2015-01-17
Institutionelle Gewalt: Einschließen – Ausschließen – Hierarchisieren
Vortrag Utta Isop, Dezember 2014
Viele Leute haben bereits die Dilemmata und Komplizenschaften von radikalen Bewegungen und Diskursen in akademischen Institutionenaufgezeigt. Beispielsweise sind akademischer Feminismus und Postkolonialismus voller Widersprüche, die in den unhinterfragten und nur selten bekämpften Hierarchien und Machtbeziehungen in der Universität oder dem College leben. Unsere Analysen von kulturellen Texten sind oftmals scharf und klug, scheinen aber niemals unsere institutionellen Kontexte, Diskurse und Prozesse zu betreffen: unsere Beziehungen zu den Kolleg*, den Studierenden, den Administrator* und weiteren Personen.“ (Aruna Srivastava ONLINE, Übersetzung Isop)
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„Der Entwurf der Autonomie (…) fordert über die Frage von Sex, Gender und Begehren hinaus –radikal die Abschaffung der Hierarchien als Teilung der jeweiligen Gesellschaft in Macht und Nicht-Macht, in 'höhere' und 'niedere' Statusgruppen, in mit Rechten und nicht mit Rechten ausgestattete Menschen u.v.m. Die Politik der Autonomie tritt für die Abschaffung von eindeutigen Identitätspolitiken ein, in denen die einen eingeschlossen, die anderen stigmatisiert, ausgegrenzt, marginalisiert, diskriminiert oder getötet werden. Demgegenüber geht es um die Institutierung der Gleichheit auf der Ebene der Macht der Gesellschaft, die keineswegs ein Naturzustand ist: als Möglichkeit der politischen Partizipation aller in der Anerkennung der jeweiligen anderen und letztlich für die Freiheit aller.“ (Gudrun Perko 2005 S.89)
Institutionelle Gewalt-Hierarchisieren, Einschließen, Ausschließen
Institutionelle Gewalt vollzieht sich als strukturelle einerseits durch das Einschließen und Hierarchisieren von Menschen innerhalb einer Institution und andererseits durch das Ausschließen von Menschen außerhalb derselben. Institutionelle Gewalt geht ebenso wie andere Formen struktureller Gewalt mit Traumatisierung, Verletzungen und Kränkungen nicht spurlos an den Betroffenen vorüber. Genauer gesagt, durch das Abschließen von Ressourcen einer Institution vor Menschen außerhalb derselben und entsprechend der Hierarchien auch innerhalb erfolgen Degradierung, Entwertung und Markierung von Personen. Ein Teil von uns ist in Institutionen eingeschlossen. Wir kommen nicht heraus, aus der Universität, dem Ministerium, der Bildungseinrichtung, dem Betrieb, dem Medium, der Firma, in der wir arbeiten. Jahrzehnte des Genießens und Leidens kommen und gehen. Wir schließen uns und andere ein und aus. Wir hierarchisieren und kränken uns selbst und andere. Wir zahlen mit Selbstaufgabe, Aushöhlung, Enthüllung, Verzicht und Leben. Die Institution fordert viel. Von manchen fordert sie alles. Und wir wandeln als institutionelle Hüllen unter den Menschen. Wir kommen nicht heraus, weil wir nicht wissen, wohin wir gehen sollen, gibt es doch wenige freie Lohnarbeitsplätze, die Bezahlung und Anerkennung versprechen. Und droht doch Arbeitslosigkeit, wenn wir einmal die schützenden und einschließenden Barrieren der Institutionen und Betriebe verlassen. Ein anderer Teil von uns ist ausgeschlossen. Wir warten Jahrzehnte auf die einmalige Gelegenheit einen Fuß in die Institution, in den Betrieb zu bekommen. Wir zahlen mit zeitaufwändiger Geduld, Zuwendungsakten und energieverschleißenden Geschenken an den Grenzen, Rändern, Öffnungen und zugänglichen Personen der Institutionen, Betriebe und Subkulturen. Wir versuchen, die schwer zugänglichen Institutionen und Währungen aus dem opaken Inneren der Institutionen und Betriebe für unser Eingelassen-Werden zu nutzen. Dienlich zu sein, als würdig und wertvoll für die Institution erkannt und belohnt zu werden, darauf sind all unsere Anstrengungen gerichtet, hat die Institution, der Betrieb einmal unser Begehren geweckt. Kummulieren doch alle Ressourcen und Aufmerksamkeiten innerhalb und zwischen den großen Institutionen und Betrieben, mit kleinen subkulturellen Ausläufern als Vermittlung. Und dann bleiben wir nicht nur auf unserem Begehren, gesehen zu werden, sondern auch noch auf der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, sitzen, außerhalb der Institutionen und Betriebe. Diese kurze Schilderung soll deutlich machen, dass wir die Prozesse des Einschließens, Ausschließens und Hierarchisierens oftmals dadurch rechtfertigen, dass nicht ausreichende Ressourcen innerhalb von Institutionen und Gesellschaften für alle vorhanden sind. Ich vertrete hier die entgegengesetzte These. Ich vertrete hier die These, dass es sich bei den Prozessen des Hierarchisierens, Ein- und Ausschließens nicht um notwendige Auseinandersetzungen rund um institutionelle Ressourcen handelt, sondern um libidinöse, sexuelle Prozesse, die auch in den sexuellen Praktiken ihren Platz finden sollen, aber in den Prozessen des Zugangs zu den institutionellen Ressourcen einer Gesellschaft nichts verloren haben.
