2014-01-27
EINE KLEINE SOZIOLOGIE - Teil II
Teil II
Bald schon ist die Zeit an mir vorbeigegangen, und ich werde zurückkehren auf Ödenstein in den steirischen Wäldern. Zu der Wildnis der Gemüter.
Jetzt, nach Ihnen, würde ich nahezu denn Sinn dieses Lebens in Frage stellen, wenn ich nicht wüßte, daß ich ewig bin. Im kurzen Stück meines endlosen Weges schienen Sie mir, Verehrteste, eine ganz besondere Begegnung zu sein.
Dem war nicht so. Sie war leider Gottes kurz, und erwies schließlich als das Zufallnichts einer Laune. Dennoch will ich mich ganz herzlich für die Lebensfreude bedanken, die sie mir gelegentlich geschenkt haben.
Man nennt mich auf Zaumklink und Ödenstein einen Wiedergänger. Das ist ein sehr trauriges, ewig suchendes Dasein. Von nächtlich grauer Leich zum täglich gehorsamen Staatsbürger, von der Gruft in die Bibliothek, vom Vampierln zum Alkoholismus.
Ob ich wirklich einer bin, ist fraglich. Ihnen, hoffe ich, schien ich doch nicht allzu schauderhaft?
Nahezu alles Lebende neigt dazu, in Liebe zu fallen hier auf Erden. Demnach scheine ich eher von der lebenden Seite betroffen zu sein. Dann ist es aber nicht weit her mit der Wiedergängerei. Ganz wirklich, allerdings wird aber kaum noch geliebt. Meist nur, Sie wissen es, meine Bekubabana-Schöne, in mystischer Verzauberung. In kopflos entrückter Entzückung. In Nächten, wo das Eiweiß glüht -
Auf Ödenstein werde ich Naphta, Eva Maria und Marja wieder treffen. Ich werde mehr am Friedhof sein als zuhause im Schloß, meinem Ruf zuliebe. Und ich werde die Verwünschungen hören von den Leuten im Dorf. Hinter Bäumen und Sträuchern werden sie mit schlotternden Knien ihre Schrotflinten, mit denen sie in unseren Wäldern wildern, auf mich anlegen. Mich aber nicht töten, weil ich ja wiederkommen könnte. Sie werden mich hassen, wie mein Onkel es angeordnet hat.
Seine Prämie für meinen Kopf plagt dauernd ihre Gier. Aber keiner wagt es, von mir nächtens als Mörder besucht zu werden, und tags darauf mit den besagten Stigmen in einer der Ödensteingrüfte zu erwachen.
Sie werden dort immer meine Wege säumen, geldgierig, haßerfüllt und unschlüssig zwischen Angst und Mordlust. Und die schönen steirischen Waldfrauen werden sich in schwülen Sommernächten mit mir in AlpLustTräumen winden, und des Morgens angstvoll ihre Brüste nach Bißspuren absuchen.
Ich werde mir die Gruft anschauen, in welcher Sie einst an meiner Seite hätten liegen sollen. Es tröstet mich, daß sie zu schön und zu gut für dieses kleine Schloß in den düsteren, steirischen Wäldern waren. Obwohl sie es schöner gehabt hätten bei mir, als mit diesen eigensüchtigen Zentauren dort, der Ihnen selbst am schönen, weißen Kieselstrand nie wirklich zugetan ist. Weil sich das, was wir einst Gefühle nannten, bei ihm ganz wo anders regt. Aber Hauptsache, Sie lieben ihn und geben sich hin. Das ist ja der Zentauren und vorwiegend Ihres Mördaks um und auf.
Seltsam, wenn der Mördak keuchend auf Ihnen lastet, verklärt Ihr Geist ihn noch immer mit göttlicher Reinheit. Ja, selbst wenn er Sie gewaltsam gefügig macht, ist er die edle, lautere Bestie.
Im schweigenden Blick meiner Schwermut aber vermeinten Sie nur lüsterne Besitzgier und versuchte Schändung zu spüren. Nahm ich Ihnen zärtlich sanft die Stola von der Schulter, so fühlten Sie sich schon schamlos enthüllt. Reißt Ihnen der gereizte Zentaur das Höschen samt den Strümpfen vom Unterleib, dann jubeln Ihre Sinne, ob des heißliebenden, ungeduldigen Begehrens. Und mit lächelnder Nachsicht recken Sie ihm Ihre feucht entblößte Lusthöhle entgegen.
