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2010-01-31 Wolfsberg, der Holocaust und die Kinder Rede zur Ausstellungseröffnung → „No Child’s Play – Kein Kinderspiel“ im Rathaus der Stadt Wolfsberg (Kärnten) zum Internationalen Holocaust Gedenktag am 27. Jänner 2010. Eine Gedenkveranstaltung der Stadt Wolfsberg in Kooperation mit den Österreichischen Freunden von Yad Vashem . „Die Orte verbergen ihre Geschichte und die Menschen verbergen ihre Taten“, schrieb ich kürzlich im Vorwort zum Buch von Nadja Danglmaier und Helge Stromberger über die Tatorte und Schauplätze nationalsozialistischer Gewalt in Klagenfurt.[1] Im Unterschied zu Klagenfurt hat Wolfsberg schon vor einigen Jahren mit der Aufarbeitung seiner NS-Geschichte begonnen. Im Jahre 2000 wurde ein Schandfleck der Stadtgeschichte beseitigt, der von antisemitischen Wahnvorstellungen des Mittelalters kündete und bis dato zum Fixpunkt der Stadtführung gehörte. Nachhaltige Aufklärung und zeitgeschichtliche Forschungen führten zu einer Gedenktafel beim sog. „Judenstein“ und bei einem diesbezüglichen Fresko in der Dreifaltigkeitskirche. Ein Jahr später, am 9. April 2001, wurde im Zuge einer Gedenkveranstaltung neben dem Rathaus die Tafel „Zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten und vertriebenen Wolfsberger Juden“ feierlich enthüllt.[2] Diese beachtenswerten Initiativen wurden durch das öffentliche Engagement einiger Menschen der Kärntner Politik und Zivilgesellschaft getragen, unter anderem von dem Ehepaar Friederike und Ulrich Habsburg-Lothringen, von der Historikerin Andrea Lauritsch, vom Buchautor Berndt Rieger, um nur einige zu nennen. Außer vielleicht Villach kann wohl keine andere Stadt in Kärnten mit vergleichbaren Beiträgen zur Erinnerungskultur aufwarten.[3] Was zu diesem denkwürdigen Datum des Internationalen Holocaust Gedenktages an historischem Wissen gehört, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Am 27. Jänner 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von der Sowjetarmee befreit. Auschwitz-Birkenau war das Lager, das zum Inbegriff für die Vernichtung des jüdischen Volkes wurde. Insofern steht das Datum zu Recht für die Erinnerung an den Holocaust schlechthin, nicht jedoch für das Ende des Holocaust bzw. für die Befreiung von allen Nazigräueltaten in Europa. Was bei diesem Datum häufig „vergessen“ wird, ist, was Simon Wiesenthal in einem einzigen lapidaren, aber schwerwiegenden Satz dazu gesagt hat: Sie (die Befreier) fanden in Auschwitz nur mehr wenige Überlebende vor.[4] Zu dem ist an das Faktum zu erinnern: Auch nach dem 27. Jänner 1945 ging das systematische Morden der Nazis weiter.
