2013-06-06
Konkurrenz ohne Herrschaft?
Mythen der Kapitalismuskritik, Teil 1
Die Konkurrenz verunsichert unser Leben und bedroht es, macht den Menschen zu einem Feind des Menschen, rastlos, ohne Rücksicht. Wer am Kapitalismus Kritik übt oder ein Unbehagen daran empfindet, wird dem zustimmen. Auch dass die Alternative in der Kooperation zu suchen sei, ist in solchen Kreisen unbestritten.
Eine Herrschaft des Sachzwangs?
Freilich wird dabei häufig übersehen, dass die Kooperation als solche dem Kapitalismus nicht entgegensteht. Sie bildet vielmehr einen Kernbestandteil. Die Konkurrenz treibt die Menschen auseinander, sie benötigt zwingend die Kooperation als Gegenpol. Der Kapitalismus hat sogar die gesellschaftliche Kooperation über jede historisch bekannte Dimension hinaus durchgesetzt und entwickelt – aber eben im Rahmen eines übergreifenden Systems der Konkurrenz am Markt.
Soweit so paradox.
Unklar bleibt vielen nicht zuletzt auch der Zusammenhang des Konkurrenzsystems mit sozialer Herrschaft. So unterschiedliche Theoretiker wie Michel Foucault, Robert Kurz oder Niklas Luhmann inspirieren eine Debatte, in der Herrschaft entweder als eine Art optischer Täuschung erscheint, oder als eine dem Konkurrenzsystem äußerliche Zutat, gar als „feudaler Rest“. Die eine Position behauptet, dass die nur scheinbar herrschenden Klassen bloß abstrakte Funktionszwänge eines Systems der Kapitalverwertung ausführen, sozusagen Hampelmänner einer ihnen äußerlichen Struktur sind. Die andere dagegen meint, dass Herrschaft wohl existiere, aber nicht als kapitalistische. Der Kapitalismus, so wird argumentiert, sei nur in dem Sinn ein Herrschaftssystem, als in ihm bestimmte soziale Formen jeden Inhalt in ein Korsett pressen, das der abstrakte ökonomische Wert und die daraus abzuleitenden Kategorien wie Geld, Preis, Lohn, Kapital und Profit bilden.
Dieses Korsett wird dann zumeist auch als „Verwertungslogik“ bezeichnet; und wer Marx kennt, meint ihn auf seiner Seite, weil er diese Logik im „Kapital“ an einer Stelle als ein „automatisches Subjekt“ beschreibt. Diese Interpretation liest allerdings nicht weit und genau genug: Als ein „automatische Subjekt“
erscheint das Kapital, und zwar unmittelbar vom Standpunkt des Marktes (besser: der Zirkulation) aus betrachtet
[1] – ein Schein, dem auch manch kritischer Geist anheim gefallen ist, und den Marx in den darauf folgenden zweieinhalb Bänden des „Kapital“ auflöst.
Doch belassen wir die Marxologie dabei.
Die Argumentation hakt auch davon abgesehen an zwei entscheidenden Punkten. Zum Ersten ist das Konkurrenzsystem des Marktes keineswegs als spontane, naturwüchsige Bewegung entstanden, wie sich das zum Beispiel ein Neoliberaler wie August Friedrich von Hayek vorstellen wollte. Dieses System haben bestimmte Akteure auf gewaltvolle Weise über lange Zeiträume durchgesetzt.
Das hat nicht nur Karl Marx, sondern auch Robert Kurz mit großer Klarheit beschrieben, der sich folglich den Widerspruch einhandelt, Herrschaft dennoch nur als „subjektlose Herrschaft“ gelten zu lassen – so der Titel eines seiner Artikel. So gesehen regieren im Kapitalismus tatsächlich die Sachzwänge, wie ja auch der Neoliberalismus behauptet. Soziale Herrschaft wäre demzufolge nur in der Vorgeschichte der versachlichten Zwänge am Werk gewesen. Wie jedoch aus der Herrschaft bestimmter gesellschaftlicher Gruppen eine des „Sachzwangs“ wird, bleibt unklar, wenn man sich vor Augen hält, dass diese Zwänge ja sozial produziert und beständig aufrecht erhalten werden.
Anders als der Neoliberalismus freilich argumentieren Robert Kurz und andere in seiner Tradition, dass diese Zwänge überwunden werden können. Kurz selbst war die theoretische Problematik seiner widersprüchlichen Position möglicherweise stärker bewusst als vielen seiner Anhängerinnen und Anhänger. So bestimmte er in einer späteren Arbeit die Geschichte als eine „Geschichte von Fetischverhältnissen“, in Abgrenzung zur bekannten Formulierung aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels, wo von einer „Geschichte von Klassenkämpfen“ die Rede ist. Damit wird das System der sozialen Herrschaft derjenigen, die über die Produktionsmittel verfügen und daher andere dazu zwingen können, unter ihrem Kommando zu arbeiten oder ihnen jedenfalls einen Teil ihres Produkts abzuliefern, auf neue Weise gesehen: Herrschaft ist immer schon ein Phänomen, das gerade nicht auf das selbstbestimmte, freie Wollen der Herrschenden zurückzuführen ist.
