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2011-04-09 Empörung: Ein Gefühl macht Karriere Oder: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass! . „Was zählt, ist das große Gefühl, nicht die rationale Ergründung der Welt.“ Die Empörung über die Zustände wächst: Ob im Jahr 2010 in Kärnten gegen Haiders Nachfolgerschaft und den Hypo-Alpe-Adria-Sumpf (Freitags-Demos 2010), ob in den diversen Kommentaren auf facebook, ob der Zumutungen der Krisensanierung. Es ist was zu spüren von Aufstand, von Rebellion. Man muss zwar differenzieren und genau hinschauen, aber der Gestus bei Vielen ist doch: Die da oben, die haben kein Recht, mit ihrem Dreck am Stecken uns zu regieren. „DIE sind ja korrupt! DIE bereichern sich! DIE halten sich nicht an die Gesetze, das sind ja alles Gangster!“ Auffallend ist: Da werden Personen, Firmen... mit Namen benannt, da wird's konkret, da wird auf DEREN (fehlende) Moral hingewiesen. Aber dabei bleibt es nur allzuoft, Phänomene werden als DIE Missstände thematisiert, sie sind schon in sich die Erklärung und nicht bloß Veranschaulichung von kapitalistischen Zuständen, z.B. die Gier der Manager/innen, die Eskapaden eines Politikers, die Rückständigkeit eines Bundeslandes... Das, was da so rebellisch daherkommt, sollte man indes nicht mit einem Ringen um Emanzipation verwechseln. Affirmation Im Gegenteil, auch wenn es viele der Empörten wohl nicht so sehen können und wollen: Empörung ist die Affirmation der Norm. Wer nicht die Warum-Frage stellt, wer das Einzelne, die Abweichung, zum Thema macht, der sagt nichts anderes, als dass die Norm selbst schon in Ordnung wäre. Sich z.B. einfach nur über den Reichtum Einzelner auszulassen, unterstellt eine Abweichung vom Recht und ignoriert, dass unser System und die gesamte darauf aufbauende Rechtsordnung auf Anhäufung von Geld beruht, dass Akkumulation oberste Bürgerpflicht ist. Verantwortungslosigkeit Gleichzeitig werden nicht nur diese Verhältnisse affimiert, sondern affimiert wird auch ein Bild, das die ideologische Grundlage der Moderne bildet (u.a. seit Luthers Abschied vom mittelalterlichen Menschenbild mit seiner Freyheith eines Christenmenschen): Der Mensch sei als Einzelne/r Subjekt – also bewusst Gestaltender – seines Schicksals. Doch nichts ist falscher als „Jeder ist seines Glückes Schmied". In der Empörung wird hingegen dieses Bild aufgegriffen und auf die negativen Erscheinungen gewendet: Der einzelne Glücksschmied habe sich halt bewusst zum Bösen gewendet, er sei Täter und damit haftbar zu machen. Doch genausowenig, wie die Geschichte eine der einzelnen Heroen ist, einzelne Wirtschaftskapitäne den Wohlstand schaffen, einzelne Denker den Lauf der Philosophie herumreißen, genausowenig sind es Taten isoliert zu betrachtender einzelner Böser, die einfach aufgrund krimineller Energie das Unheil über die Welt bringen: In die eine oder andere Richtung sind all die Heroen, Schurken, Leistungsträger, Geistesgrößen, Gangster ... nur möglich unter Verhältnissen, die sie hervorbringen und ihr Wirken erst wirkmächtig werden lassen. Und da ist es, wie Franz Schandl in Skandal als Skandalisierung schreibt, oft der Zufall, der einen Elsner zum Häfenbruder statt zu einem mit Verdienstkreuzen behängten Wirtschaftsgenie werden lässt. (siehe auch Verantwortung im Kollektiv der Zauberlehrlinge?) Und in der Kärntner Schmierenkomödie? Da ist ein gewisser Kulterer abgestürzt, und deswegen fordert der „aufgeklärte“, ach so weltoffene Mob die schwedischen Gardinen. Wenn's ginge, lebenslang, und das wär noch zuwenig. Finanzblasen und Spekulation als Ausdruck einer Systemkrise des Kapitalismus? Nie gehört! Peripherer Kapitalismus, wo die Akkumulation eben nur Schein ist und sich auf Ausbandelns, Filetieren, die Übernahme durch Banken, Konzerne aus den Zentren etc. reduziert? Nie gehört! Und dass das Land Kärnten Schulden wie der Hund Flöhe hat, dass die Kärntner Landeskrankenhäuser in Schulden zu versinken drohen und was da noch so aufzuzählen wäre? Auch das aus der Sicht der Empörten nur ein einziger Fall