Der 27. Jänner 1945 ist ein symbolischer Tag in einer Chronologie eines gigantischen Verbrechens; der 27. Jänner 1945 ist aber nicht der letzte Gedenktag in der mörderischen Endphase des Dritten Reiches. Die Stadt Wolfsberg, die heute der Gastgeber dieser Veranstaltung ist, hat nicht mehr Gründe als andere Kärntner Städte auch, die heimische Erinnerungskultur zu bereichern. Dennoch sollen ein paar spezifische Begebenheiten und Daten, die Wolfsberg betreffen, hervorgehoben werden. ♦ Vor mehr als 670 Jahren wurde hier in Wolfsberg eine infame Legende kreiert. Die jüdische Gemeinde von Wolfsberg wurde der sog. Hostienschändung bezichtigt. Dies mobilisierte die kirchliche Obrigkeit und den bürgerlichen Mob zu Gewalttaten. Über 70 Juden, Männer, Frauen und Kinder wurden brutal niedergemacht, die restlichen Juden aus der Stadt vertrieben. Das war im August des Jahres 1338.[8] ♦ Im 20. Jahrhundert war Wolfsberg eine der Speerspitzen der Hitlerbewegung. 1923 war Wolfsberg eine der ersten Gemeinden, in denen eine NSDAP Ortsgruppe in Kärnten gegründet wurde. ♦ 1934 beim Juliputsch gelang den Nazis von Wolfsberg sogar eine kurzfristige Machtübernahme der Stadt. Durch Geiselnahmen erzwangen sie die Kapitulation von Verbänden der Heimwehr und der Gendarmerie, denen zuvor schwere Gefechte geliefert wurden. ♦ Nach dem sog. Anschluss 1938 erschwerten die Nazis den in Wolfsberg verbliebenen Juden schrittweise ihr Leben. Enteignung, Entrechtung, Vertreibung – die Kollegin Andrea Lauritsch hat in ihrer Studie die Geschichte der Wolfsberger Juden aufgearbeitet und bewusst gemacht, wie damals der Nazi-Raubzug, den man gemeinhin „Arisierung“ nennt, in dieser Stadt vor sich ging.[9] ♦ Von 1941 bis 1945 befand sich in Wolfsberg ein NS-Kriegsgefangenen-Stammlager, das sog. Stalag XVIII A, zugehörig dem Wehrkreis 18, mit über 7.000 Kriegsgefangenen in bis zu 35 Baracken, mit inhaftierten Engländern, Kanadiern, Franzosen, Italienern, Polen, Russen, Jugoslawen. Sie hatten in zahllosen Außenarbeitslagern und bewachten Quartieren in der Landwirtschaft und in Industriebetrieben für den „Endsieg“ und für das Wohl der Kärntner Zivilbevölkerung zu schuften. Später, nach Kriegsende, diente das Stalag XVIII A der britischen Besatzungsmacht als das wichtigste Internierungslager für die vormalige Nazielite. Das ehemalige Stalag bot dafür die Infrastruktur – und Wolfsberg die „Tradition“. ♦ Wolfsberg war schon früh Geburtsort und Treffpunkt prominenter Nazis. Eine dieser Figuren des Kärntner SS-Netzwerkes um den Gauleiter Rainer war Franz Novak[10] , der sich 21-jährig schon 1934 beim Nazi-Putsch in Wolfsberg seine ersten Sporen verdient hatte.[11] Später wurde er in die SS übernommen und hatte seine ähnliche Karriere wie sein Freund und Vorbild Odilo Globocnik. Novak wurde Mitarbeiter im Stab von Adolf Eichmann und war der „Transportexperte“ in allen Angelegenheiten der sog. Aussiedelung und der Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager:
An die 1,5 Millionen jüdischer Kinder sind im Holocaust Opfer des deutschen Massenverbrechens geworden. Eine unvorstellbare Zahl. Eine unvorstellbare Tat. Eine Tat, die sich nicht im Geheimen und Verborgenen vollzog. Das macht sie nur noch schwerer vorstellbar. Für die Bürokraten der Vernichtung waren die Kinder allenfalls ein zusätzliches Organisationsproblem, das es bei den Abriegelungen der Ghettos, bei den Deportationsmaßnahmen und beim Fassungsvermögen von Waggons und Zügen, Gaskammern und Verbrennungsöfen zu berücksichtigen galt. Wenn die Kinder nicht ganz „normale“ Kinder gewesen wären, also kleine, mal anhänglich mal lästige Sandkörner im großen Vernichtungsgetriebe, dann wären sie wahrscheinlich in den zeitgenössischen Dokumenten überhaupt nicht auffindbar. So aber gibt es sie, die kleinen Hinterlassenschaften der Kinder, Spielsachen, Zeichnungen