Die Herrschenden sind sozusagen Opfer der Umstände, die sie zugleich aktiv aufrechterhalten. Das zeigt soziale Herrschaft zutreffenderweise als etwas Irres, aber keineswegs als etwas Irreales. Es entfällt damit die strikte Trennung zwischen unterdrückerischen Gesellschaftsformen vor dem Kapitalismus und dem Kapitalismus selbst – wobei hier dahingestellt sei, ob Kurz selbst das so gesehen hat.
Das führt uns zum zweiten Haken der Position „Kapitalismus ist Konkurrenz ohne Herrschaft“. Wer heute auch nur einigermaßen medial am Laufenden ist oder nicht in einer der etwas ruhigeren Weltgegenden lebt, die inzwischen arg zusammenschrumpfen, sieht sich mit den krassesten Formen sozialer Herrschaft konfrontiert: Polizei, die knüppelt und schießt; Medien, die Arbeitslose und MigrantInnen denunzieren; Straßengangs, die Linke tätlich angreifen; Banken, die um den Preis von Menschenleben ihre Profite retten; Regierungen, die gegen ihr „Wahlvolk“ vorgehen. Die Polizei als handgreiflichen Apparat der „subjektlosen Gewalt“ (Heide Gerstenberger) des spezifisch modernen Staates zu erkennen, entledigt sie leider nicht ihrer allzu subjektiven Gasgranaten und Knüppel.
Herrschaft war immer schon „subjektlos“ in dem Sinn, als sie eine gesellschaftliche Struktur darstellt, die nicht dem „freien Willen“ der Herrschenden entspringt, die dennoch willentlich agieren.
Konkurrenz und Herrschaft sind verschieden, aber gehören zusammen
Doch worin liegt nun genau die Verbindung zwischen Konkurrenz und Herrschaft?
Da ist zuerst einmal die oben genannte historische Dimension: Das von der Konkurrenz geprägte System ist das Ergebnis sozialer Herrschaft, zum Beispiel der großflächigen und brutalen Enteignung der Bäuerinnen und Bauern durch kapitalistische Landwirte, kolonisierende Staaten, Handelsgesellschaften und andere Akteure des sich durchsetzenden Kapitalismus. Und diese Enteignung dauert an.
Der Kapitalismus insgesamt ist im Grunde als eine herrschaftliche Lösung der Krise der feudalen Herrschaft zu verstehen, wie zum Beispiel Silvia Federici überzeugend dargelegt hat. Übrigens war auch schon im Feudalismus Herrschaft eng mit Konkurrenz verbunden, nämlich der zwischen den einzelnen feudalen Potentaten, die um Macht konkurrierten. Ohne diese historische Verbindung zwischen Herrschaft und Konkurrenz ist die Durchsetzung des Kapitalismus nicht zu verstehen.
Der andere Aspekt liegt auf einer logischen, strukturellen Ebene. Ein von Konkurrenz geprägtes System kann überhaupt nur unter der Voraussetzung sozialer Herrschaft existieren.
Erstens agieren Menschen nur und insoweit als isolierte Konkurrenzsubjekte, als sie durch die soziale Form des Privateigentums, das sich im Geld ausdrückt, voneinander abgeschnitten sind. Das Privateigentum aber erhält sich nicht von selbst, sondern erfordert einen Herrschaftsapparat, den Staat.
Zweitens zielt die Konkurrenz auf den Aufstieg entlang der Stufenleiter sozialer Herrschaft. Diese Stufenleiter beginnt schon unterhalb der herrschenden Klassen und sie wird dort auch bewusst von den Herrschenden installiert, zum Beispiel über differenzierte Löhne und andere Spaltungen.
Insoweit sich die Beherrschten mit dieser Stufenleiter identifizieren und auf ihr vorankommen wollen, stützen sie diese zugleich. Herrschaft nimmt nicht von den Beherrschten ihren Ausgang, kann aber ohne ihre passive und aktive Zustimmung auch nicht bestehen. Das freilich ist keine neue Erkenntnis, sondern grundsätzlich mindestens seit den Tagen Antonio Gramscis und der Frankfurter Schule bekannt; und das ist inzwischen rund achtzig Jahre her.
Den schwerwiegendsten Fehler macht der Ansatz von „Konkurrenz ohne Herrschaft“ in politischer Hinsicht allerdings, indem er den fundamentalen Unterschied zwischen Beherrschten und Herrschenden einebnet. Dabei sei noch einmal betont, was zuvor schon angesprochen worden ist: Die Herrschenden sind keine selbstbestimmten Subjekte, halten die Struktur jedoch aktiv aufrecht, der sie zugleich unterliegen; und die Herrschenden können nur herrschen, insoweit sich die Beherrschten ihnen fügen, die Herrschaftsstruktur also mittragen, und sei es passiv.
