2011-11-26
Engelbert Obernosterer: Das grüne Brett vor meinem Kopf
Eine Besprechung von Walter Fanta
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Hinweis: Engelbert Obernosterer liest bei kärnöl am Dienstag, den 29.11.2011
In seinem neuen Buch kehrt Engelbert Obernosterer zu den Schreibverfahren seiner Anfänge zurück, zu dem, was er von ‚Ortsbestimmung‘ (1975) bis zur Bewirtschaftung des Herrn R. (1990) geschafft hat. ‚Mythos Lesachtal‘ (2005/2008) und ‚Nach Tanzenberg‘ (2007) sind in meinen Augen Ausreißer, mit denen Obernosterer die Bahn der irritierenden radikalen Wirklichkeits-Hinterfragung in seinen Büchern vorübergehend verlassen hat, um nun wieder zu dem zurück zu kehren, was er am besten kann: sinnlich beobachtetes Alltägliches in Sprache verwandelt mitzuteilen. Die ‚große Erzählung‘ ist zu Miniaturen zerschlagen. Engelbert Obernosterer verweigert sich der ‚grande narration‘, der großen Erzählung seit jeher, er bietet keine Fiktion, so wie Josef Winkler sich in seinen Büchern der letzten zwanzig Jahre von der Fiktion angewandt hat. Es stimmt gar nicht, was im Klappentext steht, oder es stimmt zumindest nicht mit meiner Lektüre zusammen, dass hier ein „Schriftsteller […] in die Provinz verschlagen“ wird, „wo er als Lehrer sein Brot verdient“. Wenn es in diesem Buch ein fiktives, autobiographisches Ich überhaupt gibt, dann ist es unwichtig. Wohl stellt sich ein Einverständnis zwischen dem Autor und den Lesern her, vielleicht ein augenzwinkerndes Einverständnis, wenn der Leser und die Leserin die sprachliche Verarbeitungsleistung des Autors beim Lesen der einzelnen Miniaturen so nachvollziehen wie man ein Bonbon langsam lutscht, ein Firnbonbon, nur meistens umgekehrt, außen süß, innen bitter. In Umkehrung des berühmten autobiographischen Paktes verstehen sich Autor und Leserin augenzwinkernd anti-autobiografisch: in den Miniaturen ist nicht von irgendwelchen erfundenen Geschichterln die Rede, sondern von dem, was du und ich an unseren Mitmenschen leider alltäglich erleben dürfen, nicht nur in dieser einen Kleinstadt. Dabei kann es schon sein, dass in diesem Buch, das ich unhöflicherweise als Alterswerk bezeichne, das Ich ein bisschen stärker hervor kommt als in den Jugendwerken Obernosterers, aber ich halte das, wie gesagt, nicht für besonders wichtig.
Irgendwie erinnern mich die Miniaturen an die Zeit vor dem Roman in der europäischen Literaturgeschichte, an die ‚facetia‘, die pointierten Kurzerzählungen in der Zeit des Humanismus. Die meisten Miniaturen haben in ihrer Art eine Pointe, so wie in der Geschichte vom Bauern, der Geld erbt, sich wegen der Schwere der Erbschaft aufhängt, wo der Sohn und Erbe dann mi dem Vermögen schon etwas anzufangen weiß, es in Aktien anlegt, „ohne dass er es merkt, wird der Wille des Geldes zu dem seines Sachwalters und es wird immer schwieriger auseinanderzuhalten, welche Freuden den Vermehrungsritualen seines Körpers entspringen und welche der Mehrung des Geldes. Dies zu unterscheiden erweist sich letztlich auch als unnötig, denn es gelingt dem glücklichen Erben, beide unter einen Hut zu bringen, indem er eine Tochter aus wohlhabendem Hause heiratet.“ (S. 89) Oder ein anderes Beispiel: die Frau, die die Ehrenbezeugungen ordnet, die ihr eitler Mann mit einer großangelegten Feier seines fünfzigsten Geburtstags eingeheimst hat. Da denkt sich die Ehefrau: „Er, als konkrete Person, wie sie ihn aus nächster Nähe kennt, gebaut ja längst an allen Ecken und Enden ab. […] Zunehmen wird wohl nur die Selbstgefälligkeit und Einbildung, formiert sich plötzlich ein Satz. Und das mitten in ihrem Hirn! Natürlich verbietet sie sich, so über ihren Mann zu denken.“ (S. 91)
