2011-10-28
Peter Huemer: Rede in Klagenfurt zum 26. Oktober 2011
Dokumentation der Rede beim „Mahnmal für ein freies Österreich“ am Friedhof Annabichl
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Sehr geehrte Damen und Herren,
eingangs möchte ich betonen, dass es für mich eine Ehre ist, hier vor diesem Mahnmal der Opfer für ein freies Österreich zu Ihnen zu sprechen.
Ich beginne mit einer unbestreitbaren Tatsache. Der Historiker Wolfgang Neugebauer, langjähriger Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, stellt fest, dass (ich zitiere) „der antifaschistische Kampf der slowenischen Volksgruppe in Kärnten der effizienteste und militärisch wichtigste Widerstand auf österreichischem Boden war.“ Und ich füge hinzu, dass Kärnten ja auch das einzige Bundesland gewesen ist, das sich selber, also von innen, von der Naziherrschaft befreit hat, während das übrige Österreich seine Befreiung dem militärischen Sieg der Alliierten verdankt.
Dieser Kärntner Widerstand gegen den Nationalsozialismus, getragen von Männern, Frauen und sogar Kindern, war in Berlin so ernst genommen worden, dass man mehrmals den berüchtigtsten Richter des Dritten Reichs, Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofs, nach Kärnten geschickt hat, wo er in drei Verfahren insgesamt 31 Todesurteile gefällt hat. Dabei ist festzuhalten, dass es nicht nur Slowenen waren, die dem Wüten Freislers in Kärnten zum Opfer gefallen sind. Der Historiker Wilhelm Baum hat darüber ein Buch geschrieben, das heuer erschienen ist. Darin heißt es über die Verfahren: „Es ging keineswegs um Rechtsfindung . . ., sondern um politische Machtdemonstration und Einschüchterung.“ Trotzdem hat es bis 2009 gedauert, bis die Urteile des Volksgerichtshofs für ungültig erklärt worden sind.
Zurück in den Krieg: In der Moskauer Deklaration der Alliierten USA, Sowjetunion, Großbritannien vom 1.November 1943 heißt es abschließend: „Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf unvermeidlich sein wird, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen hat.“ In Österreich wird aber immer nur der erste Teil der Moskauer Deklaration zitiert, nämlich: dass Österreich als erstes freies Land der Angriffspolitik Hitlers zum Opfer gefallen ist, aber kaum dieser zweite Teil, betreffend den notwendigen eigenen Beitrag zur Befreiung. Der Grund dafür liegt auf der Hand: weil dieser Beitrag, den die Moskauer Deklaration einfordert, hier in Kärnten und in der Südsteiermark von slowenischen Partisaninnen und Partisanen geleistet worden ist. Und wie wurde es ihnen gedankt? Ein Kampf, der so viele Menschen ins KZ und in den Tod geführt hat! In Kärnten wurde dieser Kampf gegen den Nationalsozialismus mehrheitlich nicht als patriotische Tat, sondern als Verrat an der Heimat betrachtet. Eine Geschichtsfälschung also – so wie die Parole „Kärnten bleibt deutsch“ eine Geschichtsfälschung ist. Denn Kärnten war niemals NUR deutschsprachig – und deutsch schon gar nicht.
Nun ist es aber nicht so, dass die österreichischen Geschichtslügen auf Kärnten beschränkt geblieben wären. Auf Basis der schon zitierten Moskauer Deklaration hat bekanntlich das ganze Land sich 1945 zum Opfer des Nationalsozialismus erklärt – ganz unabhängig davon, welche wüsten antisemitischen Exzesse es in Wien bereits in den Märztage 1938, unmittelbar nach dem sogenannten „Anschluss“, gegeben hat, und unabhängig auch davon, wie stark der illegale Nationalsozialismus besonders in Kärnten schon vor 1938 gewesen ist. Was aber Kärnten vom übrigen Österreich unterscheidet, ist: dass der Deutschnationalismus, von dem sich Österreich 1945 abgewandt hat, in Kärnten danach nicht erledigt war, sondern ziemlich ungebrochen in seiner Bösartigkeit erhalten geblieben ist. Und dennoch hat die Sprachwissenschaftlerin Katja Sturm-Schnabl recht, wenn sie vor kurzem geschrieben hat: „Der Impuls des restlichen Österreich, sich an den Kärntner Verhältnissen abzuputzen, ist demaskierend . . . Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus, antislowenische Ressentiments und der Wunsch nach einem Schlussstich unter die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus enden nicht an den Kärntner Landesgrenzen.“ Das festzuhalten ist wichtig, wenn man sich mit den speziellen Kärntner Verhältnissen befasst.