Der Unterschied in der Konkurrenz der Beherrschten und der Herrschenden
Der fundamentale Unterschied zwischen Herrschenden und Beherrschten zeigt sich just dann, wenn man die Mechanik der Konkurrenz über allgemeine Betrachtungen hinaus konkret analysiert.
Die Konkurrenz zwischen Kapitalisten ist in der Tat von gänzlich anderer Natur als die Konkurrenz zwischen Lohnabhängigen. Zwischen Lohnabhängigen zeigt sich die Konkurrenz strukturell einerseits im Rassismus oder in sexistischen Ausgrenzungen am Arbeitsmarkt, andererseits in der Konkurrenz um bestimmte nicht beliebig vermehrbare Güter, zum Beispiel Eigenheime in ruhiger Lage, oder um Arbeitsplätze. Weder können die Lohnabhängigen als Klasse den Lohn auf dem Weg der Konkurrenz erhöhen, noch können sie die Zahl der Arbeitsplätze vermehren, wenn sie konkurrieren.
Am Warenmarkt konkurrieren die Lohnabhängigen nur indirekt und in dem Maße, als sie sich mit dem Kapitalisten identifizieren, das heißt auf den sozialen Kampf zugunsten ihrer Unterordnung verzichten. Eine sich entwickelnde Kooperation setzt die Lohnabhängigen zwangsläufig in Opposition zur Kapitalistenklasse. Und in Opposition zur Kapitalistenklasse entwickeln sie ihre Kooperation.
Die Konkurrenz zwischen den Lohnabhängigen drückt im Regelfall das Lohnniveau; und die Nachfrage nach ihrer „Ware Arbeitskraft“ hängt von den Profiterwartungen der Kapitalisten ab. Um ihren Lohn zu erhöhen, müssen sie sich organisieren und kollektive Forderungen stellen, also die Vereinzelung, die an der Wurzel der Konkurrenz steht, im sozialen Kampf überwinden. Auch die Zahl an Arbeitsplätzen können sie lediglich über den Weg der Kooperation vergrößern, entweder wenn sie den Staat vermittelt über Parteien zu öffentlichen Investitionen anregen oder zwingen können, oder wenn es ihnen gelingt, zu Solidarischen Ökonomien auf der Basis von Gemeingütern überzugehen.
Während die Konkurrenz der Lohnabhängigen deren Statusposition mindert, indem sie den Lohn drückt, erhöht die Konkurrenz zwischen den Kapitalisten deren Statusposition als gesellschaftliche Klasse. Denn die kapitalistische Konkurrenz erzwingt die Steigerung der Produktivität der Arbeit. Sie vergrößert damit den Profit und so den Abstand im Status zwischen der Klasse der Kapitalisten auf der einen Seite und den Klassen der Lohnabhängigen und Bäuerinnen oder Bauern auf der anderen.
Nur der Kapitalist kann seine Statusposition ausweiten, indem er die Produkte der Arbeit anderer aneignet, andere für sich arbeiten lässt. Dazu hat er eine starke subjektive Triebfeder, die sich der objektiven Herrschaftsstruktur namens Kapital verdankt, also dem (vom Standpunkt des Marktes aus betrachtet) sachlich erscheinenden Verhältnis zwischen Kapitalisten und Lohnabhängigen: Sein Status definiert sich über das Kommando über die Arbeit anderer, und zwar letztlich in der Form geronnener Arbeit, dem Geld. Im Betrieb übt er dieses Kommando ganz persönlich aus. Soziale Herrschaft erlaubt eine ganz andere Form der Konkurrenz als den Beherrschten möglich ist, und die Konkurrenz dient den herrschenden Klassen zu etwas anderem als den Beherrschten. Für die Beherrschten ist die Konkurrenz ein sie selbst schädigendes Nullsummenspiel, für die Herrschenden dagegen ist die Konkurrenz ein ihren Reichtum noch vergrößerndes Positivsummenspiel; und davon abgesehen – wie Marx detailliert aufzeigt – die Form, in der sich der Mehrwert in Gestalt des Profits auf alle Kapitalisten nach Maßgabe ihres Kapitals aufteilt, obwohl sie je verschieden viel Mehrarbeit aus den Lohnabhängigen pressen. In diesem Aspekt erweist sich die Konkurrenz für die Kapitalistenklasse paradoxerweise als ihre innere Verbindung, worauf auch Marx explizit verweist.
[2]
Dies bedeutet freilich nicht, dass die Herrschenden sich die Konkurrenz wünschen. Im Gegenteil, im Wunschtraum einer Ausschaltung aller Konkurrenten durch den Marktführer oder unumschränkten Diktator schwingt noch mit, dass auch die Herrschenden unter der Konkurrenz leiden. Allerdings ist ihr Traum der Konkurrenzlosigkeit bezeichnenderweise einer der absoluten Herrschaft, während die konkurrenzlose Gesellschaft für die Beherrschten gerade eine zugleich herrschaftsfreie wäre.
