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2011-06-28 ERINNERN an die Extremformen der Barbarei und an deren alltägliche barbarische Voraussetzungen Reflexion zu einem Vorwort . Informationsbroschüre zur Exkursion nach Palmanova zu den faschistischen Konzentrationslagern Gonars und Visco. Herausgeber: Hans Haider, 28 Seiten Anlässlich einer Exkursion zu den italienischen faschistischen Konzentrationslagern Gonars und Visco hat der Verein Erinnern eine Informationsbroschüre (siehe Kasten) herausgegeben. Im Folgenden wollen wir dies zum Anlass nehmen, um zur Frage des „Erinnerns“ zu reflektieren. Geschichte heute als „Erinnern“ zu betreiben ist wichtig, denn es zeigt, dass Geschichte nicht einfach etwas ist, das da ist. Geschichte als Erinnern ist vielmehr ein aktiver Prozess, der die Personen, die sie betreiben, in den Mittelpunkt rückt. Warum erinnere ich mich? Was drängt mich zum Erinnern? Wodurch wird mein Erinnern geprägt? Welche Fragestellungen drückt mir wer oder was auf? ... Dies sei am Beispiel des Vorwortes der hier vorgestellten Broschüre demonstriert: „Es gibt kaum eine Region in Europa, in der nahezu alle Kriege und gewalttätigen Konflikte des 20. Jahrhunderts so direkte und unmittelbare Folgen hatten, wie im Alpen-Adria-Raum. Dies gilt für den Ersten Weltkrieg, wo die Region Frontlinie war, dies gilt für den antifaschistischen Widerstand, der hier begonnen hat, noch bevor in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, dies gilt für den Zweiten Weltkrieg, in dem es hier nicht nur zu regulären Kämpfen kam, sondern starke Partisaneneinheiten aktiv waren, dies gilt für den Kalten Krieg, als die Ost-West-Grenze direkt durch die Alpen-Adria-Region verlief und die Stadt Görz, wie Berlin, in zwei Teile spaltete. So wird aufgeklärte Geschichte heute geschrieben. Die Sache hat allerdings einen Haken: Es fehlt in der Auflistung DAS zentrale „Elementarereignis“, nämlich der Kapitalismus bzw. seine Durchsetzung im ausgehenden 19. und seine Vertiefung im Laufe des 20. Jahrhundert. Wenn dieses „Elementarereignis“ aber nicht benannt wird, dann sind wir blind gegenüber den Verhältnissen an der Basis unseres Zusammenlebens, sie erscheinen uns nur mehr als naturwüchsig und damit als nicht mehr erwähnenswert. So wie man ja auch die Schwerkraft nicht bewusst wahrnimmt, die ist ja einfach da. So ist Erinnern vielleicht weniger ein bewusster Prozess, sondern Erinnern passiert uns. Das Subjekt, das sich da erinnert, ist das System, es „erinnert uns“, wir „werden erinnert“. Erinnern, das seine eigenen Grundlagen ausblendet, kommt dann nur allzuleicht zu Schlussfolgerungen, die in etwa auf Folgendes hinauslaufen: Von Rechts und Links habe es den Terror gegeben, aber heute bestünde Aussicht auf ein friedliches Miteinander in einem geeinten Europa. Und weil wir unsere Lehren gezogen hätten, würden wir die Freiheit und die Demokratie gegen alles Totalitäre verteidigen, von Libyen bis Afghanistan, von Mali bis zu den Chaoten in Griechenland. Demgegenüber ist die Herausforderung eine riesige: Bei all dem ins Bewusstsein Zurückholen von vergangenen Verbrechen sind immer die uns zur zweiten Natur gewordenen Formprinzipien unserer Gesellschaft mitzudenken (den Tausch, die Konkurrenz...). Diese Art von Erinnerungsarbeit stößt jedoch des öfteren gerade bei Menschen, die im Nationalsozialismus Angehörige verloren haben, auf Unverständnis. Aber erst wenn der Kapitalismus nicht mehr selbstverständlich und naturwüchsig ist, kann man erklären, warum es zum Ersten Weltkrieg kam (Stichwort Imperialismus...), zu Nationen, Staat und Nationalismus, Faschismus (als Extremform des Nationalismus, als sozialdarwinistische Äußerung und als Reaktion auf Emanzipationsbewegung), zum Holocaust (als irrste Form des Nichtverstehen-Könnens blindwütiger Gesetzmäßigkeiten und deren Personalisierung), zum Ost-Westgegensatz (als Auseinandersetzung zweier Staat gewordener Systeme der Entfremdung ...), zum postkommunistischen Bürgerkrieg (möglicherweise als beginnende Zerfallsform von – nachholender – Entwicklung) ... Das allerdings ist ein Erinnern, das sehr anstrengend ist, weil es die eigene tagtägliche Praxis und das eigene Weltbild erschüttert. Das kann einen vom Mainstream ziemlich isolieren. Leichter aber ist Erinnern nicht zu haben. . .
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