und oft nur „Zitate“, registriert und aufbewahrt von jenen wenigen Erwachsenen, die sich verantwortlich fühlten für die Kinder, die ihnen anvertraut waren, die sie zu schützten versuchten, was nur allzu oft vergeblich war. Zum Beispiel Annette Monod, Fürsorgerin beim französischen Roten Kreuz. Sie tat alles, um das Elend der Kinder im Auffanglager zu lindern. Ihre Erinnerungen an den Abtransport einer Gruppe kleiner Kinder aus dem Lager sind mehr als nur sensible Beobachtungen. Sie wusste, dass die Züge an der Bahnhofsrampe warteten und ahnte, dass an diesem frühen Septembermorgen des Jahres 1942 die Stunde der „Endlösung“ für die Kinder gekommen war: „Die kleinen Kinder schliefen noch halb, und es kostete einige Mühe, sie aus ihren Zimmern herunterzubringen. Die meisten von ihnen saßen nun am Boden neben ihren ärmlichen kleinen Bündeln... Die Polizisten versuchten es mit einem Appell, doch es war unmöglich ihn durchzuführen; Rosenthal, Biegelmann, Radekski... niemand gab Antwort; die Familiennamen sagten den Kindern nichts. Sie begriffen nicht, was man von ihnen wollte; einige entfernten sich sogar kurzerhand von der Gruppe. Ein winzig kleiner Junge ging auf einen Polizisten zu und versuchte, mit der Signalpfeife zu spielen, die der Mann an einer Schur am Gürtel trug; ein kleines Mädchen sah Blumen, die an nahen Böschungen wuchsen, und ging hin, um sie zu pflücken und einen Strauß zu binden. Die Polizisten waren ratlos. Schließlich kam der Befehl, sich nicht weiter um die Feststellung der Namen zu kümmern und die Kinder zum Bahnhof zu führen. Hauptsache, das Kontingent war vollzählig.“ [14] Die meisten der Kinder haben selbst weder Spuren noch Relikte hinterlassen. Das einzige, das oft erhalten blieb, sind die Schmerzen der Erinnerung an ihr Verschwinden; es sind die Erinnerungen an Kindertränen über ein verlorenes Lieblingsspielzeug, es sind die verklungenen Kinderlieder, es sind die über Generationen weitergegebenen Bilder und Wahrnehmungen, die noch unendlich lange an unsere Emotionen rühren werden. Die Emotionen und Erinnerungen sind untrennbar miteinander verwoben. Elie Wiesel, Überlebender von Auschwitz-Birkenau und Buchenwald, sagt an einer Stelle im Gespräch mit Jorge Semprun, der ebenfalls Häftling im KZ Buchenwald war: „Wenn ich an die Kinder denke, muß ich weinen. Ich erinnere mich an die Kinder, (...) die einfach so, still und brav, ohne zu schreien, ohne zu klagen, in den Tod gingen. Ich frage mich, wie sie das tun konnten. Weißt du, Jorge, ich hoffe, dass ihren Mördern niemals verziehen wird. Ich will nicht, dass Gott ihnen verzeiht, was sie den Kindern angetan haben. Niemals.“[15] Was Elie Wiesel hier sagt, charakterisiert den bleibenden Schmerz und die Trauer über alle ermordeten Kinder. Alle Gefühle sind darin aufgehoben, die Erwachsene beim Verlust eigener Kinder haben, aber auch alle Gefühle, die Kinder gegenüber ihren Eltern haben, deren Ermordung sie oft miterleben mussten. In diesem Gefühlskomplex sind auch die Schuldgefühle enthalten, die von den Überlebenden in das „Weiterleben“ nach 1945 mitgenommen wurden. Das ist auch der Kernpunkt, den ich zur Eröffnung dieser Ausstellung sagen möchte: Die Erinnerungen an die Kinder, ihre Erinnerungsspuren führen uns in eine Gefühlswelt, die mit Sentimentalität nichts zu tun hat. Vielleicht sind diese kaum benennbaren persönlichen Gefühle das einzige, was wir den verwundeten und geschändeten Kinderseelen schulden und was an „Erinnerung“ die Zeit überdauern wird. . . . Anmerkungen [1] Nadja Danglmaier/Helge Stromberger: Tat-Orte. Schau-Plätze. Erinnerungsarbeit an den Stätten nationalsozialistischer Gewalt in Klagenfurt. Klagenfurt/Celovec 2009. Um die Erinnerungskultur in Klagenfurt hat sich die Initiative Memorial Kärnten/Koroška besonders verdient gemacht. Ihr Hauptanliegen, für