2012-02-22
Wir Passagiere auf dem „Floß der Medusa“
Was es zu überwinden gilt. Gedanken anlässlich der Winter School „Solidarische Ökonomie“ 2012
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Die Konkurrenz ist die asoziale Grundsituation, in der wir als Warenmenschen von unserer Gesellschaftlichkeit abgeschnitten werden. Kooperation, ohne die wir nicht lebensfähig sind, soll nur existieren, wo sie dem Kampf gegen andere dient. Sie ist nicht einfach Äußerung unseres Lebens, Freude am Genuss der anderen und mit ihnen, sondern sie ist versachlicht als Mittel, Waffe gegen andere, morgen vielleicht schon gegen den, der heute noch an meiner Seite steht. Instrumente, Sachen sind alle, ob Freund ob Feind. Freundschaft ist zeitweilig, Feindschaft grundsätzlich. Dass jemand den Zugangscode zu meinem Herzen wissen könnte, wird von einer Hoffnung zu einem Sicherheitsrisiko. Im Spiel kann nur bleiben, wer andere besiegt.
Das Floß der Medusa.
Von Théodore Géricault, 1819
Öl auf Leinwand, 491 cm × 716 cm. Im Louvre
Zu den historischen Hintergründen des Bildes: www.ceryx.de
Wir sitzen auf einem „Floß der Medusa“, wie es auf einem Monumentalgemälde Géricaults im Pariser Louvre zu sehen ist: Erschöpfte, z. T. verzweifelte, z. T. hoffnungsvolle Überlebende eines Schiffbruchs auf einem kümmerlichen Floß, ein starkes Dutzend von über hundert, die auf dem Gefährt sein wollten. Wer sich da auf diesen Trümmern im feindlichen Meer zu retten versucht, ist ein Mörder und ein Kannibale. Anders gibt es kein Überleben und auch dieses ist immer weiter noch bedroht. Der Zwang zur Konkurrenz treibt unsere individuelle Selbsterhaltung zum Eklat mit unserer Gesellschaftlichkeit, stellt unser Überleben für den Augenblick in Gegensatz zu unseren Perspektiven. Wer heute meine Freundin ist, fällt mir vielleicht morgen schon mit andern in den Rücken. Nichts und niemand ist unbestritten, kein Mensch einfach akzeptiert. Was wir brauchen, ist knapp und reicht nie für alle. Von klein auf lernen wir: Im Leben wird dir nichts geschenkt. Alles hat seinen Preis. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Beim Geld endet die Freundschaft. Wer sich auf andere verlässt, ist schon verlassen. Selbst das Mutter-Kind-Verhältnis, die tabuisierte Ikone der Zwischenmenschlichkeit, gleicht in diesen Verhältnissen weniger einer Symbiose als einem gegenseitigen, prekären Parasitismus. In dieser Gesellschaft wird selbst hier weniger das reklamierte „Urvertrauen“ weitergegeben als die Wunden und Verstümmelungen, die uns für das Leben als Ware unter Waren reif machen.
Auszüge aus
Lorenz Glatz: “Code unbekannt”