2010-03-14
Jura Soyfer: Lied des einfachen Menschen
aus: widerstand und freiheitskampf (ed. peter ulrich lehner)
.
Jura Soyfer,
Lied des einfachen Menschen
Menschen sind wir einst vielleicht gewesen
Oder werden's eines Tages sein,
Wenn wir gründlich von all dem genesen.
Aber sind wir heute Menschen? Nein!
Wir sind der Name auf dem Reisepaß,
Wir sind das stumme Bild im Spiegelglas,
Wir sind das Echo eines Phrasenschwalls
Und Widerhall des toten Widerhalls.
Längst ist alle Menschlichkeit zertreten,
Wahren wir doch nicht den leeren Schein!
Wir, in unsern tief entmenschten Städten,
Sollen uns noch Menschen nennen? Nein!
Wir sind der Straßenstaub der großen Stadt,
Wir sind die Nummern im Katasterblatt,
Wir sind die Schlange vor dem Stempelamt,
Und unsre eignen Schatten allesamt.
Soll der Mensch in uns sich einst befreien,
Gibt's dafür ein Mittel nur allein:
Stündlich fragen, ob wir Menschen seien,
Stündlich uns die Antwort geben: Nein!
Wir sind das schlecht entworfne Skizzenbild
Des Menschen, den es erst zu zeichnen gilt.
Ein armer Vorklang nur zum großen Lied.
Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!
in: Widerstand und Freiheitskampf, S. 264f
.
.
Dieses Gedicht ist erschienen in
Widerstand und Freiheitskampf
lyrische beiträge des 20. jahrhunderts aus österreich
herausgegeben von peter ulrich lehner
400 Seiten Format 12,5x21
19.90 € | 29.90 Chf
ISBN: 978385476-319-2
lieferbar
.
.
.
.
.
.