Der Unterschied in der Identität von Beherrschten und Herrschenden
Die Statuskonkurrenz wirkt in einer sozial ungleichen Gesellschaft wie ein objektiver Zwang. Das zeigen die Arbeiten der Public Health-Forschung, wie sie Richard Wilkinson und Kate Pickett in „The Spirit Level“ zusammengefasst haben. Es liegt also nicht wesentlich im „freien Willen“ eines Kapitalisten, sich ihr zu entziehen, wenngleich niemand völlig auf diese soziale Position festgelegt ist. Er hat auch objektiv gar keinen Anreiz dazu, solange er sich als Kapitalist versteht; und als Kapitalist versteht ein Mensch sich eben insoweit er ein Kommando ausüben will, über sein Einkommen hinaus. Die Lohnabhängige versteht sich dagegen grundsätzlich als ein Mensch, der ein Einkommen zum Leben braucht, ihr Selbstverkauf ist ihr ein Mittel zu einem qualitativ anderen Zweck, weshalb das Selbstverständnis als „Ware Arbeitskraft“ mühsam mit allerlei Zwangsmitteln, eben auf dem Weg von Herrschaft hergestellt werden muss, im Betrieb in der Schule, in der Arbeitslosenverwaltung etc. – und zwar nicht nur im Verlauf der Biographie, wie das auch für Kapitalisten gilt, sondern fortwährend. Dieses Bedürfnis nach der Aufrechterhaltung des eigenen Lebens und einem möglichst guten Leben noch dazu, kommt auch in einer herrschaftsfreien und konkurrenzlosen Gesellschaft zur Geltung, und sogar weitaus stärker als im Kapitalismus. Das spezifisch kapitalistische Bedürfnis nicht.
Eine Lohnabhängige mag vom „Kapitalistendasein“ träumen. Allerdings kommt das bezeichnenderweise eher als Wunsch nach Villa, Yacht und Kaviar zum Ausdruck und weniger als spezifisches Herrschaftsinteresse. Der Traum des Kapitalisten wie des Politikers dagegen ist das unangefochtene Kommando – was aufgrund der Konkurrenz auf ewig unerfüllt bleiben muss.
Der Herr braucht den Knecht, aber der Knecht braucht den Herrn nicht. Es kann sein, dass der Knecht Herr sein will. Aber es kann auch sein, dass er Mensch sein will. Vom Standpunkt des Knechtes aus ist beides eine Verbesserung seiner Lage: nicht mehr Knecht sein - denn das will niemand sein. Für den Herrn ist Menschsein eine Verschlechterung: nicht mehr Herr sein - doch Herr sein will ein Herr immer. (Wohin die „Knechte“ in der politischen Realität jenseits dieser simplen, einer Robinsonade ähnlichen Metapher streben, hängt von ihrem sozialen Kampf ab, ihrer Wachsamkeit, Geschicklichkeit und allerlei Zufällen und Rahmenbedingungen, die entweder die Herausbildung neuer Herren verhindern oder nicht.)
Um es in einer allgemeineren Formulierung auszudrücken: Die Identität des Lohnabhängigen ist gebrochen, widersprüchlich; er ist einerseits eine vermeintliche „Ware Arbeitskraft“, andererseits aber ein lebendiger Mensch, der über diese Ware verfügen soll, also etwas davon Verschiedenes. Tatsächlich existiert die „Ware Arbeitskraft“ nur in der Ideologie der kapitalistischen Gesellschaft, diese „Ware“ ist in Wahrheit ein einziger lebendiger Mensch, aufgezogen und abhängig von anderen Menschen, der Bedürfnisse empfindet und in einer Herrschaftsbeziehung ausgebeutet wird.
Die Identität eines Kapitalisten ist dagegen ungebrochen, einheitlich; er ist das „mit Willen und Bewusstsein begabte Kapital“, wie Marx es treffend beschreibt, also überhaupt nur Kapitalist, insoweit sein Willen und sein Bewusstsein sich auf die Vergrößerung des Kapitals hin orientiert. Damit ist nicht gesagt, dass diese Identität nicht auch herrschaftlich hergestellt werden muss, vom Elternhaus bis zu Eliteschulen – bedenkt man, dass sich die sozialen Positionen in der kapitalistischen Gesellschaft keineswegs zufällig verteilen, sondern stark von der familiären Herkunft abhängen.
Auch ist damit nicht gesagt, dass diese Identität nicht wesentliche Bereiche des Wesens eines Menschen, der als Kapitalist agiert, ausschließt. Sie sind aber stärker verdrängt und verursachen weniger subjektiven Leidensdruck als die Bereiche, die eine Lohnabhängige verdrängen muss. Das zeigt sich auch objektiv im Gesundheitszustand, der von der untersten bis zur obersten Einkommensstufe und Machtposition in einem Betrieb oder einem Land kontinuierlich besser wird.
