2009-05-03
Ich schwitze öffentlich
Ich „sitze in der U-Bahn und vermeide den Blick nach unten. Kinnabwärts befindet sich eine Fremde: Ein Rock im zartesten aller knalligen Rots, ein schlichtes T-Shirt im angepasstesten aller politischen Lilas. Die Schuhe sind grundsolide nicht der Rede wert. Nach dem gestrigen Debakel bin ich auf der Suche nach weiteren Standbeinen.
Ich bin also auf Jobsuche.
Da trifft es sich gut, dass eine Firma, bei der ich mich nur aus Jux beworben habe und um herauszufinden, wie die Aktie momentan steht - meine Aktie, meine ich -, sich tatsächlich zurück gemeldet hat. Ich bin vorgeladen. Ich bin frisch geduscht und mit dezentem Parfüm und einer professionellen Bewerbungsmappe bewaffnet. Abgesehen davon schwitze ich hochsommerlich und weiß nicht, wie lange ich noch bis zum Zielort brauche. Mein Vorstellungsgespräch beginnt jetzt. Leider kann ich nicht anrufen und mich für meine Verspätung entschuldigen, mein Handybetreiber sah sich aufgrund meiner Zahlungssäumigkeit in seiner Kooperationsbereitschaft provoziert.
Ich verlasse die U-Bahn und finde ermutigend schnell die Bushaltestelle der Vorortlinie, die mich tiefer in den mir unbekannten Stadtteil bringen soll. Der Bus wird in zwei Minuten kommen, das gibt mir Zeit, um auf dem Plan die Lage auszuloten. Den Straßennamen weiß ich, die Hausnummer auch. Ich verschwende keinen Gedanken an mein Dilemma: Die Wahrheit ist, ich weiß nicht mehr, für welchen Job ich mich beworben habe. Beim Abschicken der Bewerbung war es mir nicht besonders ernst mit meiner Jobsuche. Jetzt hat mich der Ernst des Lebens von hinten überholt. Ich würde fast alles machen. Ich habe Hunger.
Der Zuständigen für Human Resources kann man keine Verärgerung über 35 Minuten Verspätung anmerken. Sie hat entweder ein gutes Pokerface oder ist das Warten gewöhnt. Die Firma ist wirklich weit draußen. Was seinen Durchmesser betrifft, ist Wien auf jeden Fall großstadttauglich.
Geschäftig befüllt sie ein Datenblatt mit Informationen über mich. Ich beschließe, im Gespräch nicht allzu sehr auf Pünktlichkeit als Kernkompetenz zu bestehen. Die Frage nach meinen Vorstellungen und Ambitionen beantworte ich ausweichend. Es wäre alles in allem doch eine Hilfe zu wissen, für welche Position in welchem Arbeitsbereich ich mich so gerne zur Verfügung stellen würde.
Ein Computer lässt sich mit einem Fragebogen füttern, der scheinbar irgendetwas über mich, meine Persönlichkeit und meine versteckten und unterdrückten Tendenzen weiß. Er spuckt ein Profil aus, in dem ich mich nicht wirklich wiedererkenne. Der Computer hält mich für eine Pedantin ohne Phantasie und Teamgeist. Mein Karma zeigt dem Computer in schneller Folge einen Vogel und den Stinkefinger. Ich muss lachen, bin aber gar nicht so empört. Ich habe momentan den Verdacht, dass eine Pedantin bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat.
Die Zuständige für Human Resources grinst mich von der Seite an. Sie kann Gedanken lesen. Sie scheint mich außerdem zu mögen. Einen Job hat sie deshalb noch nicht für mich.
Ich übersetze mir ihre neutral bedauernde Absage: Keine Dreadlocks bitte, und gedecktes Rot ist immer noch kein Dunkelblau. Es könnte aber auch heißen: Solange Sie selbst nicht wissen, was Sie wollen, kann ich nichts für Sie tun. Oder: Kommen Sie das nächste Mal doch bitte pünktlich.
Ich verlasse das Büro und konsultiere meinen Palm für Plan 13. Meine Verspätung rächt sich gleich noch einmal: Ich werde es zur nächsten Joghurtausgabe nicht mehr schaffen. Der Tag kotzt mich an. Ich überdenke die Lage und rette mich zu einem Altarm. Donauweib, ich komm dir huldigen!
Schon wieder. Vielleicht kann ich ein paar Algen schlucken, soll ja gesund sein.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Mieze Medusa
aus „Freischnorcheln“, Milena Verlag, 2008
ISBN 978 3 85286 167 8