Dabei ist offensichtlich, wie sehr die slowenische Volksgruppe in Kärnten benachteiligt und betrogen worden ist, seit es die Republik gibt. Das begann schon vor der Abstimmung 1920 – viele Versprechen, die nach der Abstimmung nicht eingehalten worden sind. Das zieht sich durch die Geschichte. Die Verpflichtungen, die sich aus dem Staatsvertrag ergeben haben: bis heuer hat es gedauert, bis diese recht und schlecht und auf allerunterstem Niveau erfüllt worden sind. Im Dezember 2009 haben die slowenischen Kulturverbände in Kärnten dagegen protestiert, dass lediglich 1% sämtlicher Landeskultursubventionen an die slowenische Kultur geht. 1%! Die Kulturverbände bezeichneten dies als „kulturpolitischen Skandal größten Ausmaßes“. Die junge Kärntner Politikwissenschaftlerin Judith Goetz, deren Diplomarbeit „Bücher gegen das Vergessen“ eben mit einem Wissenschaftspreis ausgezeichnet wird, kommentiert dies so (ich zitiere): „So lässt sich festhalten, dass gerade die Förderung des Kultur- und Vereinswesens der kärntnerslowenischen Minderheit von Seiten der Kärntner Landesregierung oftmals an die ‚Assimilierungswilligkeit‘ oder eine Distanzeirung vom PartisanInnenwiderstand gekoppelt waren und bis heute noch sind.“
Ändert sich etwas? Ja, schon. Ein bisschen. Die Schriftstellerin Maja Haderlap, deren grandioser Roman über das schwierige Aufwachsen eines Kindes in der traumatisierten slowenischen Gesellschaft in Kärnten heuer im Sommer erschienen ist, berichtet: Seit dieses Buch da ist und seit es den Bachmannpreis erhalten hat, passiert es ihr immer wieder, dass sie in Klagenfurter Geschäften, in denen sie nie damit gerechnet hätte, von Verkäuferinnen oder Verkäufern slowenisch angesprochen wird. Offenbar gilt nicht mehr, was Flaschberger/Reiterer 1980 in ihrem Buch „Der tägliche Abwehrkampf“ festgestellt hatten (ich zitiere): „Die Verwendung des Slowenischen außerhalb der ihm zugewiesenen Bereiche gilt als unangebracht, ja geradezu obszön, erregt öffentliches Ärgernis.“
Da hat sich offenbar etwas geändert. Und es sind Bücher, die dabei helfen. Maja Haderlap hat mit ihrem großen autobiografischen Roman „Engel des Vergessens“ vielen Kärntner Sloweninnen und Slowenen, die nach dem Krieg in diese schwer verletzte und von Hass und Ablehnung bedrohte Gemeinschaft hinein geboren worden sind, eine Stimme gegeben. Daneben von besonderer Bedeutung ist: „Das Buch der Namen. Die Opfer des Nationalsozialismus in Kärnten“, im Vorjahr erschienen, herausgegeben von Wilhelm Baum, Peter Gstettner, Hans Haider, Vinzenz Jobst und Peter Pirker. Im Vorwort schreibt Peter Gstettner: „Jedes Opfer hat einen Namen. Diesen Namen zu nennen und zu erinnern, heißt, wieder eine menschliche Verbindung zu den Menschen aufzunehmen, zu ihrer Würde und zu ihrem Schicksal.“
Bücher der Trauer. Aber erst wenn – sei es im Roman, sei es in der wissenschaftlichen Darstellung – den Menschen ihre Geschichte zurückgegeben wird, und wenn diese Geschichte eine möglichst breite Öffentlichkeit erreicht, wenn sie nicht mehr verschwiegen ist, dann kann dieser endlose aufgestaute Schmerz wenn schon nicht Erlösung, so zumindest Trost erfahren. Weil endlich denen Gerechtigkeit wiederfährt, die im Recht waren.