Lohnabhängige rebellieren, vom braven Gewerkschaftsstreik über die global viel häufigeren „wilden Streiks“ bis hin zu Sabotage, Schulabbruch, Protest, Aufstand. Werdende Kapitalisten mögen mitunter ebenfalls rebellieren, sich den Zumutungen der Eliteschule entziehen etc., ebenso wie werdende Regierungspolitiker ungezogene Jugendphasen durchlaufen können. Ein Regierungspolitiker aber rebelliert in der Regel ebenso wenig wie ein Kapitalist – weil er sonst seine Herrschaftsposition verliert; er könnte ja nur gegen sich selber rebellieren oder gegen seine Klassengenossen oder müsste, wofür es nur seltene und widersprüchliche Beispiele gibt, seine eigene Macht beschneiden oder seine Position umdefinieren. Er wird folglich im Gegenteil alles daran setzen, die Rebellion gegen die Struktur, die ihm diese Position ermöglicht, zu unterdrücken, und ebenso rebellische Regungen in sich.
Diese Ausführungen sollen keineswegs davon ablenken, dass auch Lohnabhängige herrschaftliche Interessen mittragen und das Kommando über andere ersehnen können. Allerdings folgt die Ausbreitung einer solchen Identifikation mit den Herrschenden bezeichnenderweise aus einer Aufgabe des sozialen Kampfes gegen die herrschenden Klassen, wie klassischerweise im Faschismus.
Wie aus der Klassenspaltung eine abgestufte herrschaftliche Hierarchie wird
Die historisch spezifische Form von Status als
Kommando über andere setzt eine Gesellschaft voraus, die herrschaftlich strukturiert ist. Genau diese Herrschaftsposition und ihre Ausweitung ist das Ziel der Konkurrenz in diesem System. Dieses Ziel zu erreichen steht zuerst einmal den Kapitalisten offen sowie den noch in ihrem Betrieb mitarbeitenden Firmeneignern, den Unternehmern. Weiters gilt es auch für die politisch Herrschenden, die Regierenden. Sie konkurrieren idealtypisch um das Kommando über möglichst viele staatliche Machtmittel – in der Realität ist dies freilich zumeist eng verbunden mit der Konkurrenz um möglichst viele Geldmittel.
Die Lohnabhängigen sind insoweit Teil dieser Konkurrenz, als sie abgestufte Grade eines mittelbaren Kommandos über die Arbeit anderer erlangen können, was sich im Einkommen spiegelt, das im Geld vergegenständlichte gesellschaftliche Arbeitszeit darstellt. So kommandiert ein Vorarbeiter stellvertretend für den Kapitalisten eine kleinere Zahl von Menschen und erzielt ein geringeres Einkommen als ein Abteilungsleiter oder Manager, die ebenfalls als Stellvertreter handeln. Alle drei stehen auf der Statusleiter weitaus höher als die Putzfrau, die niemanden kommandieren kann und deren Einkommen dieser Logik folgend am Schlusslicht der Hierarchie angesiedelt ist.
Die Spanne der Kommandohierarchie und damit auch der Statusleiter wird letztlich durch den Klassenkampf bestimmt. So erklären sich die unterschiedlichen Niveaus von sozialer Ungleichheit und der Ungleichheit der Einkommen in der Geschichte eines Landes und zwischen Ländern. Wo der Klassenkampf von unten erfolgreicher ist, wird die Kommandohierarchie kleiner. Der Effekt der Konkurrenz zwischen den Lohnabhängigen, die diese schwächt, ist genau das Gegenteil.
Wenn die soziale Ungleichheit in einer Gesellschaft geringer wird, wenn sich also die Spanne der Kommandohierarchie reduziert, dann bedeutet dies nicht, dass sich der Status der Lohnabhängigen erhöht. Status ist eine relative Größe, keine absolute. Mehr soziale Gleichheit, die durch erfolgreiche Klassenkämpfe von unten errungen wird, bedeutet, dass sich die Statusniveaus angleichen.
Mehr soziale Gleichheit wird unter bestimmten Umständen (nur) von den Beherrschten angestrebt, weil das ihr Leiden reduziert. Die Herrschenden jedoch setzen sich als Klasse niemals für mehr soziale Gleichheit ein, denn dabei haben sie – unter den Bedingungen von Herrschaft – nur zu verlieren.
[3]
Dass in der Realität Herrschende und Beherrschte durch Übergangsstufen und vermittelnde soziale Klassen miteinander verbunden sind, ist kein Argument gegen den bis hierher ausgeführten strukturellen Unterschied dieser Positionen, der sich aus der Verfügung über die Produktionsmittel bzw. über die Apparaturen des staatlichen Gewaltkörpers ergibt. Das wäre in einer differenzierten Klassentheorie zu vertiefen, soll hier aber nicht weiter verfolgt werden.
Ebensowenig ist ein Gegenargument, auf eine angeblich in der Geschichte häufig stattfindende Transformation von Beherrschten in Herrschende hinzuweisen, die zeigen soll, dass beide Positionen im Grunde auswechselbar sind und Befreiung ebenso von den Herrschenden wie von den Beherrschten ausgehen kann – wofür geschichtliche Beispiele fehlen. So lautet eine häufig zitierte Klage, dass die einstigen Kämpfer für die Unterdrückten zum Beispiel nach einer Revolution ja doch nur die alten Missstände fortsetzen, das heißt neue Herrschaftsstrukturen aufbauen oder bloß deren Personal ersetzen, sobald sie den Sieg gegen die zuvor herrschenden Klassen errungen haben.
