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2003-07-21 EUROTIK Früher schrieb man Liebesbriefe und schilderte mindestens eine Seite lang, wie schwer es einen ums Herz ist. Und um das Gewicht der Worte zu betonen, nahm man auch edles, schweres Papier. Zugleich in der weisen Voraussicht, daß Liebesbriefe wohlverschnürt über ein Leben lang aufbewahrt werden. Den Erläuterung der Herzensqual folgten die Beteuerungen, daß man ewig "Dein" oder "Sein" sei und nicht verzagen will im Schmerz der zeitbegrenzten Trennung, die wohl auch eine Prüfung der Treue wäre. Dann wurde eine Lilie gepreßt und beigelegt, mitunter auch drei Margeriten oder tränende Herzen. Auf jeden Fall kam ein Herz aus rotem Buntpapier dazu, hinten abgeschleckt und aufgeklebt. Bei sehr großer Innigkeit schnitt man sich eine Locke ab oder den Schnurbart und legte dies, verwahrt in Seidenpapier in einem zierlichen Extrakuvert dazu. Sehr gefühlvoll veranlagte ländliche Fräuleins opferten gleich einen ganzen Zopf. Die Liebesfracht wurde an die oder dem "Hochwohlgeboren" adressiert, und eine Marke je nach Symbolwert gedreht, dem Kuvert feucht küssend aufgedrückt. Sich im Liebesvorspiel steigernd, übermittelte man sich selbst mitunter als Porträtphotographie. Nicht ohne rückwärts Schiller oder Goethe zu zitieren. Oder gewagt und forsch erregt mit Francois Villon "Ich lieb ein Mädchen welches Margot heißt, sie hat zwei Brüste wie zwei Mandarinen" das Blut wallen zu lassen. Nun ja, ich tue das heute noch und mein Haarwuchs kommt für etliche Gramm leicht auf. Immer mißlicher aber wird es, Gefühl und Leid und Hoffnung samt Beigaben von da noch dort zu bringen. Da meine Liebe auf Dauer eingestellt war, habe ich mir einen ansehnlichen Vorrat an Marken der üblichen Tarife angeschafft. Doch die beste Regierung aller Zeiten lechzt gierig und unbedacht nach dem Gelde der Bürger. In Euro und Cent ganz unverschämt. Völlig unvermutet wurden die Beförderungsentgelte, wie das heißt, chaotisch irre in die Höhe geschraubt. Aus 51 Cent wurden 55, aus 58 gleich 75 und von 87 verteuerte sich meine Zuneigung auf 125. Für das übliche "Ich denke Tag und Nacht an dich" muß ich vier Cent dazupicken. In der Kategorie mit Margeriten müssen 17 Cent mehr daran glauben, um die Liebe nicht verkümmern zu lassen. Man beschafft sich also die Notausgaben von 4 und 17 Cent Märkchen. und kauft sich eine Briefwaage, um zu wissen, ob der wohlverpackte Kinnbart noch im Tarif ist. Wühlt also in 51, 58, 17, 4 und den vielen 87 herum. Am Freitag bekomme ich ein vortreffliches Bild im Großformat. So schön wie ich nie bin. Damit will ich mich natürlich hervortun. Zumal es scheint, die Liebste ermattet langsam in der Ferne. Diese böse Ahnung wirft noch in der Nacht ein ganzes Konvolut sehnsuchtsschwangerer Gedichte aus. Der Allerliebsten so direkt ins Herz geschrieben, übersteigen sie die 100 Gramm Grenze. Mit Photo und Blümchen und Bart, noch ohne Herzsticker, ganz erheblich. Mein höchster Wert ist der große Haufen von 87 Cent Marken, denen mit der Kuh. Auf den dringendsten Brief meines Lebens werden dank den chaotischen Steigerungen im "Österreich neu" mühsam vom Internet herausgeholt, 125 Cent verlangt. www.post.at versteht es, daß man erst über lang und breit und sechste Dimension da hin kommt, wo man mit einem Klick sein möchte. Ich kann alles, nur nicht rechnen. Wegen Rechnen habe ich noch immer keinen Volksschulabschluß. Meinetwegen wurde der Taschenrechner erfunden. Nach langem zu viel und zu wenig aller Wertkombinationen schlägt er mir die Kombination 87+17+17+4 vor. Das mußte ich durchstehen, weil Postämter Samstag Sonntag Sabbat haben. Aber eine Sonn- und Feiertagsentleerung. Welcher ich Liebesleid und Liebesfreud unter zusammen gestoppelten 125 Cent anvertraute. Ich habe aber das Gefühl, beim nächsten Tarifüberfall werde ich die Liebesbriefe gleich selbst zu einem Packerl verschnüren. So bleiben sie wenigstens, wie in alten Zeiten, erhalten. Es ist wunderschön, in einem so finanzgierigen Land zu leben, im dem sogar mit größter Mühe die einfachsten, privaten Bedürfnisse erfüllbar sind. Ich fühle mich überaus gelassen regiert.
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