2014-04-25
Subsistenz oder die Ökonomie der Anderen
Artikel zum Vortrag bei kärnöl am 25.Feber 2014.
Demgegenüber stehen die Stimmen indigener, feministischer und Alterglobalisierungs-Bewegungen: Diese heben das Ungleichverhältnis hervor, in dem nicht-monetär entgoltene Tätigkeiten zu Markt und Staat stehen. Sie zeigen wie Subsistenz – also die gemeinschaftlich organisierte Versorgung mit materiellen & immateriellen Gütern – Reichtum schafft und zwar abseits einer Wertgebung, die ausschließlich auf Geld beruht.
Subsistenz kommt vom lateinischen ‚subsisto’ also ‚stillstehen’, 'bleiben', 'widerstehen', 'zugrundeliegen'. In der antiken Philosophie und Theologie wurde damit 'das Bestehen durch sich selbst' gemeint. Die Bedeutung der materiellen Existenzgrundlage entstand erst Mitte des 20. Jahrhunderts.
Nach den philosophischen Diskussionen der ersten zwei Jahrtausende wurde Subsistenz also im vorigen Jahrhundert wirtschaftlich konnotiert. Und zwar zunächst als Gegenteil, aber innerhalb der Logik des kapitalistischen Wertesystems. Zu den Eigenschaften, die dem Begriff zugeordnet werden gehören: Abgeschlossenheit, sogenannte Unproduktivität (da unbezahlte Arbeit), Irrationalität bzw. Emotionalität, klein-bäuerliche Landwirtschaft und Kollektivismus – alles Eigenschaften, welche als Gegensätze zu 'Fortschritt' und 'Entwicklung' im Modernitätsdiskurs gesehen werden. Daher meine These, dass ‚Subsistenz’ bzw. 'Subsistenzökonomie' in den Wirtschaftswissenschaften und im politisch-wirtschaftlichen Mainstream als Ökonomie der Anderen konstruiert wird. (Die Bezeichnung Ökonomie der Anderen bezieht sich auf das oftmals unsichtbare westlich-europäische Norm-Subjekt, welches in Abgrenzung zum ‚Anderen’, dem 'Nicht-Europäischen', 'Rückständigen' produziert wird.)
Jüngere Ansätze betonen die Vielfältigkeit und Komplexität des Konzepts und bringen es in Zusammenhänge, die diesen einseitigen Zuschreibungen nicht entsprechen. Debatten zu dem Begriff finden sich im deutsch-sprachigen Raum (die ‚Urbane Subsistenz’ und die feministische Subsistenzperspektive) sowie im anglo-amerikanischen Raum – dort insbesondere in Alaska und Nordkanada. Diese Diskussionen haben gemeinsam, dass die Vorurteile in Frage gestellt werden, welche mit den Assoziationen 'ländlicher Anbau', 'Frauenarbeit' und 'indigene Wirtschaftsweisen' einhergehen. Sie widersprechen aber vor allem Einem: Der Gleichsetzung von Subsistenz mit Armut.
Ethnische Zugehörigkeit und Geschlecht
Subsistenz wird nicht nur mit Existenzminimum und sozialer Bedürftigkeit konnotiert, sondern auch mit 'Nicht-Westlichkeit' oder 'Indigenität'. Dies bezeichne ich als ethnisches Vorurteil, dem der Begriff unterliegt. Indigene Bewegungen im arktischen Raum versuchen den Begriff – der ohnehin mit ihnen assoziiert wird – mit neuen, positiven Bedeutungen aufzuwerten und zu instrumentalisieren: Z.b. mit dem Slogan ’subsistence is our way of life’. Die Kehrseite dieses Aneigngungsprozesses ist die kulturalistische Vorgehensweise, welche die Vorstellung von Subsistenz als ”Ökonomie der Anderen” verstärkt.
Ähnliches geschieht übrigens in feministischen Diskussionen, die darauf hinweisen, das unbezahlte Subsistenztätigkeiten überdurchschnittlich oft von Frauen verrichtet werden und in einem Ausbeutungsverhältnis zur männlich konnotierten Erwerbsarbeit stehen. Die Herausarbeitung dieser geschlechtlichen Dimension ist der Verdienst einer Gruppe von marxistisch geprägten Autor*innen im deutsch-sprachigen Raum aus den achtziger Jahren. In öko-feministischen Ansätzen, die darauf aufbauen, wird die ideologische Feminisierung von Subsistenz allerdings teils verstärkt: Wenn auch in einer positiven Umkehrung behauptet wird, Frauen seien der Natur und damit der Subsistenz näher, wird die ansich kritisierte dichotome Einteilung in Mensch/männlich/Erwerbsarbeit und Natur/weiblich/Subsistenz des westlichen Weltbildes übernommen.
Im Mittelpunkt der arktischen Debatte stehen die vielfältigen Beziehungen auf denen die menschliche Versorgung aufbaut. Sie zeigt die komplexe Interaktion zwischen Geld, Markt und Subsistenz. Diese sind nicht als starr getrennte Bereiche zu begreifen. Hier gibt es verschiedene Positionen: Beispielsweise die Ansicht, dass sich die Bereiche gegenseitig befruchten. Ich bin allerdings der Meinung, dass das Ausbeutungsverhältnis zwischen Markt/Staat und Subsistenzbereich durchaus problematisiert werden muss.
