Infos über's GATS, wenn Sie wissen wollen, wie groß die Bereiche des öffentlichen Lebens sind, über die Sie mit ihrer sogenannten Wahl demnächst nicht mehr entscheiden werden. Was da von den EU-Kommissionen mit der WTO hinter verschlossenen Türen ausgedealt wird, das dürfen die Wähler in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten einfach nicht wissen.
Und deswegen sagt es ihnen auch keiner. Deswegen dürfen im ORF nur jene, sogenannten 'Parlamentsparteien' Redezeit beanspruchen, die dieses perfide Schweigen genauso gut beherrschen, wie die globalisierten Medien.
Oder hat Ihnen der Grüne van der Bellen erzählt, für welche europäischen Rüstungsinitiativen sein Abgeordneter Voggenhuber in Brüssel derzeit eintritt? Tja, darüber lesen Sie woanders.
Oder hat Ihnen der christlich-soziale Schüssel erzählt, daß er, mit wem er auch immer koaliert, gegen die Privatisierung weiter Bereiche des Gesundheitssystems völlig machtlos ist? Sie sollten übrigens sehr froh sein, wenn sie demnächst keine Dialyse benötigen, um am Leben zu bleiben.
Oder hat Ihnen der sozialdemokratische Gusenbauer erzählt, was er mit 'Schaffung neuer Arbeitsplätze' wirklich meint? Hat er Ihnen gesagt, wie impotent ein demokratisch gewählter Politiker gegenüber globalisierten kapitalistischen Strukturen wirklich ist?
Hat er Ihnen gesagt, daß neoliberale Arbeitsplätze nur dort entstehen, wo Löhne gezahlt werden, die für's Leben schon längst zu gering aber zum Sterben gerade noch zu hoch sind?
Hat er Ihnen gesagt, daß die heiß ersehnten Investoren nur dort Arbeit nehmen, wo 'eigenverantwortliche' Mitarbeiter für einen Hungerlohn jenes Risiko tragen müssen, für das jene die Renditen absahnen?
All das und noch viel mehr wissen wir nicht. Aber wir können sie wählen. Das beruhigt.
Wie Opium.
Stephan Jank, 24. November 2002, vor 17.00 Uhr