Womöglich hätten Sie Ödenstein verklärt und unsere friedlichen Wälder erhellt. Womöglich hätten sie den Zwist in der Seele der Leute entkräftet, und wären selbst sehr glücklich geworden in unserer sonnigen Stille. Die Unrast hätte ein Ende gehabt, meine Cousinen und meine Frau, ja selbst Naphta hätte ein friedlicher Schlummer erlöst. Denn nur verklärte Liebe kann erlösen.
Ja, ich weiß, ich habe Ihnen unzumutbare Liebe zugemutet. Aber mehr, als nur durch meine tiefste Zuneigung, wären Sie belohnt gewesen dafür mit einem wunderbaren Leben. Ich kenne das unsichtbare Bildnis Ihrer Seele und weiß, daß der weiße Kieselstrand von Bebukabana nur ein Nervenkitzel, ein Kirchtagstanz ihrer Gemüter ist, eine bald welkende Rose. Ich wußte sogar, daß man Sie eines Tages hinausschmeißen wird aus den Universum
, das bekanntlich keine Hintertürln hat.
Es war sehr ungeschickt von mir, ihren Blicken, Ihren Worten und Ihren Andeutungen zu glauben. Es ist mir auch sehr peinlich, nein, nur bedauerlich, sentimental gewesen zu sein. Man sollte die Seele nicht vor gefühlsblinder Schönheit entblößen. Denn Schönheit und Herzenswärme sind zwei verschiedene Stiefel.
Meine Großmutter hat mich gelehrt, die Seele der Menschen zu entschleiern. Aber gerade über Ihre, meine allerfernste Sonne, habe ich, ich selbst einen Schleier gelegt. Und nicht nur das. Ich habe mich bis unter die Haut, bis in die Eingeweide vor Ihnen prostituiert. Wohl weil ich glaubte, in Ihnen die Grande Dame meines Lebens zu erkennen. Oder weil Sie Naphta ähnlich waren, weil sie mir eben wie eine neuerliche Wiederkunft meiner unvergeßlichen Nathalia Valerie erschienen.
Und ich habe mir unverzeihlich erlaubt, der Seele den Vorrang zuzugestehen gegenüber den geschlechtlichen Trieben. Ich dachte wirklich, daß Ihnen Orgasmen nicht mehr als Seifenblasen wären, obwohl ich sogar wußte, daß Sie sich selbst befriedigten, und, das weiß auch ich als Onanist, es immer noch tun. Ein Penis allein tut es nicht, denn er ist launisch, mimosenhaft und unzuverlässig. Als Frischkost manchmal nicht zu verachten, aber nichts gegen Ihre Dildosammlung mit Supervibratoren, überlang und überdick mit ausgeprägter und praller Äderung, und allen Glitsch-, Gleit- und Duftmitteln dazu.
Man kann sich also irren und irrt sich dauernd in den Erscheinungen dieser Welt. Selbst wenn Visionen anmuten, solche des Herzens zu sein. Möchte man aber gar Zuneigung und Beachtung finden, dann soll man nicht sich selbst, sondern die anderen dazu bringen, sich zu prostituieren.
Man soll Liebe nie bereuen. Keine Liebe. Und doch habe ich das Gefühl, einmal in meinen vielen Leben zu viel und viel zu aufrichtig geliebt zu haben. Es ist daraus ein Dilemma geworden, welches diese Briefe an Sie sehr deutlich aufzeigen. Denn man war im Grunde schon zu alt geworden für solche Gefühle - ( Ich weiß, man ist nie zu alt für die ~. Ich kenne etwa tausend solche stehende Redensarten, die völlig obsolet und nur zwangsweise richtig sind).
Dennoch, aus diesem in Ihr Sonnensystem, aufrichtigst Ihr
Karem von Zaumklink
Mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Gösta Maier, "EINE KLEINE SOZIOLOGIE", Fragment (2003?)