Doch eher dürften die vermeintlich ursprünglich Beherrschten, die zum Beispiel später als autokratische Regierungschefs bekannt geworden sind, niemals eine beherrschte Position eingenommen haben, sondern vielmehr eine herrschende, etwa in Parteiapparaten. Solche Charaktere waren schon immer Herrscher in Warteposition, und zwar in Strukturen, die ihnen eine relative Eliteposition garantierten.
Wenn man dem besagten Gegenargument Bedeutung bemisst, wäre ihm in empirischen Studien präzise nachzugehen, nicht bei Annahmen stehen zu bleiben. Ein gut untersuchter Fall dazu ist etwa die Herausbildung der Regierungseliten im unabhängigen Tanzania. Diese Eliten errangen die Unabhängigkeit nur mit Hilfe der Beherrschten, die jedoch weiterhin Beherrschte blieben, während die Eliten schon unter britischer Kolonialherrschaft einen höheren Status und Kommandogewalten innehatten als die Beherrschten (die Bäuerinnen und Bauern sowie ViehnomadInnen).
Sicherlich haben bestimmte Leitvorstellungen gesellschaftlicher Ordnung, etwa die Fixierung auf den Staat, eine eigene Trägheit, die auch die Strebungen der Beherrschten nach einer langen Geschichte des Kapitalismus, an dessen Anfang die Beherrschten den Staat noch nicht affirmierten, prägt. Sobald sich Akteure in dieser Struktur bewegen, werden sie diese aufrechterhalten, damit Herrschaft reproduzieren und sich in ihrem Sinne verändern. Allerdings ist dieser Mechanismus nicht statisch zu betrachten, soziale Kämpfe haben eine Geschichte und ein Gedächtnis. Die Erfahrungen von 1968 etwa sind auf vielen Wegen in die sozialen Bewegungen eingesickert und kommen heute in den „Aktivismen 2010+“ erneut zu kraftvoller Geltung. Sie streben keine Herrschaft an, sondern ein gutes Leben für alle, Parteiprogramme fehlen und der Staat soll nicht erobert werden.
Ein drittes häufiges Gegenargument ist der Verweis auf eine angeblich größere Häufigkeit von rassistischen, sexistischen und antisemitischen Einstellungen gerade bei den unteren Einkommensschichten im Vergleich zu Gruppen mit höherem Einkommen. Auch dies wäre empirisch genau zu untersuchen, nicht nur anzunehmen. Eine empiriebasierte Analyse gibt auch in diesem Punkt eher Anlass für eine differenzierte Einschätzung, die einem späteren Artikel vorbehalten bleibt.
Politische Schlussfolgerungen: Meditation, Fatalismus, Automatismus oder soziale Kämpfe?
Die Position der „Konkurrenz ohne Herrschaft“ spricht so gesehen nur von der Marktwirtschaft und nicht vom Kapitalismus, alle gesellschaftlichen Verhältnisse versucht sie in Kategorien des Marktes aufzulösen. Kapitalisten sind dann im Grunde das gleiche wie Lohnabhängige, der Arbeitskampf ist nicht viel anderes als Konkurrenz und die „Ware Arbeitskraft“ ist auch nur eine Ware wie jede andere. Sie ähnelt in analytischer Hinsicht somit der neoliberalen Ideologie der Marktwirtschaft, wenngleich sie einen ihr diametral entgegengesetzten Schluss zieht, dass die Marktwirtschaft nämlich zu überwinden sei. Für den Weg dorthin fehlen ihr jedoch die sozialen Mittel.
Ob man die Idee der „herrschaftslosen Konkurrenz“ für überzeugend hält oder schon in der Konkurrenz selbst die angeblich einzig existente „Herrschaft des Sachzwangs“ sehen will, oder man dagegen Herrschaft und Konkurrenz als zwei unterscheidbare Seiten ein- und desselben gesellschaftlichen Systems begreift, ist von politischer Bedeutung. Das zeigt sich in den abweichenden Zielrichtungen, die sich aus diesen beiden Sichtweisen ergeben.
Während die Sichtweise „Konkurrenz ohne Herrschaft“ dazu tendiert, den sozialen Kampf kritisch zu betrachten oder gar als systemimmanent abzulehnen, ergibt eine Position, die Konkurrenz und Herrschaft im Zusammenhang sieht, ohne sie gleich in eins zusammenzuziehen, eine andere Perspektive: Kooperation und sozialer Kampf ergänzen sich im Aufbau einer Alternative; der eine Aspekt ergibt sich aus dem anderen und umgekehrt, und beide unterstützen sich wechselseitig.