Zur Dysfunktionalität von Hierarchien durch Krankheit und fehlende Achtung
„Gesellschaften mit einem hohen Grad an Ungleichheit werden von einem antiegalitären Geist durchweht, und der produziert schlecht funktionierende Institutionen,“ (Robert Misik ONLINE) resümiert Robert Misik in seiner Rezension des Buches „Gleichheit ist Glück“ von Richard Wilkinson und Kate Pickett. Gemäß der EpidemiologInnen Kate Pickett, Michael Marmot und Richard Wilkinson legen eine Fülle empirischer Studien nahe, dass die Kränkung, Abwertung und Erniedrigung durch unterschiedliche Einkommensverteilungen und durch hierarchisch organisierte Statuspositionen bedeutsam zu Erkrankungen von Menschen innerhalb von Institutionen und Gesellschaften gesamt beitragen. i
Beispielsweise zeigten die Whitehall Studien an mehreren zehntausend britischen BeamtInnen, dass die Personen in den unteren Hierarchien signifikant häufiger erkrankten und früher starben als die Personen in den oberen Hierarchien. Der psychosoziale Zusammenhang zwischen der sozialen und/oder ökonomischen Position und der Gesundheit eines Menschen verläuft über die Faktoren des Selbstvertrauens, der Entspannung, der Sicherheit und der Sensibilität für den eigenen sozialen Status und die damit einhergehenden Disprivilegierungsformen. Hierarchien in Einkommen und sozialen Positionen innerhalb von Institutionen, die stets mit Vergleichen, Bewertungen und Abwertungen und den damit verbundenen emotionalen Folgen von Scham, Ekel und Kränkungen verbunden sind,führen statistisch zu Krankheiten und zum Unbehagen aller beteiligten Personen. Niemand, auch, diejenigen, die teilweise von Disprivilegierungsstrukturen profitieren, bleiben von dieser institutionellen Kultur des Wertens und Abwertens, des Hierarchisierens, Ein- und Ausschließens emotional unberührt. Dennoch erhöhen sich die Kortisolwerte, die den Stress eines Menschen messen, bei Personen in den unteren Hierarchien und Einkommensstufenwesentlich deutlicher als bei anderen und führen nachweislich zu höherer Morbidität und Mortalität. Oder wie Wilkinson es ausdrückt:“ Wir haben Dutzende Studien ausgewertet, sie sprechen alle dieselbe Sprache: Massive Ungleichheit macht eine Gesellschaft ganz generell dysfunktionaler.“ (Richard Wilkinson ONLINE)
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In der organisationssoziologischen Literatur liegt eine funktionale Bedeutung von Hierarchien in der Entlastung der Vorgesetzten von der Achtung, dem Respekt, der Anerkennung und der Zustimmung ihrer Untergebenen. ii Die Handlungsketten in Betrieben und Institutionen sollen an zeitlicher Geschwindigkeit und Effizienz gewinnen, indem die Vorgesetzten nicht auf die Zustimmung und die Achtung der Mitarbeiter*innen angewiesen sind. In dieses Argument nicht integriert ist das Ausmaß an Zeit- und Effizienzverzögerung, das sich durch Widerstand von unten, geschönte Rückmeldungen, mangelnden Informationsfluss von unten nach oben, Privatisierungs- und Aneignungsprozesse auf Seiten der Vorgesetzten und nicht von unten kontrollierbare Korruptions- und Missbrauchshandlungen auf Seiten der Vorgesetzten ergibt. Aus dem Widerspruch einer im Anspruch sich als demokratisch verstehenden Gesellschaft einerseits und hierarchischen Institutionen und Betrieben andererseits, folgen die Versuche, Scheinpartizipation und Scheindemokratie zumindest punktuell auch in hierarchischen Institutionen und Betrieben zu simulieren. Diese „strategischen Einbindungen“ (Wilk/Sahler 2014) sollen über den