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2009-01-26 Crashkurs zur sogenannten Finanzkrise Warum am Platzen der Finanzblase nicht die „Gier der Banker" Schuld ist und es keine Rückkehr zum „Rheinischen Kapitalismus" (auf österreichisch: zur sozialpartnerschaftlichen Marktwirtschaft) geben kann .
Eine neue Dolchstoßlegende macht die Runde: „unsere Wirtschaft“ soll der grenzenlosen Habgier einer Handvoll Banker und Spekulanten zum Opfer gefallen sein. Gefüttert durch das billige Geld der US-Zentralbank und unterstützt durch unverantwortliche Politiker hätten sie die Welt an den Rand des Abgrunds geführt, während „die Ehrlichen mal wieder die Dummen“ seien. Nichts ist sachlich so falsch und ideologisch so gemeingefährlich wie diese auf allen Kanälen der öffentlichen Meinung verbreitete Vorstellung. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die ungeheure Aufblähung der Finanzmärkte ist nicht Ursache der Misere, sondern war selber schon ein Ausweichmanöver vor der fundamentalen Krise, mit der die kapitalistische Gesellschaft bereits seit den 1970er Jahren zu kämpfen hat. Damals endete mit dem Nachkriegsboom eine lange Periode selbsttragenden realwirtschaftlichen Wachstums, das die Ausweitung und Verallgemeinerung der industriellen Produktionsweise auf neue Sektoren wie etwa die Autoherstellung zur Grundlage hatte. Zur Produktion der Massenwaren waren in den 1950er und 60er Jahren Massen an zusätzlichen Arbeitskräften erforderlich, die dadurch in Lohn und Brot standen und sich eben deswegen die Massenwaren auch leisten konnten. Seitdem hat die flächendeckende Rationalisierung in den Kernsektoren der Weltmarktproduktion, die immer mehr Arbeitskräfte durch automatisierte Prozesse ersetzt, diesen Mechanismus zerstört und damit die Voraussetzung für einen von der Realwirtschaft angetriebenen Boom. Die klassische kapitalistische Krise ist von der fundamentalen Krise der Arbeit abgelöst worden. Entwertete Arbeitskraft – „überflüssige“ Menschen Es gehört zu den verrückten Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise, dass der ungeheure Produktivitätssprung durch die „mikroelektronische Revolution“ nicht etwa ein gutes Leben für alle ermöglicht hat. Im Gegenteil: Die Arbeit wurde verdichtet, das Arbeitstempo beschleunigt und der Leistungsdruck erhöht; weltweit müssen sich immer mehr Menschen zu den schlimmsten Bedingungen verkaufen, weil ihre Arbeitskraft gemessen am gültigen Produktivitätsniveau immer weiter entwertet wird. Zu den Widersprüchen des Kapitalismus gehört aber auch, dass er sich damit die eigenen Grundlagen entzieht. Denn eine Gesellschaft, die auf der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft beruht, stößt an ihre strukturellen Grenzen, wenn sie diese Arbeitskraft in wachsendem Maße überflüssig macht. Die weltwirtschaftliche Dynamik wird schon seit über dreißig Jahren nur noch durch eine immer größere Aufblähung von Spekulation und Kredit („Fiktives Kapital“) in Gang gehalten. Das Kapital wich an die Finanzmärkte aus, weil die Realwirtschaft keine ausreichenden Anlagemöglichkeiten mehr bot. Die Staaten verschuldeten sich, um ihre Haushalte zu decken und immer mehr Menschen finanzierten ihren Konsum direkt oder indirekt auf Pump. Auf diese Weise wurde die Finanzsphäre zur „Basisindustrie“ des Weltmarkts und zum Motor des kapitalistischen Wachstums. Die