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2009-02-07 Der heraufziehende kapitalistische Konsens Viele Progressive befinden sich immer noch im letzten Krieg, dem Krieg gegen den Neoliberalismus – und sie übersehen dabei, dass bereits eine neue Regulierung des Kapitalismus diskutiert wird. Garniert mit stärker humanistischen Begründungen droht indes mehr Sozialmanagement. . Liebe Kärnöl-Leser/innen! Wie zu erwarten, haben die schnellen Auflösungserscheinungen der Weltwirtschaft zusammen mit dem Aufstieg eines afro-amerikanischen Liberalen ins Amt des US-Präsidenten Millionen die Welt an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter sehen lassen. Einige der Neuernennungen des künftigen Präsidenten Barack Obama haben auf jeden Fall Skepsis hervorgerufen – speziell die des ehemaligen Finanzministers Larry Summers zum Chef des nationalen Wirtschaftsrats, des Vorsitzenden der New Yorker Zentralbank Tim Geithner zum Finanzminister und des ehemaligen Bürgermeisters von Dallas, Ron Kirk, zum Handelsbeauftragten. Aber das Gefühl, dass die alten neoliberalen Rezepte nachhaltig diskreditiert sind, hat viele davon überzeugt, dass die neue demokratische Führung der größten Wirtschaftsmacht der Welt mit den fundamentalistischen Markt-Politiken brechen wird, die seit Beginn der 1980er Jahre regiert haben. Eine wichtige Frage ist natürlich, wie entschlossen und endgültig der Bruch mit dem Neoliberalismus sein wird. Andere Fragen betreffen dagegen den Kern des Kapitalismus selbst. Werden öffentliches Eigentum und staatliche Eingriffe und Kontrolle nur benutzt, um den Kapitalismus zu stabilisieren und die Kontrolle anschließend wieder an die Führung der Unternehmen zurückzugeben? Wird es eine neue Runde keynesianischen Kapitalismus´ geben, wo der Staat und die Unternehmensführungen mit den Gewerkschaften eine auf einer Industriepolitik, Wachstum und hohen Löhnen basierende Partnerschaft ausarbeiten – aber diesmal mit einem grünen Touch? Oder werden wir Zeuge einer grundlegenden Änderung in Richtung eher öffentlicher Besitzverhältnisse und Kontrolle der Wirtschaft? Das System des weltweiten Kapitalismus lässt sich zwar nur begrenzt reformieren, aber zu keinem anderen Zeitpunkt in dem vergangenen halben Jahrhundert schienen diese Grenzen fließender zu sein als jetzt. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat bereits eine Position abgesteckt. Er erklärte, dass der „laissez-faire-Kapitalismus tot ist“ und schuf einen strategischen Investitionsfonds mit 20 Milliarden Euro, um technologische Innovationen zu fördern, hochentwickelte Industrie in französischen Händen zu halten und Arbeitsplätze zu retten. „Was wird von der französischen Wirtschaft übrig sein, wenn wir einmal keine Züge, Autos, Flugzeuge und Schiffe mehr bauen?“, stellte er kürzlich die rhetorische Frage. „Erinnerungen. Ich werde aus Frankreich nicht einfach ein Touristenland machen.“ Diese Art aggressiver Industriepolitik, die zum Teil darauf abzielt, die alte weiße Arbeiterklasse des Landes für sich zu gewinnen, kann Hand in Hand gehen mit der ausschließenden Anti-Immigrationspolitik, mit der der französische Präsident assoziiert wird. Weltweite Sozialdemokratie Aber ein neuer nationaler Keynesianismus á la Sarkozy ist nicht die einzige Alternative für die globalen Eliten. Angesichts der Notwendigkeit, in einer Welt, in der sich die Machtverteilung zum Süden hin verschiebt, für ihre Interessen werben und dafür weltweit Legitimität herstellen zu müssen, könnten die westlichen Eliten einen Ableger aus europäischer Sozialdemokratie und New Deal-Liberalismus attraktiver finden, den man „weltweite Sozialdemokratie“ oder GSD nennen könnte. Noch bevor der volle Umfang der Finanzkrise an den Tag kam, hatten Befürworter einer GSD diese als Alternative zur neoliberalen Globalisierung ins Spiel gebracht, als Antwort