von Missmanagement, Korruption, Skandalen. Ach ja, und die Schuld von IHM, dem, der sich da südlich von Klagenfurt in einem dicken Auto erschlagen hat. Nun, liebe empörte Freundinnen und Freunde: Da seid Ihr, obwohl Ihr Euch so von seiner Ideologie distanzieren wollt, noch mal posthum auf IHN hereingefallen: Genausowenig, wie ER und SEINE einzelnen Aktionen irgendjemanden hätte die Erlösung bringen können, genausowenig ist ER an allem Schuld. Ein bisschen was wurde vielleicht bei uns übertrieben, aber dass man vor lauter Hinstarren auf die eine teutsche Eiche nicht mehr den krisenkapitalistischen Wald und die damit verbundenen Symptome des Niedergangs sieht, das sollte denn doch nicht sein. Es sei denn, man übernimmt selbst eben dieses stockreaktionäre Weltbild, das von der sonst so gehassten Kronen-Zeitung seit Jahrzehnten getrommelt wird („alles ein Sumpf“) oder einer Margret Thatcher ("There is no society") oder von IHM („Handschlagqualität“, „Anständigkeit“, „Ehrlichkeit“ und all die anderen Phrasen des ärmelaufkrempelnden Machertums). Empörung als Bildungsziel Bildung ist am Entstehen von sich „empörenden Bürger/innen“ unmittelbar beteiligt. Dabei verstehe ich Bildung nicht als überhistorisches Phänomen des Lernens, sondern als ein spezifisches gesellschaftliches Subsystem. Seine Aufgabe ist es, uns als Vereinzelte (als Monaden), zu denen wir durch den Äquivalententausch (das grundlegende Formprinzip im Kapitalismus) werden, individuell höher zu entwickeln. Der mehr oder weniger heimliche Lehrplan eines solchen Bildungsprozesses lautet: Der / die Gebildete steht in einem spezifischen Verhältnis zum gesellschaftlichen Ganzen: Er kritisiert zwar dessen Fehlentwicklungen, er empört sich über die Entartung, aber nicht über die gesamte Grundlage, er bleibt dem Ganzen (der Gesellschaft, dem Volk …) über seinen Bezug zum Staat verbunden. Der Gebrauchswert des Gebildeten für das System ist sein idealistischer Nachdruck / seine Emphase, der Appell an die Vernunft des Systems, an den ideellen Gesamtkapitalisten (=Staat). (siehe Warum versagt das Wundermittel Bildung?) Es ist dies eine systemkonforme Kritik, basierend auf den beiden Bildungszielen „Einsicht in die Notwendigkeit“ und „Empörung“. Alles Schlucken als Alternative? Kommen wir zum Schluss der Ausführungen über die Empörung als Lebensgefühl einer Gesellschaft, die merkt, dass es hinten und vorne nicht mehr passt, aber die die Grundlagen ihrer Vergesellschaftung (den Äquivalententausch mit seinen einzelnen Akteuren, die jeweils ihren Vorteil maximieren, um dann über die invisible Hand des Marktes doch noch zu einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt zu werden) (noch) nicht hinterfragen will. Da, am Ende des Beitrages, ist es doch noch notwendig, eine Ergänzung anzubringen: Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet die Kleine Zeitung im Eingangszitat von Stefan Winkler eine so hellsichtige Analyse gegen die Empörung und für „die rationale Ergründung der Welt“ bringt, eine Zeitung, die immer wieder die „Einsicht in die Notwendigkeit“, das „Gürtel-enger-Schnallen“, die „Sparpakete“ (dazu Vernunft statt Populismus?) predigt: „Empörung“ und die ach so rationale „Einsicht in die Notwendigkeit“ eines im Grunde irrationalen Systems sind nämlich nur scheinbar Gegensätze. Beide sind vielmehr die zwei Seiten einer Medaille. Diese jedoch steht solchem Denken nicht zur Disposition, darf nur in ihren Erscheinungen, aber nicht grundlegend hinterfragt werden. Genau darauf aber käme es an: Die Widersprüche, den Schmerz, die Unterdrückung ... sehr wohl zur Kenntnis zu nehmen, diese Phänomene aber in ihrem Systemkontext zu sehen und so die gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie hervorbringen, radikal – also von den Wurzeln her – zu verändern!
Kritiker, 2011-10-24, Nr. 5315 Der Autor scheint zwar Stefan Winkler (!) zu lesen, aber Stephane Hessel scheint er nicht gelesen zu haben. Walther Schütz, 2011-10-24, Nr. 5318 Werter "Kritiker"!
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