Subsistenz und die Bedeutung immateriellen Reichtums
Das, was auch heute noch unter 'Subsistenzwirtschaft' oder 'Subsistenzproduktion' verstanden wird, unterliegt einem, wie Marshall Sahlins (1972) es ausdrückte, neolithisch-bourgeoisen Vorurteil. Es werden nämlich die gleichen Annahmen und Werte wie für die Marktwirtschaft vorausgesetzt: Also knappe Ressourcen und endlose Nachfrage, sowie Luxus als Anhäufung materieller Güter und/oder Geld. Die Tatsache, dass es für eurozentrische Augen nach harter Arbeit und wenig Ertrag aussieht, lässt aber nicht pauschal auf Mangel und Entzug oder gar auf eine 'primitivere Wirtschaftsform' schließen.
Mit der Ausbreitung des Kapitalismus, der Industrialisierung und Urbanisierung wurde und wird Subsistenz durch eine arbeitsteilige Organisation ersetzt. Subsistenz im philosophischen Sinne eines selbstständigen 'Für-sich-seins' wurde als Wert geschwächt. Dies geschah zugunsten einer neu konzipierten 'Freiheit', die eigentlich Abhängigkeit von Dritten in der materiellen und immateriellen Versorgung bedeutet. Denn bei der sogenannten Befreiung von der Subsistenz geht es eigentlich um die ‚Befreiung’ von Subsistenz- oder Produktionsmitteln, wie insbesondere Land aber auch anderer Mittel zur gemeinschaftlichen Lebenserhaltung.
Die Kehrseite dieser philosophischen Verschiebung der Abhängigkeit ist der zunehmende Bezugsverlust zu unserem Trägerplaneten, der Erde. Ansätze wie Regionalisierung, urban und guerilla gardening, DIY, recycling und diverse solidar-ökonomische Projekte sind Tendenzen um sozusagen die „Füße wieder auf den Boden zu stellen“: In deren Rahmen werden Selbstständigkeit bzw. autonome Versorgungstätigkeiten wieder aufgewertet. Die Bedeutung immateriellen Reichtums für unser Glück – wie solidarische soziale Beziehungen, Kontrolle über Herstellung, Verteilung und Zubereitung von Lebensmitteln und ein bewusster Umgang mit der ökologischen Umwelt – rückt ins Zentrum des Interesses. Bei diesen Trends stellt sich aber schon auch die Frage in wie fern es sich dabei mehr um einen bestimmten Lifestyle handelt, als um den ernsthaften Versuch ein stabileres Versorgungssystem aufzubauen.
Subsistenztätigkeiten müssen jedenfalls immer wieder mit dem Widerstand eines Systems rechnen, dass dazu tendiert diese an den Rand zu drängen. Daher braucht es auch auf theoretischer Ebene eine Auseinandersetzung mit den Mechanismen der zugrunde liegenden Herrschaftsverhältnisse.
Mehr als nur Wirtschaft: Städtische Subsistenz und das Beispiel kärnöl
Subsistenz ist also ein normatives Konzept, welches sich auf das sozio-kulturelle System der materiellen und immateriellen Versorgung bezieht und bestimmte definierende Werte – wie Solidarität, Reziprozität, ökologische Vielfalt, Großzügigkeit und Nachhaltigkeit – einschließt. Der Begriff wird nun auch verstärkt auf ein urbanes Umfeld angewendet. Zur Subsistenz in der Stadt gehören beispielsweise urbane Landwirtschaft, VOKÜs und andere selbst-organisierte Gruppen aller Art, die weitestgehend marktfrei Versorgungstätigkeiten organisieren – und zwar materieller als auch immaterieller Art. Das Konzept der ‚urbanen Subsistenz’ kann sehr breit gefasst werden. Kulturelle und immaterielle Aspekte, die ansonsten oft ausgeblendet werden, kommen hier noch stärker zum Tragen.
Gerade bei kärnöl zeigt sich deutlich die Überschneidung der materiellen und immateriellen Bereiche und damit der sozio-kulturellen Dimension von Wirtschaft: Einerseits werden Nahrungsmittel verteilt - im Rahmen der Volksküche und anschließenden Veranstaltungen geht es aber auch um die geistige und 'seelische' Versorgung der Anwesenden. Es finden also verschiedene Aktivitäten statt, die auf Gemeinschaftsbildung und die Förderung guter Beziehungen ausgerichtet sind. Subsistenzorientierte Tätigkeit und Gemeinschaft kann ja durchaus äußerem Druck, zum Beispiel in Krisensituationen, entspringen. Das schöne bei kärnöl ist, dass dies (vornehmlich) aus einer inneren Motivation heraus geschieht.
Link zur Diplomarbeit der Autorin:
Subsistenz - Eine Anthropologische Begriffsanalyse. (Susanna Gartler 2011)
www.academicroom.com/