das sie bei Stadt und Land um Unterstützung wirbt, ist die Neugestaltung der zentralen Gedenkstätte „Den Opfer für ein freies Österreich 1938-1945“ am Friedhof in Annabichl. ... zurück zum Text [2] Die Tafel enthält die Daten zu folgenden Namen: Emma Gross, Adolf Gross, Hermine Singer, Hans Singer, Lotte Roth, Anny Junek. Die Tafel ist mit “November 2000” datiert. . ... zurück zum Text [3] Zur NS-Geschichte von Villach haben, unterstütz von der Stadt, insbesondere Lisa Rettl, Werner Koroschitz und August Walzl gearbeitet und veröffentlicht. [Und Hans Haider! Anm. der Redaktion] ... zurück zum Text [4] Simon Wiesenthal: Jeder Tag ein Gedenktag. Chronik jüdischen Leidens. Frankfurt/Berlin 1990, S. 45 ... zurück zum Text [5] Simon Wiesenthal, 1990, S. 45 ... zurück zum Text [6] Vgl. die Homepage des Vereins/Drustvo Peršman: www.persman.at ... zurück zum Text [7] Simon Wiesenthal, 1990, S. 108 ... zurück zum Text [8] Simon Wiesenthal, 1990, S. 190 ... zurück zum Text [9] Andrea Lauritsch: Die Juden in Wolfsberg. Herausgegeben von der Stadtgemeinde Wolfsberg 2000. ... zurück zum Text [10] Berndt Rieger: Der Fahrdienstleiter des Todes. Franz Novak, der Transportexperte Eichmanns. Eine Biographie. O.J. (2001). Vgl. auch Hans Safrian: Eichmann uns seine Gehilfen. Frankfurt 1995 ... zurück zum Text [11] Franz Novak wurde am 10.1.1913 in Wolfsberg geboren. Er starb 71-jährig in Wien. Zwischen 1961 und 1966 wurden von der österreichischen Nachkriegsjustiz mehrere Prozesse gegen Novak wegen seiner NS-Verbrecherkarriere angestrengt. Ohne nachhaltigen Erfolg. „Erst im vierten Prozess kommt es zu einem Schuldspruch, die Strafe gilt aber durch eine fünfjährige Untersuchungshaft als verbüßt, ein medizinisches Gutachten bescheinigt ihm außerdem Haftunfähigkeit. Durch einen Entscheid des österreichischen Bundespräsidenten wird die Strafe später zur Gänze nachgesehen.“ (Reinhard Pohanka: Pflichterfüller. Hitlers Helfer in der Ostmark. Wien 1997, S. 124) ... zurück zum Text [12] „Eichmann und Novak wußten offenbar, dass seit ungefähr Mitte Juli (1942) in Auschwitz-Birkenau die technischen Anlagen für den sofortigen Massenmord an Menschen, die von der SS als ‚nicht arbeitsfähig’ eingestuft wurden, bereitstanden.“ (Hans Safrian: Eichmann uns seine Gehilfen. Frankfurt 1995, S. 207) ... zurück zum Text [13] Franz Novak setzt von Ungarn aus 147 Züge mit rund 450.00 ungarische Juden in Bewegung. Um die Deportationen aus Ungarn zu planen, gab es zuvor (1944) eine Stabsbesprechung mit Eichmann in Mauthausen. Später hat Novak bei seiner Einvernahme (1961) gesagt, er habe vom „Zielort“ der Transporte nichts gewusst: „Mir ist nicht bekannt gewesen, dass die Angehörigen dieser Transporte in Auschwitz liquidiert werden sollten.“ (Reinhard Pohanka: Pflichterfüller. Hitlers Helfer in der Ostmark. Wien 1997, S. 122) ... zurück zum Text [14] Zit. nach Debórah Dwork: Kinder mit dem gelben Stern. Europa 1933-1945. München 1994, S. 279 ... zurück zum Text [15] Jorge Semprun/Elie Wiesel: Schweigen ist unmöglich. Frankfurt 1997, S.35 ... zurück zum Text
dw, 2010-02-04, Nr. 4745 um vergangenheit wirklich begreifen zu können, führt kein weg vorbei, an der ERINNERUNG.
mimenda, 2010-02-05, Nr. 4746 Ich stand heute um Karten für Dieter Hildebrandt an und geriet mit zwei älteren Leuten ins Gespräch. Wie es so ging, kommt man von Hölzchen auf Stöcken und plötzlich (weiß gar nicht mehr, warum, Ausgangspunkt war die DDR, die Linke, Gysi als Redetalent...) auf die Nazizeit. Kaum hatte ich gesagt, dass nicht nur Deutschland judenfeindlich war, sondern dass man den Antisemitismus als ein weltweites Phönomen betrachten müsse, damals wie heute, war das offenbar Anlass genug für die Dame, ihrer Antipathie gegen die Juden merkbar gezügelten Lauf zu lassen.
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