In politischer Hinsicht legt die Idee eines Systems der „Konkurrenz ohne Herrschaft“ folglich einen „esoterischen“ Zugang nahe, der in der Verbreitung allgemeiner Harmonie, Selbsterkenntnis und der Entwicklung von Friedfertigkeit die Voraussetzung von sozialer Befreiung sieht; oder in der Vervielfältigung von Studienzirkeln. Eine dritte Variante denkt Befreiung als einen naturwüchsigen Prozess der Entwicklung von verwertungsfreien Logiken, die aufgrund ihrer überlegenen Fähigkeit, die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, so hofft man, die Oberhand gewinnen.
Welcher der drei Varianten man auch anhängt – keine versteht die Notwendigkeit, die Potenziale und den Sinn sozialen Kampfes. Die Idee eines Systems von „Konkurrenz ohne Herrschaft“ verbleibt in politischer Hinsicht daher auf der Ebene eines moralischen Aufrufs zu Besinnung und zur Selbstveränderung, oder auf der unfruchtbaren Ebene vermeintlich höherer theoretischer Einsicht; oder lebt in der Erwartung einer quasi automatischen sozial-ökologischen Transformation.
Damit sind häufig millenaristische Vorstellungen der Zukunft des Kapitalismus verbunden, mal eher hoffnungsvoll, mal eher fatalistisch. Die gesellschaftliche Bodenhaftung, die nur eine konkrete Analyse sozialer Kämpfe und Widersprüche bieten könnte, bleibt dagegen eher fraglich. So wird häufig auch vergessen, dass Alternativen zum Kapitalismus bisher nicht nur an die Grenzen der Kooperation der Lohnabhängigen gestoßen sind, sondern vor allem blutig unterdrückt wurden. Im Allgemeinen entbehrten sie daher der Ressourcen, die kooperativ zu nutzen gewesen wären.
Kooperation alleine ist bei weitem zu wenig und als solche auch noch keine Antithese zum Kapitalismus. Wer Herrschaft und den kollektiven Kampf dagegen aus dem Blick verliert, geht fehl.
Epilog mit aktuellem Anlass
„Ist man erst auf den Straßen von Besiktas und läuft zusammen mit Hunderttausenden Menschen in Richtung Taksim, wird man überwältigt von der Solidarität der Menschen. Istanbul im normalen Alltag zu erleben, ist chaotischer und rücksichtsloser, als während der Protestmärsche. Autofahrer lassen Demonstranten Vorfahrt, Menschen entschuldigen sich, wenn sie andere anrempeln. Man trifft weder auf Gewalt noch auf sexuelle Übergriffe.“ (Cigdem Toprak, Die Welt, 2. Juni)
„Liebe Freunde..ich möchte euch allen für eure Unterstützung und für eure Teilnahme danken..
Wir sind knapp über 80 Millionen Bürger in der Türkischen Republik...und es passiert etwas wundervolles bei uns. Millionen haben seit über 36 Stunden nicht geschlafen, wir sind alle aber wirklich alle auf der Strasse, Grossstaedte, Kleinstaedte, Stadtviertel sind voll mit Menschen die ganz genau wissen wie man mit ihnen Verfahren wird.Junge und alte Menschen, Professoren, Schauspieler, Schriftsteller, Bauarbeiter wissen das sie blutig geprügelt, mit Traenengas und Agent Orange bombardiert werden. Dies haelt aber niemanden davon ab denn anderen die Not sind beizustehen.
Wir haben das nicht geplant, haben uns vorher nicht organisiert, wir sassen in unseren Wohnzimmern und sahen im Halk TV, lassen im Twitter was mit den friedlichen Demonstranten gemacht wurde. Keiner von uns hat lange überlegt, wir zogen unsere Schuhe an eilten zu Hilfe. Nicht mal in meiner Studentenzeit habe ich je an einer Demonstration teilgenommen, aber dies ist so selbstverstaendlich, das man nicht mehr an sich oder seine Sicherheit denken. Es ist sehr merkwürdig so etwas zu erleben..ALLE SİND EİNS...Liebe Freunde ich und viele Millionen dürfen dies hier und jetzt erleben, und ich sage euch es fühlt sich einfach wunderbar an...Die MACHT des EİNSSEİNS....und es ist so einfach, und es geht so schnell....erst wenn es erwacht ist, weiss man eigentlich das diese Kraft immer da war, wir sie aber vergessen haben...WACHT AUF...was heute hier passiert wird morgen bei euch passieren, das Spiel ist doch dasselbe.....Was mich fasziniert und wahrscheinlich die jetzigen Machthaber verblüfft...Ihr System lasst sehr leicht wie Kartenhaus einstürzen wenn man zusammen hält...İn Liebe“ (Gülay Ateş, aus der Türkei, Facebook, 2.6.2013)
„it would be amazing if friends in Egypt can make short videos for the Turks explaining what happened in the egyptian revolution, how the power was stolen after the revolution, what SCAF did to destabilize and divide, what MB did, what to be aware of... Warn your brothers and sisters about what happened after Tahrir, because the news only saw the 'glorious revolution' and not much about afterwards. i will do it too. we dont want the same to happen in turkey. if the turkish people win, its a win for all of us. Taksim is looking just like tahrir, it would be a tragic shame to see the PM step down, and see people going home believing in a simple victory. as we learnt in egypt, if the protests bring something, it is not a victory but a new way of life in which people must take the power themselves, not trust it to go anywhere else please share this status and lets get some DIALOGUE between egypt and turkey. peace and love“ (Mihalis Eleftheriou, Aktivist aus Zypern und Ägypten, Facebook, 4.6.2013)