auf die durch letztere hervorgerufenen Belastungen. Eine der Personen, die mit ihr in Verbindung gebracht werden, ist der britische Premierminister Gordon Brown, der mit der teilweisen Verstaatlichung der Banken als Erster in Europa auf die finanzielle Kernschmelze antwortete. Brown, der allgemein als der Pate der „Make Poverty History“-Kampagne in UK angesehen wird, schlug noch in seiner Funktion als britischer Finanzminister vor, eine, wie er es nannte, „Allianz im Kapitalismus“ zwischen Markt- und staatlichen Institutionen zu gründen, die auf der Weltbühne das reproduzieren würde, was nach seinen Worten Franklin Roosevelt für die nationale Ökonomie getan hatte, nämlich „sich der Vorteile des Marktes zu versichern und gleichzeitig seine Auswüchse zu zähmen“. Das müsste ein System sein, sagte Brown, das „alle Vorteile globaler Märkte und Kapitalflüsse nützt, die Störrisiken minimiert, für alle die größtmöglichen Chancen schafft und den Verwundbarsten hilft – kurz, die Wiedereinführung von staatlichen Zielvorstellungen und hohen Idealen in die internationale Wirtschaft“. In Browns Diskurs über die weltweite Sozialdemokratie stimmten so unterschiedliche Leute ein wie der Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs, George Soros, der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, der Soziologe David Held, Nobelpreisträger Joseph Stieglitz und sogar Bill Gates. Im Detail war die Position dieser Leute selbstverständlich unterschiedlich, aber ihre Perspektiven zielten in die gleiche Richtung: eine Reformierung der gesellschaftlichen Ordnung und eine Wiederbelebung des ideologischen Konsenses hinsichtlich eines globalen Kapitalismus. Unter anderem werden von den Befürwortern der GSD folgende Schlüsselpunkte genannt:
Die Grenzen einer weltweiten Sozialdemokratie [Die Idee einer] weltweiten Sozialdemokratie ist bisher wenig beachtet worden, vielleicht weil sich viele Progressive immer noch im letzten Krieg befinden, dem Krieg gegen den Neoliberalismus. Kritik ist aber dringend notwendig, und nicht nur, weil GSD die wahrscheinlichste Nachfolgerin des Neoliberalismus ist. Viel wichtiger ist, dass GSD, trotz einiger positiver Elemente, wie das alte sozialdemokratische keynesianische Muster, eine Reihe problematischer Punkte enthält. Die Kritik könnte mit der Problematisierung von vier zentralen Elementen der GSD-Perspektive beginnen. Erstens, wie der Neoliberalismus hat GSD eine Vorliebe für Globalisierung, der Unterschied liegt hauptsächlich darin, dass sie verspricht, die Globalisierung besser zu verkaufen als die Neoliberalen. Das ist aber nichts anderes, als zu sagen, dass ein von Natur aus gesellschaftlich und ökologisch äußerst zerstörerischer Prozess attraktiv und akzeptabel gemacht werden kann, indem man einfach die Dimension „weltweite soziale Integration“ hinzufügt. GSD geht von der Annahme aus, dass die Menschen tatsächlich Teil einer funktionell integrierten Weltwirtschaft sein wollen, in der die Barrieren zwischen national und international verschwunden sind. Aber wollen die Menschen nicht in Wirklichkeit lieber Teil von Ökonomien sein, die lokal kontrolliert und vor den Unwägbarkeiten der internationalen Wirtschaft geschützt sind? Tatsächlich unterstreicht die derzeitige schnelle Talfahrt der miteinander verbundenen Ökonomien die Gültigkeit eines der Hauptkritikpunkte der Antiglobalisierungsbewegung am Globalisierungsprozess. Zweitens, wie der Neoliberalismus hat GSD eine Vorliebe für den Markt als Hauptmechanismus für Produktion, Distribution und Konsum, der Unterschied liegt hauptsächlich darin, dass sie staatliche Aktionen zur Lösung von Marktversagen propagiert. Gemäß Jeffrey Sachs in „The End of Poverty“ braucht die Welt eine Art von Globalisierung, mit der eine „Zügelung der beachtlichen Kräfte von Handel und Investitionen verbunden ist, während gleichzeitig