2014-01-25
EINE KLEINE SOZIOLOGIE - Teil I
Teil I
Leben war immer ein Kampf ums Dasein. Zuletzt noch einer um dich. Die du allerdings unwiederbringlich aus dem Universum hinausgeschmissen bist. Hinein in den tiefsten Orkus alles Seins. In die endgültigen Schwerkraftzentren, in die großen, saugenden schwarzen Löcher toter Sonnen. Auf den Mist der dichtesten Materie gewissermaßen. Ein Kubikzentimeter dort wiegt dort fünf Zentner. Du also gar nichts.
Trotzdem schreibe ich Dir. Oder besser Ihnen, seit dem Bruch, der Entzweiung, seit Sie der Zentaur fasziniert. Sie, ein gewichtloses Nichts und er einer, der großmäulig zentnerschwere Weiber stemmen wollte. Aber das ist euer Problem.
Es gab einst eine Welt, die versunken ist in diesem Jahrhundert. Die schlechteste nicht. In ihr war die Not groß, Hunger Kälte und Obdach kaum zu meistern. Aber die Menschen wurden nicht zu Millionen abgeschlachtet. Die Triumphe der Grausamkeit hielten sich in Grenzen. Noch galt Mord nicht als Vergnügen. Ja, die Kaiser und Könige waren schrecklich, und der Adel, sagt man, unerträglich. Man saugte den Leuten das Blut aus.
Das ist nun viel besser geworden. Im fortschrittlichsten aller Jahrhunderte, dem demokratischen, saugt jeder an jeglichem, unbedacht des Standes und der Würde. Es ist vorbei mit Privilegien und erblicher Willkür. Wer mächtiger ist, saugt kräftiger, Standesunterschiede bestimmen nicht mehr die vampiristische Stärke. Wohl aber Willigkeit und Mächtigkeit und Lustgewinn.
Es gibt Gott sei Dank kaum noch Monarchen, und keinen Land- und Geldadel mehr. Gott sei Dank hat dieses Jahrhundert die Multis, die Konzerne, die Diktaturen, die Banker, den freien Markt und drei hierarchisch sauber getrennte Welten. Gottseidank konnte die Kinderarbeit und die Frauendiskriminierung durch schöne Gesetze verhüllt, und das soziale Elend fast unbemerkt zum psychischen transformiert werden.
Und die Liebe kann, natürlich und enthemmt, frei, selbst rauh auch roh oder egoistisch aufblühen in ihrer wunderschönen, kannibalischen Fülle. Sie ist raffiniert geglückte Venusfalle, perfekt gestylte Emotion, sie ist in vielen Bereichen zur ein- ab- und zuschaltbare Lustmaschine geworden. Zum wichtigsten Stimulator im öffentlichen Leben. Man wird Mister Präsident mit Sex-Appeal, und man verkauft Ziegelsteine nur mehr mit ziegelgeilen Lolitas. Liebe ist endlich vorwiegend Erotik und Sexualität und verspricht auch als solche bei allen Käufen, Verkäufen, Dienstleistungen und Ämtern, da hab mich, da nimm mich, da brauch mich. Das Angebot ist zwar auch männlich, zu neunundneunzig komma neun aber sehr weiblich. Es nicht der Strafzettel, es ist die Politesse. Es ist nicht die Krankheit, es ist die Schwester oder Ärztin. Es ist nicht der Urlaub, nicht der Flug, nicht das Hotel, es ist der Sex. Das Frühstück ist der Sex, das Amt, der Sport, das Begräbnis, die Kunst ist der Sex.
Und die Freizeit natürlich. Freizeit ist Sex pur, unverfälscht, zeit- und grenzenlos. Der graue, private Alltag ist zum Refugium für alle Lüste und Wonnen geworden. Man macht es solo, zu zweit, zu dritt, gruppenweise, hintereinander, nebeneinander, transformativ, selektiv, von der Bekannt,- Freund-, bis zur Leidenschaft. Konsumiert Sex als one night stand oder Ehetrip, versucht es griechisch von hinten, kopuliert französisch, unten mit oben, doch brav bieder von vorne. Man macht es sich mit Sado, in Maso und oder beiden, oral und anal, in Latex und Leder, mit Love-Pop-, Peitschen- oder Porno-Sound. Die Damen, Frauen und Mädchen genehmigen sich genüßlich einen John-Long Dildos, oder versuchen sich mit einem fünfteiligen Vibrator RiesenLustSet von erster Qualität, mit Gütetest, Prädikat sehr gut. So manche schmückt sich mit ein wenig zärtlichen Intimschmuck am Schamlippchen, und Männer, die ans Fleischliche nicht so leicht herankommen kratzen das Geld für eine Feucht-Muschi aus Latex zusammen, herrlich eng und prickelnd. Man tut, was man kann, und kauft sich, was man kann von den Tausend Reizen und Herrlichkeiten, die es so gibt. Zum Leidwesen des ältesten Gewerbes, das nun auch schon ein Opfer des Versandhandels ist. Jedenfalls, das Leben ist schön geworden.
Ich erzähle Ihnen das nur, weil sie nicht wissen, was die Welt zu bieten hat, und noch immer glauben, das Universum drehe sich nur um die Mittelsekunde Ihres Zentauren
Allerdings, das wissen Sie ja, ist mir zwischen den vielen schönen Befreiungen und Dingen deine Liebe abhanden gekommen. Nein, die Liebe war nie roh und rauh, Geliebte, deine Liebe war euphorisch, ein psychedelisches Spielzeug, unser kleines psychedelic play, ein kurzes, offenbarendes Verbergen -. Lassen wir das; sonst schaut es noch aus nach Bitterkeit. Und Bitternis, die gibt es nicht mehr. Man lebt locker und easy, nicht?.