„Ein Mann läuft mit einer riesigen Regenbogenfahne über den Platz und die Menge beginnt zu applaudieren. Ein sehr rührender Moment. In diesem Gewühl von Menschen meine Freunde zu finden, ist recht schwer, aber nicht zwingend notwendig. Denn das Gefühl der Einheit durchdringt hier jeden. Wir sind Freunde. Alle. Egal, ob Türke, Kurde, Armenier, Erasmusstudent, ob alt, ob jung, wir sind alle: Gegen Tayyip - Omuz Omuza. (Schulter an Schulter.)“ (Feride Akgün, in: Kölner Stadtanzeiger, 4.6.2013)
„Message from Istanbul
We are awake my friends and family /
We die, we get tired, we get injured, we faint, we get traumatized /
We witness brutality we haven't experienced before /
Yet we are rising /
And growing /
Again and again and again
Our love, care and support for each other only gets stronger /
Our light gets only bigger /
We become more resilient /
We learn how strong we can be when we are together
We are more powerful, more human, smarter, more beautiful, more brave, more creative, more resourceful, more self-sufficient, more all together /
More free /
More connected than the conscienceless government /
Their media, and police, and whoever is silent and overpass their crime
We have never felt so alive! /
We have never felt more in solidarity!
We don't accept their authority and we disobey their rules /
They can't keep us silent! /
They can't kill our love and our spirit! /
They can't kill freedom!
Grateful to all who are with us in person and in spirit /
Thank you to all to those who are praying for us, who are doing something from afar
And hella yeah Anonymous! WE LOVE YOU!
In solidarity from Istanbul
Posted to Ezgi K.'s wall on June 2nd, 2013
https://soundcloud.com/pruradio/message-from-istanbul-with“
(via Facebook, Global Revolution LIVE via Occupy Sweden, 4.6.2013)
„This is perhaps one of the biggest questions of the moment: how will the movement in the streets congeal and what kind of relationship will it have with the Kurdish struggle? The great majority of those who initiated the occupation of Gezi Park and who have been fighting Erdogan’s vision of developing Istanbul are in full solidarity with the Kurdish people. But the masses that have flooded the streets with the Turkish flags are a different story. At best, they are critical of Erdogan using the Kurdish peace process to strengthen his hold on power and at worst, they are blatant racists who see Kurds as terrorists. Despite this danger, recent developments in the street are promising. People are reporting witnessing both Turkish flags and flags with Öcalan’s portrait being displayed together or the intertwining of chants that both emphasize the fraternity between different ethnicities and ones celebrating the national identity of Turkey.“ (
www.counterpunch.org, Ali Bektas, 5.6.2013)
Fußnoten
[1] „In der Tat also ist G - W - G' die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulationssphäre erscheint.“ (Karl Marx, „Das Kapital“, Band 1, S. 170)
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[2] „Solange alles gut geht, agiert die Konkurrenz, wie sich bei der Ausgleichung der allgemeinen Profitrate gezeigt, als praktische Brüderschaft der Kapitalistenklasse, so daß sie sich gemeinschaftlich, im Verhältnis zur Größe des von jedem eingesetzten Loses, in die gemeinschaftliche Beute teilt. Sobald es sich aber nicht mehr um Teilung des Profits handelt, sondern um Teilung des Verlustes, sucht jeder soviel wie möglich sein Quantum an demselben zu verringern und dem andern auf den Hals zu schieben. Der Verlust ist unvermeidlich für die Klasse. Wieviel aber jeder einzelne davon zu tragen, wieweit er überhaupt daran teilzunehmen hat, wird dann Frage der Macht und der List, und die Konkurrenz verwandelt sich dann in einen Kampf der feindlichen Brüder. Der Gegensatz zwischen dem Interesse jedes einzelnen Kapitalisten und dem der Kapitalistenklasse macht sich dann geltend, ebenso wie vorher die Identität dieser Interessen sich durch die Konkurrenz praktisch durchsetzte.“ (Karl Marx, „Das Kapital“, Band 3, S. 263)
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[3] Medizinisch betrachtet würden auch die Herrschenden bei mehr sozialer Gleichheit gewinnen, wie zum Beispiel Richard Wilkinson und Kate Pickett zeigen. So ist etwa die Lebenserwartung der reichsten sozialen Gruppe in gleicheren Ländern höher als in ungleicheren Ländern. Mehr Gleichheit bedeutet eine Erniedrigung des Status der Herrschenden, und damit eine Infragestellung ihrer selbst als Herrschende. Für die Beherrschten dagegen bedeutet mehr Gleichheit eine Verringerung der Bedeutung von Status überhaupt und damit vor allem eine Erleichterung ihres Lebens und eine Erhöhung ihrer gefühlten Lebensqualität.
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