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Andreas Exner

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2013-01-05

Das Verlangen nach Würde: Rezension des Buchs zum Grundeinkommen von Karl Reitter

Das neue Büchlein des Sozialphilosophen Karl Reitter ist eines der besten zum Thema Grundeinkommen, wenn man den marxistischen Blickwinkel des Autors teilt. Die überwiegend leicht lesbare Schrift, die nicht nur für ein linkes Publikum verständlich ist, argumentiert für einen großen Wurf. Klargestellt sei, dass auch der Rezensent für das Grundeinkommen eintritt, allerdings in einer etwas anderen Perspektive.

Mühelos entlarvt der Autor den oft gegen das Grundeinkommen gerichteten Verweis auf den zweiten Brief des Paulus an die Thessalonicher als unsinnig, worin es heißt: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.« Schließlich lebte Paulus in einer Gesellschaft, die Lohnarbeit noch nicht einmal kannte. Paulus forderte Arbeit für die Gemeinschaft, was, wie der Autor festhält, eben nicht die Lohnarbeit sein kann. Deren Produkte kommen bekanntlich nicht direkt der Gemeinschaft zugute, sondern müssen erst einmal gekauft werden. Klarsichtig analysiert der Autor die sozialen Entstehungsbedingungen der Forderung nach einem Grundeinkommen, die er in der postfordistischen Umwälzung der Arbeits- und Lebensverhältnisse erkennt. Die Prekarisierung nehme zu, die Zentralität der Erwerbsarbeit trete etwas zurück, meint Reitter, und soziale Bewegungen würden selbstbewusster. Das Verlangen nach Würde wachse im selben Maß wie die zusehends unwürdigen Verhältnisse der Lohnarbeit und der »aktivierenden Kontrolle« bis in die Erwerbslosigkeit hinein.


Affirmation von Lohnarbeit

Dass das Grundeinkommen freilich auch Ausdruck dafür sein kann, dass der Zusammenhang zwischen Lohnarbeit und Geld den sozialen Bewegungen inzwischen fast völlig undurchsichtig geworden ist, wird allerdings nicht in Augenschein genommen. Ebenso nahe liegt die Vermutung, dass die Warenform die Subjekte heute so sehr prägt, dass sie kaum mehr auf die Idee kommen, ihre eigene Tätigkeit kollektiv in die Hand zu nehmen, während eine am Warenkonsum ansetzende Forderung eher attraktiv erscheinen mag.

Worauf zielt der Autor, wenn er das Grundeinkommen als eine Idee ansieht, die »das materielle Band zwischen Gesellschaft und Individuum substanziell neu regeln« (S. 12) will? Hier entpuppt sich die soeben benannte Leerstelle, die eine Forderung haben muss, die auf der Ebene der bloßen Verteilung ansetzt, als eine signifikante Schwäche. Heißt es zu Beginn noch: »Das Grundeinkommen entlastet uns vom Zwang zur Lohnarbeit, und es entlastet uns von all den Zwängen und all der Fremdbestimmung, die damit verknüpft sind«, während freilich die »Notwendigkeit zur Tätigkeit« bestehen bleibe (S. 11) – so klingt dies gegen Ende schon anders: »Wir sagen auch nicht, das Grundeinkommen entlastet uns vom Zwang zur Lohn- und Erwerbsarbeit und eröffnet uns daher ein ungetrübtes Reich der Freiheit«, wenngleich es »sozusagen den Regler in diese Richtung« verschiebe (S. 91).

Nicht dass das Grundeinkommen nicht von allen Zwängen entlastet, fällt hier ins Auge – wie könnte es dies? –, sondern dass sich die Botschaft des Buches von einer zumindest kritischen Haltung gegenüber der Lohnarbeit tendenziell hin zu einer Affirmation entwickelt. Dabei ist nicht gesagt, dass dies auch die Position des Autors sei. Das Buch hat jedoch diese Schlagseite. Gerade der aus emanzipatorischer Perspektive zentrale Punkt, ob und wie das Grundeinkommen die Produktionsverhältnisse des Kapitalismus zu verändern in der Lage ist, wird nicht zur Gänze ausgelotet und bleibt widersprüchlich.

Vielleicht mit Blick auf reformistische Ansätze heißt es: »Indem der Zwang zur Lohnarbeit wegfällt, muss jeder Arbeitsplatz bestimmte Qualitäten besitzen, um angenommen zu werden. Entweder er ist gut bezahlt oder er ist interessant und erfüllend – oder beides« (S. 56). Wenn es eine solche Gesellschaft geben könnte, in der Lohnarbeit dominiert, jedoch alle Arbeiten inklusive der unumgänglichen zum Beispiel im Haushalt im Wesentlichen selbstbestimmt sind und dabei noch gut bezahlt, interessant und erfüllend, dann hätte man wohl eine zentrale Veranlassung weniger, gegen den Kapitalismus und das System der Lohnarbeit einzutreten.

»Niedrige und niedrigste Einkommen waren und sind Wirklichkeit«, stellt Reitter fest, doch »die Vorstellung, gewerkschaftlicher Kampf könnte das verhindern«, sei »weitgehend Illusion« (S. 52). Andererseits hält er es jedoch für möglich, ein Grundeinkommen durch radikale Umverteilung von oben nach unten einzuführen.