Doch so es ist, Geliebte, ich brauche dich nimmer. Ich kaufe mir den emotionalen Zenit beim Drogenhändler, der anstatt »Herr der Seligkeiten« geist- und respektlos »Dealer« genannt wird. Den man bespuckt und verfolgt, wie anderswo die Kaninchen.
Aber, Dame des Herzens, ob zwischen dir und mir, dir und sonst wem, oder mir und dem Dealer, wir sind nimmer, in keiner Konstellation, weder Herr noch Frau unserer Seligkeit. Wir sind immer auf Dritte, Vierte und Fünfte angewiesen, auf Geld und Zeit, auf Schlauheit und Brutalität, Lüge, Trug und Schein. Wir sind auf Okasa brutal angewiesen und hochkonzentrierte Pheromone.
Du merkst, ich spreche von der Seele nimmer, von Gefühlen, von Sehnsucht des Herzens und von Glück, von allen diesen alten Paradigmen aus dem vergangenen Fische Zeitalter, dem Old Age. Auch ich wende mich der Transformation des Menschen zum Gottwesen zu. Nicht ganz, fast nur, wie das schon ist. Denn irdisch sein hat trotzdem noch seine Haken.
Wie vergeistigt immer, wie katholisch oder esoterisch, wie mächtig der Geist, die Sinne werden schwach dann und wann, und es wandelt selbst Erleuchtete an, zeitweise ein Stück dieser Scheinwelt, einen Teil ihres irdischen Fleisches in ein anderes Stück Fleisch zu stecken [1]. Was religiös gesehen ja Plan und Sinn der Menschenschöpfung ist.
Buddhistisch gesehen ist das bedeutungslos, weil der Körper so nur Makyo ist, täuschende Wahrnehmung, in der Welt der Erscheinungen. Man steckt gar kein wirkliches Fleisch in ein wirkliches Fleisch. Und so kann man was immer auch wo immer hineinstecken.
Finden wir niemand, mit dem man es nach altgewohnten Vorstellungen tut, kein scharfes Schulmädchen, keinen Jungsöldner und keine hardcore Domina, dann verlocken uns immer noch, günstig und aufblasbar, die supergeilen Love Dolls mit zwei oder drei Eingängen zum Mega Orgasmus. Oder, Gleichheit muß sein, Lover Boys, auf Gardemaß aufblasbar, und inklusive Batterien. Oder, prosaischer bezeichnet, die Lust-Puppen mit enger Action Pussy beziehungsweise mit strammen, seine fünfundzwanzig Zentimeter schwenkenden Lustglied, kräftig vibrierend, und beachtliche fünf Zentimeter dick. Herz und Vagina, was willst du mehr?
Um Lust zu bekommen; brauchen wir einen Lustladen, und den Frust liefert uns gratis die große weite Warenwelt. Da es keinen Umtausch hygienischer Artikel gibt, droht also auch da Scheidung,, oder Altwarenhandel ,wenn einem die Luxus-Gespiel/en/innen beim Hals heraushängen oder man des ständigen Aufpumpens müde wird.
Also, von allen diesen FischeAlterWerten, wie Innigkeit, Nähe, Vertrautheit, Sehnsucht, Glück und Verständnis, und Angehören, reden wir nicht mehr. Es ist out, was man eben unter dem muffigen Begriff »Liebe« verstanden und sehr oft auch empfunden, ja wofür man nicht selten das Leben geopfert hat. Gefühlskapriolen waren das.
Seligkeit überhaupt, einfache, hier und da, irdische, schöne, beglückende, ist nicht allzusehr in. Eher ist jetzt die ungewisse, in uns drin vermutete, gewaltige, kaum je erreichbare, wichtig. Die mystische, der direkte und schnelle Draht zu irgendeinem Gott, nicht heikel welcher, denn Gott ist ja alles. Man weiß jetzt, wir sind in ihm und er ist in uns. Die Religionen sind nur langatmige Umwege, ein Meister, ein Guru macht das schneller. Viel Freizeit hat man nicht, und will doch schon morgen im Paradiese sein. Weil das Leben ja so öd und die Welt so materialistisch ist. Schließlich möchte sich das ewige Selbst schon im Vorverkauf den besten Platz drüben sichern, oder umsichtig ein günstiges Karma einhandeln.
Diese innere Wandlung will man sich mit Meditationen herauskitzeln, wie eine Grille aus dem Loch. Man will doch endlich ewig werden, ist es nicht so? Man kauft sich ein paar Portionen Yoga oder Zen, lernt sie, übt sie. Was soll schon Liebe im New Age, vom Fernsehen und Kino abgesehen, wo sie als drüsendrückende Ingredienz noch im Hinblick auf die Einspielsumme unerläßlich ist. Wo sonst aber die Liebe heute hinfällt, tropft nur Blut. In harmloseren Fällen sind es Tränen.
Ohne buddhistisch gesehen ziemlich bedeutungslos, weil der Körper so nur Makyo ist, täuschende Wahrnehmung, auch Apavada genannt, Welt der Erscheinungen. Man steckt gar kein wirkliches Fleisch in ein wirkliches Fleisch. So könnte man was immer auch wo immer hineinstecken.
Ohne dieses und jenes sind auch Sie bereits meine fernste Sonne im Kosmos, oder waschen Ihrem vergötterten Zentauren eben am weißen Kieselstrand von Bebukabana die Hemden. Denn, wenn es dem Zentauren gilt, sind Sie sich für nichts zu gut.
[1] Monnica Hackl: Der Guru Seite 161
Mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Gösta Maier, "EINE KLEINE SOZIOLOGIE", Fragment (2003?)