Beschränkungen anerkannt und durch kollektive Aktion ausgeglichen werden“. Das ist etwas völlig anderes als zu sagen, dass die Bürger und die Zivilgesellschaft die Hauptentscheidungen in der Wirtschaft treffen und der Markt, wie die Staatsbürokratie, nur ein Ausführungsmechanismus der demokratischen Entscheidungsfindung ist. Drittens, GSD ist kein partizipatorisches Projekt, in dem Initiativen von unten nach oben aufsteigen, sondern ein technokratisches Projekt, in dem Experten Reformen ausbrüten und der Gesellschaft von oben aufzwingen. Viertens, GSD kritisiert den Neoliberalismus, akzeptiert aber gleichzeitig den Rahmen des Monopolkapitalismus, der im Prinzip darauf basiert, Profit zu ziehen aus der ausbeuterischen Gewinnung von Mehrwert aus Arbeit, der durch die inhärenten Tendenzen zur Überproduktion von einer Krise zur nächsten taumelt und der dazu tendiert, auf seiner Suche nach Profitabilität bei der Umweltverträglichkeit bis an die Grenzen zu gehen. Wie der herkömmliche Keynesianismus innerhalb eines Staates sucht GSD weltweit nach einem neuen Klassenkompromiss, der von neuen Methoden zur Begrenzung oder Minimierung der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus begleitet wird. So wie die alte Sozialdemokratie und der New Deal den nationalen Kapitalismus stabilisierten, besteht die geschichtliche Funktion der GSD darin, die Widersprüche des derzeitigen globalen Kapitalismus zu glätten und ihm nach der vom Neoliberalismus verursachten Krise und Chaos wieder Legitimität zu verschaffen. Eigentlich handelt es sich bei GSD um Sozialmanagement. Obama hat ein Talent dafür, unterschiedliche politische Diskurse rhetorisch zu überbrücken. In wirtschaftlicher Hinsicht ist er ebenfalls ein „unbeschriebenes Blatt“. Wie FDR [Franklin D. Roosevelt] ist er nicht den Rezepten des alten Regimes verpflichtet. Er ist ein Pragmatiker, für den erfolgreiches Sozialmanagement das Schlüsselkriterium ist. Er ist also bestens dafür geeignet, diese ambitionierte reformistische Unternehmung anzuführen. Weckruf für Progressive Während die Progressiven auf ganzer Linie Krieg gegen den Neoliberalismus führten, sickerten reformistische Gedanken in kritische Kreise des Establishments ein. Man ist nun dabei, dieses Denken in Politik umzusetzen, und die Progressiven müssen Überstunden machen, um sich damit zu beschäftigen. Es ist nicht einfach damit getan, von der Kritik zu Rezepten überzugehen. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, die Grenzen in den politischen Vorstellungen der Progressiven zu sprengen, die die Aggressivität der neoliberalen Heerausforderung in den 1980ern zusammen mit dem Zusammenbruch der bürokratischen sozialistischen Regimes zu Beginn der 1990er Jahre ihnen aufgezwungen hatte. Die Progressiven sollten wieder unerschrocken nach Modellen sozialer Organisation streben, die offen auf Gleichheit und partizipative soziale Kontrolle sowohl der nationalen wie der globalen Wirtschaft als Vorraussetzung für kollektive und individuelle Befreiung abzielen. Wie beim alten keynesianischen Regime der Nachkriegszeit handelt es sich bei GSD um Sozialmanagement. Im Gegensatz dazu geht es bei progressiven Perspektiven um soziale Befreiung. . Walden Bello ist Kolumnist für Foreign Policy In Focus (dort ist der Beitrag in Englisch am 26.12.2008 erschienen), führender Analyst beim in Bangkok angesiedelten Focus on the Global South, Präsident der Freedom from Debt Coalition und Professor für Soziologie an der Universität der Philippinen. Übernommen aus Sand im Getriebe, der Internetzeitung von ATTAC des deutschsprachigen Raumes. Und zwar in der Ausgabe 71 vom 2.2.2009 mit dem Schwerpunkt EPOCHENUMBRUCH ... mehr Es gilt CopyLEFT: Die Verbreitung dieses Textes ist erwünscht unter der Bedingung, dass die Quelle genannt wird! .
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