Viele der sprachwitzigen Miniaturen sind kleine Porträts. Die Figuren haben keine Namen, sondern werden mit Anfangsbuchstaben gekennzeichnet. So wie Frau N., die sich so betont fraulich kleidet und ihre Rolle so überzeugend spielt „wie ein tölpelhafter Bauer in einem Schwank einen tölpelhaften Bauern spielt“. (S. 77) Und dann verliert sie den Faden. Oder der rang- und sprachbewusste Direktor N., der sich von der wesensfremden Arbeit in der Kanzlei mit der Motorsäge beim Brennholzschneiden erholt. „Im Dunkelwerden stapelt er die Prügel an der Südwand der Garage und dreht jeden liebevoll so lange hin und her, bis er gut liegt.“ (S. 86) Es sind große und kleine Mini-Biographien, es „gäbe über das Leben derer, von denen man meint, dass es nicht der Rede wert sei, gleich viel zu sagen wie über diejenigen, denen man Biographien widmet“ (S. 74f). Die Porträts haben fast immer eine dialektische Struktur, es handelt sich fast immer darum, „dass die Zu Deckungen für sie immer der wichtigere teil der Person sind“ (S. 57) Die Personen mit ihren großen Anfangsbuchstaben sind ‚personale‘, sie tragen Masken, sie sind Masken, „der so genannte menschliche Kern“ (S. 45) ist weg, in Obernosterers Beobachtung ist ein dahin tappender Alter „unentstelltes Naturgeschehen“ samt Hosenboden (S. 21f). Die Menschen werden von den Dingen beherrscht, das Haus beherrscht den Hausherrn und die Hausfrau (z.B. S. 11ff), mit der in unserer pädagogischen Provinz Kärnten so wichtige ‚Haus‘-Ideologie wird radikal aufgeräumt (z.B. S. 44), die „untadeligen Hauspersönlichkeiten“ kann man auch „als Kleidung im weiteren Sinne des Wortes“ verstehen (S. 40). So sarkastisch weit wir jetzt hat Obernosterer die Beobachtung der Entpersönlichung noch nicht getrieben.
Viele Miniaturen durchatmet ein Unbehagen. „Da stimmt etwas nicht.“ (S. 84) Das Alter, die absterbende Sexualität, die Erinnerung. Drei ältere Männer besuchen gemeinsam den Weißensee, da bleibt K. stehen, „hier müsse es gewesen sein, wo er seinerzeit mit seiner Mitarbeiterin B. nackt gebadet habe“, die anderen verstehen dann, „dass die Erinnerung an jenen Badetag sich wie eine Folie über alle kleineren und größeren Buchten gelegt hat, ja über den gesamten von ihm so begeistert gepriesenen See“ (S. 92f) Auch die Sprache entgleitet, das Schriftsteller-Ich gerät in einen Workshop mit Schülern, die Vokabeln „wollen nicht recht haften“, die Blicke zieht es immer wieder auf die Bluse der Betreuerin, die beachtlichen Rundungen, er gerät in eine Lesung, „wo gerade eine Schriftstellerin ihren Text vorträgt […]; in meiner Schwerfälligkeit immer ein. Zwei Schritte hinter dem Gelesenen her hinke ich, ohne mehr zu begreifen, als dass es sich um eine Bachmann-Lesung handelt“ (S. 95) Manches Mal klingt in den Miniaturen auch das Todesthema an (S. 73), wie romantische Ironie, beim Urinieren ist es „wie beim Sterben, überrascht […] eine seltsame Analogie“
Ich habe die Miniaturen mit Genuss gelesen. Ich halte sie mit für das Beste von Obernosterer. Einige Rätsel gilt es noch zu lösen. Zum Beispiel, warum die Farbe des Bretts vor meinem Kopf grün ist.
Walter Fanta
Mit freundlicher Genehmigung des Autors übernommen von www.uni-klu.ac.at/musil/inhalt/1060.htm
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Obernosterer, Engelbert:
Das grüne Brett vor meinem Kopf.
Erscheinungsjahr: 2011. KITAB-Verlag,
ISBN: 978-3-902585-54-7
134 Seiten, € 14,--
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