geringen Gestaltungsspielraum, die nicht vorhandenen Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, die auf der Motivation der Mitarbeiter* lasten, hinwegtäuschen. Der geringe Gestaltungsspielraum ergibt sich aber nicht nur aus ökonomischen Zwängen, sondern auch aus hierarchischen Strukturen, die das Ausmaß an Einfluss je nach Position innerhalb der Hierarchie erhöhen oder reduzieren. Die Sozialisation innerhalb von Betrieben und Institutionen stellt eine der wesentlichsten Einflussgrößen in Bezug auf die Subjektivierungspraktiken und Organisierungsformen von Menschen dar. So verwundert es beispielsweise auch nicht, dass Flüchtlinge wie Emmanuel Mbolela weniger den Alltagsrassismus als den Rassismus der innerbetrieblichen Arbeitsverhältnisse anprangern. Mich überzeugen die Argumente der Effizienz von Hierarchien als Organisierungsform nicht, da ich die These vertrete, dass es sich bei den Prozessen des Hierarchisierens, Aus- und Einschließens um libidinöse, sexuelle Prozesse als Selbstzweck handelt. Diese aber werden, sei es aus Gründen der Prüderie und/ oder aus Gründen der Herrschaftslegitimation nicht als Selbstzweck angesehen. Wie aber können Gesellschaften auf Dauer demokratisch sein, wenn ihre Institutionen und Betriebe hierarchisch sind?
Zur Dysfunktionalität von Hierarchien für die Anliegen sozialer Bewegungen wie der feministisch orientierten Gleichstellungstätigkeit
Hierarchien, Einschlüsse und Ausschlüsse sind dysfunktional, weil sie kränken und krank machen. Sie sind aber noch aus anderen Gründen dysfunktional und dies im Besonderen, wenn es darum geht, die Anliegen sozialer Bewegungen wie postkolonialer, feministischer und queerer innerhalb von Institutionen zur Geltung zu bringen. Hierarchien, wie auch immer sie prozessiert und legitimiert werden, sei es durch unterschiedliche Einkommensverteilung oder soziale Herrschaftsformen (nach Begehren, Geschlecht, Herkunft, Fähigkeit) werden auch innerhalb sozialer Bewegungen wie der feministisch-queeren etwa äußerst selten explizit zur Sprache gebracht und als solche insgesamt in Frage gestellt. Meine Kritik an den Gleichstellungsstrategien vieler sozialer Bewegungen und im Besonderen der feministischen, zielt darauf, dass Gleichstellung in institutionellen Hierarchien nicht erfolgen kann, weil die Positionen eben hierarchisch und nicht horizontal organisiert sind. Die Scheinpartizipation, Scheindemokratisierung, die Verbiegungen und Paradoxien, die durch Gleichstellungsarbeit innerhalb von hierarchischen Betrieben und Institutionen nötig werden, ziehen eine nicht endende Fülle an Ansprüchen immer neu auftauchender „Kategorien von Menschen“ nach sich. Sobald ich die Ansprüche einer Gruppe von Personen und ihre Disprivilegierung als legitime Argumentation dafür akzeptiere, innerhalb sozialer und ökonomischer Hierarchien aufzusteigen, ermuntert dies viele weitere Ansprüche aller anderen, nicht beim sozialen Aufstieg erfolgreicher Personen. Die paradoxe Intervention von Einrichtungen, die innerhalb hierarchischer Strukturen für Gleichstellung sorgen sollen, führt einerseits zur Sisyphos-Tätigkeit, Mehrfachdiskriminierungen und intersektionalen Herrschaftsformen gerecht zu werden und andererseits dazu, dass gerade in den Momenten der Durchsetzung von Gleichstellung oftmals eine Entmachtung von Gleichstellungseinrichtungen erfolgt, weil sie ja für kurze Momente die gesamte institutionelle Legitimation von Hierarchien tatsächlich in Frage stellen (Stichwort „faktische Gleichstellung“).