Woher aber kommt die Macht der vom Lohn abhängigen Klasse, dies durchzusetzen? Der Autor setzt vor allem auf einen Wandel der Ideologie hin zur Forderung nach einem Grundeinkommen, die neue Bündnisse zwischen sozialen Bewegungen stiften könnte. Auch wenn der diskursive Kampf große Bedeutung hat, so ist doch unwahrscheinlich, dass eine vom Lohn abhängige Klasse, solange sie ihre Abhängigkeit vom Kapital nicht praktisch überwindet, auf diese Art die Produktionsverhältnisse auch nur reformistisch deutlich verbessern könnte. Warum die Ökologiebewegung, die Reitter an dieser Stelle nennt, im Grundeinkommen ihre vorrangige Zielrichtung sehen sollte, bleibt unklar.


Leerstellen des Buches: Commons und Postwachstum

Historisch geschahen Verbesserungen gerade durch gewerkschaftliche Organisierung und den Aufbau von Strukturen wechselseitiger Unterstützung, die nicht auf Markt, Kapital und Staat beruhten, wie etwa die frühen Sozialversicherungen, Bereiche von kollektiver Subsistenz oder Kooperativen. Zwar benennt das Buch an einer Stelle entsprechend die Perspektive der Commons, sieht sie trotz eines »wahren Kerns« allerdings »Überzeichnungen« und »Übertreibungen« mit sich führen (S. 71) und meint, ähnlich wie die bürgerliche Ökonomie, Gemeingüter umfassten vor allem die Natur und »nicht knappe Güter« (S. 95). Auf die Debatte um solidarische Ökonomie, die viel mit den Commons gemein hat, wird nicht eingegangen. Das befremdet, orientiert sich der Autor doch explizit am ersten Grundeinkommenskongress in Wien 2005, der mit dem Titel »In Freiheit tätig sein« auch die Überschrift des Schlusskapitels abgibt.

Zwar wird das Konzept einer »sozialen Infrastruktur« diskutiert. Allerdings bürde es dem Individuum nach wie vor die Last seiner Existenz auf, so heißt es, während das Grundeinkommen strikt bei diesem ansetze. Das ist zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen, verteilt das Grundeinkommen doch nur die »Materiatur«, also das Produkt »gesellschaftlicher Arbeit« (Marx) [1]. Gerade die Abhängigkeit des Grundeinkommens von kapitalistischen Produktionsverhältnissen, sein spezifisch gesellschaftlicher Charakter, bestimmt auch seine Problematik, die im Buch zu kurz kommt.

Dass das Grundeinkommen an das Kapital gebunden bleibt, stellt auch der Autor fest. Er gesteht ihm sogar eine die Lohnarbeit womöglich bestärkende Wirkung zu. Damit würde allerdings notgedrungen auch die Warenform ausgeweitet. Zwar benennt der Autor auch die Schwierigkeiten solcher Prognosen. Dennoch geht er davon aus, das Grundeinkommen würde es ermöglichen, »interessante und begehrte Arbeitsplätze zu schaffen, ohne dass die Beschäftigten ausschließlich von der Entlohnung leben müssten« (S. 52).

Er sieht hierin einen Vorteil, gebe es doch »zahlreiche Bereiche«, »in denen Erwerbsarbeit durchaus nötig und sinnvoll wäre, ein vollwertiger Lohn unter heutigen Bedingungen jedoch kaum zu finanzieren« sei (S. 52). Welche Bereiche aber sind dies – ohne einer Ausweitung des Marktprinzips, wonach alles zur Ware wird bzw. dem staatlichen Sektor Vorschub zu leisten? Und warum sind diese Bereiche heute kaum zu finanzieren, im Gegensatz zum Grundeinkommen, das ja auch keine anderen Mittel zu verteilen hätte?

Wie das ökologische Erfordernis des »Degrowth« – eine drastische Schrumpfung des Kapitals und eine Zurückdrängung der Warenform – mit dem Grundeinkommen zusammengehen könnte, darüber erfährt man nichts. Dabei ist die Existenzbedingung des Kapitals ja gerade sein Wachstum. Schwer vorstellbar ist, dass im Degrowth ein Grundeinkommen bezahlt werden kann, auch bei »politischem Willen«. Man müsste dann nämlich trotz Stilllegung vieler Produktionsstätten und einer Reduktion des Output das Geldprodukt der Gesellschaft konstant halten, es käme also zu einer starken Inflation. Von Kapitalsteuern könnte man bei ausfallenden Nettoprofiten nicht mehr viel erhoffen. Eine massive Gegenreaktion der herrschenden Klasse wäre zu erwarten.

Das Grundeinkommen schafft weder die Voraussetzung für Degrowth, noch für seine eigene Durchsetzung. Diese bestünde vielmehr in der Ausweitung solidarischer Ökonomien der Gemeingüter, in der Schaffung von Autonomie und davon ausgehenden weiteren Veränderungen. Eine solidarische Ökonomie der Gemeingüter würde jedoch gerade keine Marktverhältnisse und damit auch kein Geld als zentrales gesellschaftliches Steuerungsmedium mehr kennen. Folglich ist das Grundeinkommen nur eine Richtungsforderung, ein Schritt auf einem Weg, der länger ist – und breiter.

Fußnoten:

[1] Marx bezieht sich hier zwar auf die Ware, allerdings gilt dies letztlich auch für das Geld. Karl Reitter: Bedingungsloses Grundeinkommen. Mandelbaum Verlag, Wien 2012. 104 Seiten, 10 EUR.

[ursprünglich erschienen in A&K, 578, S.17]
www.akweb.de

Übernommen von: www.social-innovation.org
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