Warum kapitalismusfokussierte Analysen für eine grundlegende Kritik an Hierarchien nicht ausreichen
Egal, welche theoretischen Begriffe für kapitalismusanalytische Ansätze angesetzt werden, seien es Klassenverhältnisse oder das Wertverhältnis als Fetisch, werden dennoch tendenziell andere Formen der Hierarchisierung, der Herrschaft und Diskriminierung ausschließlich in Bezug auf diese kapitalistischen Dynamiken gedacht und nicht als relativ eigenständige, geschweige denn als völlig eigenständige angesehen. Selbst für die Wertkritikerin Roswitha Scholz, die sich sehr sehr große Mühe gibt von einem identitätslogischen Denken abzugehen, das alle unterschiedlichen Formen von Hierarchien auf das kapitalistische Wertverhältnis reduziert, bleiben die Dimensionen der Wert-Abspaltung, die sich in Sexismen, Rassismen und Anti-Semitismen außerhalb des Werts bewegen, doch dialektisch auf den Wert verwiesen. Um es an einem Beispiel durchzudenken: dem Vatikan und der katholischen Kirche. Handelt es sich bei dieser kapitalismusanalytisch um eine Konzern, ein Unternehmen auf dem Markt der Religionen ganz ähnlich anderen Unternehmen auf anderen Märkten? Was das Ausmaß an Kapital und Eigentum betrifft, das die katholische Kirche weltweit umsetzt, würde dieser Schluss naheliegen. Was aber andere Hierarchien wie beispielsweise den Ausschluss von Frauen, das Zölibat, den Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen, den Ausschluss von Homosexuellen innerhalb der katholischen Kirche betrifft, so sind diese Ausschlüsse und Hierarchisierungen einfach nicht völlig und wenn nur äußerst partiell durch kapitalistische Logiken zu erklären. Die katholische Kirche ist wie Universitäten auch eine Institution, deren institutionelle Geschichte weit in vorkapitalistische Gesellschaften reicht, auch wenn sie aktuell sehr bedeutsam von neoliberalen und/oder fordistischen Beziehungsverhältnissen durchzogen werden. Die ersten Universitäten wurden ab dem 11. Jahrhundert (1108 Bologna, 1150 Paris...) gegründet. Die heutige Organisationsform der Universitäten geht auf Strukturierungen der frühen Neuzeit im 15. Jahrhundert bis 16. Jahrhundert zurück, in welchem die ordentlichen Professoren der Fakultäten den Senat bildeten und Dekan und Rektor gewählt wurden. Nun lässt sich argumentieren, dass frühkapitalistische Gesellschaftsformen einen massiven Einfluss auf diese Art der Organisierung von Universitäten und ihre zunehmende relative Unabhängigkeit (beispielsweise in Form einer eigenständigen Gerichtsbarkeit) von Kirche und Staat hatten. Dennoch lässt sich diese spezifische institutionelle Form der Organisierung nicht völlig durch kapitalfokussierte Analysen erklären, da die Institutionen selbst relativ autonome Logiken und Geschichten der Hierarchisierung hervorbringen, die sie, je mächtiger eine Institution ist, auch gegen die Logiken des Kapitals verteidigen. Das heißt innerhalb von Universitäten wirken insitutionenspezifische Logiken des Hierarchisierens wie dies Pierre Bourdieu etwa für die relativ unabhängigen sozialen Felder der Bildung und Kunst insgesamt usw. beschrieben hat, die zwar alle in Beziehung zum ökonomischen Feld stehen, aber nicht auf dieses reduzierbar sind.
Von Identitäten und Differenzen zu Organisierungsformen –von herrschaftsförmigeren Organsierungen zu weniger herrschaftsförmigen Organisierungen
Eine sehr große Schwierigkeit in Theorien der Differenz/en stellt für mich die Nicht-Unterscheidung von Hierarchien und Differenzen einerseits und die Nicht-Unterscheidung von herrschaftsförmigeren und weniger herrschaftsförmigen Organisierungsformen andererseits dar. Wenn wir davon ausgehen, dass sich Differenzen nicht von ihren Bewertungen und Hierarchisierungen lösen lassen, so bleibt wohl tatsächlich nur der Aufruf zur permanenten Selbstreflexion und Selbstkritik bezüglich der stetig von uns vorgenommenen Einschlüsse, Ausschlüsse und Hierarchisierungen, aber keinerlei alternative Organisierung. Wenn wir keine Möglichkeiten sehen, beispielsweise den Prozessen des Losens innerhalb einer Demokratie geringere Herrschaftsförmigkeit zuzuschreiben als den Prozessen der Wahl, so können wir folglich auch keine alternativen Organisierungsvorschläge zum Status quo einer Gruppe oder einer Gesellschaft erarbeiten. Was bleibt ist ein ewiges Konkurrenzieren einer unendlichen Kette von hierarchisierten Differenzen/Identitäten, die sich in der Artikulation ihrer eigenen Verletzungen einerseits und in Selbstkritik andererseits üben, ohne jedoch Verständigungen darüber zu fokussieren, welche Beziehungen, Organisierungen, welche Bündnisse und Formen des Zusammenlebens herrschaftsförmiger und welche weniger herrschaftsförmig sind.
„Flächige Machtbegriffe“ wie jene Foucaults beispielsweise, erleichtern die Unterscheidung zwischen Differenzen und Hierarchien nicht gerade. Wenn ich davon ausgehe, dass Macht an allen Orten in einer Gesellschaft auf dieselbe Weise ausgeübt wird und nicht zwischen der Machtausübung beispielsweise in sozialen Bewegungen einerseits und in Institutionen andererseits unterscheiden kann, entsteht in gegenwärtigen Philosophien der Eindruck als ob alle Personen in gleicher Weise gesellschaftlich hierarchisiert oder „normiert“ wären. Wenn etwa Butler davon ausgeht, dass der Preis für die Subjekt-Werdung die Unterordnung darstellt: „Lieber will ich in leben als gar nicht“ iii und sie davon ausgeht, dass das „Begehren zu sein“, das Begehren nach Existenz mit Unterordnung und dem Risiko der Ausbeutung bezahlt werden muss, so gilt das für alle Menschen in gleicher Weise und in jeder nur erdenklichen Organisierungs- und Gesellschaftsform. Eine Diskussion darüber, ob es möglicherweise Organisierungsformen gibt, in welchen geringere Ausmaße an Unterwerfung und geringere Risiken der Ausbeutung gegeben sind, macht unter solchen Prämissen keinen Sinn, was ich als äußerst problematisch empfinde.
Die beständig vorgenommene Kritik an Prozessen des Einschließens, Ausschließens und Hierarchisierens ohne jedoch jemals Differenzen und Identitäten von Hierarchien lösen zu können, führt zu einer Erstarrung im konkurrenzistischen Wettkampf von Gruppen darum, wer mehr Verletzungen, Kränkungen, Zurücksetzungen.
Von Hierarchien zu Differenzen-für alle, nicht nur für einzelne Gruppen!
Eine grundlegende und umfassende Hierarchiekritik findet sich nur marginal in den einzelnen sozialen Bewegungen, da es meist um die Bearbeitung einer Einzeldiskriminierung, einer spezifischen Herrschaftsform und der Vertretung spezifischer Interessensgruppen geht, ohne jedoch Hierarchien als Ganzes innerhalb der Institutionen, Betriebe und Gesellschaften in Frage zu stellen. Mein Nachdenken geht demgegenüber in die Richtung anarcha-feministischer Traditionen, dass nämlich spezifische Formen der Organisation dazu beitragen können, Hierarchien insgesamt für alle in Differenzen umzuwandeln. Dazu ist aber nötig, erst einmal zwischen Hierarchien und Differenzen zu unterscheiden und die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Organisierungsformen lebbar werden, die Differenzen befördern, ohne diese mit Bewertungen, Ab- und Aufwertungen zu versehen, ohne diese also zu hierarchisieren. Ein für mich sehr gangbarer Weg der Organisierung von Differenzen stellt bespielsweise das Losen von sozialen Positionen, politischen und ökonomischen Vertretungsstrukturen dar wie sie etwa der anarchistische Philosoph John Burnheim in seinem Begriff der „Demarchie“ anlegt, in welchem in Form einer gesellschaftlichen Utopie bedingungslose Grundeinkommen mit Prozessen des Losens in soziale Felder der Selbstverwaltung verknüpft werden. Diese Praktiken des Losens gehören für mich sehr eng zu einem queeren Verständnis des Verwischens von eindeutigen Identitäten. Der Zufall im Los kann meiner Auffassung nach Identitäten hervorbringen, deren Legitimität und Immunität als eindeutige auf die vielfältigen gesellschaftlichen Subjektivierungspraktiken hin geöffnet werden. Ich stelle die psychoanalytisch inspirierte These auf, dass die Prozesse des Hierarchisierens, des Ein- und Ausschließens nicht aus funktionalen Gründen der Effizienz so bedeutsam für Betriebe, Institutionen und Gesellschaften sind, sondern aus Gründen des Begehrens, Menschen unter- und überzuordnen, sie ein- und auszuschließen. Jedoch besteht über diese libidinösen Zentren von Institutionen möglicherweise aus Gründen der Prüderie und der Legitimation nur ein sehr marginalisierter Diskurs. Ich plädiere dafür, das Begehren, Beziehungen des Hierarchisierens, Ein- und Ausschließens zu leben, von den Zugängen zu Ressourcen innerhalb von Betrieben und Institutionen zu lösen und diese im Grunde libidinös-sexuellen Vorgänge in sexuellen Praktiken zu vollziehen wie es die BDSM-Subkulturen beispielsweise bereits jetzt praktizieren. Jedoch die Betriebe, Institutionen und gesellschaftlichen Beziehungen außerhalb von sexuellen Praktiken so frei als möglich von Prozessen des Hierarchisierens, Ein- und Ausschließens zu halten. Eine Gesellschaft, die demokratisch sein will, kann ihre Betriebe und Institutionen nicht autoritär und hierarchisch organisieren.
Endnoten:
[1]Aruna Srivastava
www.ucalgary.ca/uofc/eduweb/ (25.12.2014, 11:40)
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[2] Richard Wilkinson
www.zeit.de/ (25.12.2014, 10:40)
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Bibliographie:
Gudrun Perko (2005): Queer-Theorien. Ethische, politische und logische Dimenstionen plural-queeren Denkens. Köln Papy Rossa
Kate Pickett/ Richard Wilkinson (2010): Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Berlin: Tolkemitt Verlag
Michael Wilk und Bernd Sahler (2014): Strategische Einbindung: Von Mediationen, Schlichtungen, runden Tischen... und wie Protestbewegungen manipuliert werden. Lich: Edition AV'88
i „Aufgaben, die einen gesellschaftlichen Bewertungsdruck erzeugten (
etwa eine Gefährdung der Selbstachtung oder des sozialen Status), die also eine mögliche negative Bewertung der Leistung durch andere einschlossen, vor allem bei Aufgaben, deren Bewältigung nicht absehbar war, erzeugten höhere und gleichmäßigere Veränderungen der Kortisolwerte als Stresssoren ohne diesen spezifischen Druck“ (Wilkinson, Pickett: 2009 S.53)
ii „Sicherlich –es spricht wenig dagegen, wenn Mitarbeiter ihren Vorgesetzten auch persönliche Achtung entgegenbringen, wenn sie Anweisungen ausführen, weil sie von ihrer Richtigkeit überzeugt sind. Aber dies ist häufig nur in Schönwetterphasen der Organisation der Fall, wenn die Geschäfte gut laufen, keine einschneidenden Einsparungsmaßnahmen notwendig sind und die Mitarbeiter sich ihrer Position sicher sind. Aber Organisationen könnten nicht langfristig existieren, wenn ihre Mitglieder nur bereit wären zu folgen, wenn sie der Vorgesetzte auch persönlich mitreißt oder sie die Sinnhaftigkeit der Anweisung sofort erkennen.6 Welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch, dass die Führungskräfte durch die Schaffung einer Hierarchie von der Notwendigkeit der Achtung durch die Mitarbeiter entlastet werden?“
iii
https://books.google.at/
Quelle:
www.academia.edu/