viel gepriesene Realwirtschaft ist also nicht durch die Finanzsphäre „erdrückt“ worden. Im Gegenteil: sie konnte nur noch als deren Anhängsel erblühen. Das „chinesische Wirtschaftswunder“ und der „Exportweltmeister Deutschland“ wären ohne den riesigen globalen Verschuldungskreislauf der letzten Jahrzehnte mit den USA im Zentrum nicht möglich gewesen. Notstandsverwaltung und Stagflation Die Grenzen dieses Krisenaufschubs sind nun erreicht. Grund zur Freude ist das nicht. Die Folgen werden dramatisch sein. Denn nun entlädt sich das gesamte aufgestaute Krisen und Entwertungspotential der letzten dreißig Jahre mit voller Wucht. Die Politik hat allenfalls Einfluss auf das Tempo und den Verlauf dieses Prozesses. Grundsätzlich aufhalten kann sie ihn nicht. Entweder die billionenschweren „Rettungspakete“ verpuffen und die Krise schlägt mit katastrophalen Folgen auf die „Realwirtschaft“ durch. Oder sie „greifen“ noch einmal und exorbitant steigende Staatsverschuldung wäre das Ergebnis, gefolgt vom nächsten, noch größeren Krisenschub in naher Zukunft. Die Rückkehr der „Stagflation“ – der Gleichzeitigkeit von chronischer Rezession und galoppierender Inflation – auf weit höherem Niveau als in den 1970er Jahren, zeichnet sich jetzt schon ab. Sind schon in den letzten Jahrzehnten die Lohneinkommen massiv gedrückt, die Arbeitsbedingungen prekarisiert und große Teile des öffentlichen Sektors privatisiert worden, so wird nun ein ungeahnt großer und weiter wachsender Teil der Menschheit schlicht für „überflüssig“ erklärt werden. Die vielbeschworene „neue Rolle des Staates“ wird mitnichten in der Wiederherstellung eines „Rheinischen Kapitalismus“ der 60er Jahre mit Vollbeschäftigung und wachsendem Wohlstand bestehen, sondern darin, den sozialen, rassistischen und nationalistischen Ausschluss zu organisieren und zu verwalten. Die Rückkehr der „Regulation“ und des „Staatskapitalismus“ ist nur noch in der Gestalt einer autoritären und repressiven Notstandsverwaltung denkbar. Die Welt ist zu reich für den Kapitalismus Die aktuelle Finanzmarktkrise markiert den Wendepunkt in der Epoche des fiktiven Kapitals und damit erreicht die fundamentale Krise des Kapitalismus, die sich schon in den 1970er Jahren abzeichnete eine neue Stufe. Diese Krise ist nicht nur die eines spezifischen „angelsächsischen Systems“ des „Neoliberalismus“, wie unter Mobilisierung antiamerikanischer Affekte mit teils deutlich antisemitischem Einschlag überall behauptet wird. Vielmehr zeigt sich nun, dass die Welt für die armselige kapitalistische Produktionsweise längst zu reich ist; dass die Gesellschaft auseinanderbrechen, verwildern und in Elend, Gewalt und Irrationalismus versinken muss, wenn es nicht gelingt, diese zu überwinden. Nicht die „Spekulanten“ und die Finanzmärkte sind das Problem, sondern der Widersinn einer Gesellschaft, die Reichtum nur als Abfallprodukt gelingender realer oder fiktiver Kapitalverwertung produziert. Eine Rückkehr zu einem scheinbar soliden, auf dem Einsatz von Massenheeren der Arbeit gegründeten Kapitalismus ist weder möglich noch erstrebenswert. Jedes Opfer, das nun abverlangt wird, um die (selbst)zerstörerische Dynamik dieser widersinnigen Produktions- und Lebensweise weiter in Gang zu halten, ist ein Hohn auf das gute Leben, das längst möglich wäre: in einer Gesellschaft jenseits von Warenproduktion, Geld und Staat. Die Krise stellt die Systemfrage. Es kommt drauf an, sie zu beantworten. CopyLEFT: Die Verbreitung dieses Textes ist ausdrücklich erwünscht! Impressum:
Helge Stromberger, 2009-01-29, Nr. 4366 Klingt beim raschen Durchlesen recht gut. Nur das muß bei stilistisch gefeilter Sprachgestaltung auch so sein. Bleibt aber trotzdem die Frage in welcher "Gesellschaft jenseits von Warenproduktion" leben? Soviele Schwammerl und Himbeeren gibt es auf der Villacher Alpe und auch in Nürnberg (Parteitagsgelände?) einfach nicht,
dw, 2009-01-29, Nr. 4367 Bis jetzt ist ja keine „neue Lebenskonzeptform“ entworfen worden, welche auch von der Gesellschaft angenommen werden will. Die meisten Vorschläge sind Forderungen und sind im Grunde wirklich nur Aufzeiger/Anschwärzerei was falsch läuft. Man lese:
helge stromberger, 2009-01-30, Nr. 4369 Was mich stört an dem Text - der die aktuelle Krise der Finanzinistitute sicher zu recht und vielleicht auch ganz richtig in besagten breiteren Kontext stellt - ist der zuletzt angeschlagene satte Brustton einer absoluten Wahrheitsgewissheit. Nur Propheten, die ganz genau wissen, wo das gelobte Land liegt können über das "gute Leben" sagen, dass es "längst möglich wäre: in einer Gesellschaft jenseits von Warenproduktion, Geld und Staat." Ich denke niemand weiß wie eine solche Gesellschaft tatsächlich aussieht, für die in ihr verbundenen oder getrennten Individuen sich anfühlt, riecht, schmeckt usw. Und nur Propheten können sagen, dass das Leben dort gut ist, womit nicht gesagt ist, dass es darum schlecht sein muß. Das ist Glaubenssache. Der Staat, und gar die 180 bis 190 wirklichen Staaten dieser Welt, die Produktion, die Verteilung der Produkte über Geldäquivalente (oder wie auch immer) sind so zentrale Tatsachen unseres Lebens, dass irgendein seriöses Gedankenexperiment wie das menschliche Leben ohne sie aussieht ähnlich unmöglich ist wie die Wettervorhersage für einen bestimmten Tag im Jahr 2270.
dw, 2009-01-30, Nr. 4370 >ich wollte hr.stromberger in seiner männlichkeit nicht kränken oder verurteilen, es ging ja ...NUR... um die himbeeren&schwammerln, dass war nicht geschlechterspezifisch bezogen, dies war meine kritik!<
helge stromberger, 2009-01-31, Nr. 4372 Der kleine fiktive Dialog weist bereits derart viele Mißverständnisse, Nichtverstehen, Unverständnis usw. auf wie das bei einem fiktiven Dialog zwischen zwei offenbar sehr differenten Personen ja durchaus der Fall sein muß. Ich seh da grob geschätzte 25 bis noch mehr Punkte auf die ich jetzt im einzelnen klärend eingehen müßte. Wozu ich auch Lust spüre es zu tun. Aber die viele Zeit die dabei drauf geht! Die kostbare Zeit! Die neuerliche Textladung der Diana Wolschner verdiente für sich allein genommen natürlich noch weiteren Spott. Nicht aber ein Mensch, der wie sie auf dieser Site über die Sonja West geschrieben hat; da bin ich eben erst drauf gekommen. Vor einer allfälligen Fortsetzung dieses fiktiven Dialogs werde ich einmal das von der Diana Wolscher durchsehen, das ich bis jetzt noch nicht gelesen hab. entschleunigung, 2009-01-31, Nr. 4373 „na hoppala helge, muss man erst die texte der menschen lesen um sie abzuurteilen, na wenn dir da kein zahn aus der gosche fliegt“
helge stromberger, 2009-02-02, Nr. 4375 Hallo Entschleunigungs-Person! - Hast ja so recht: immer schön-potschasne!!
entschleunigung, 2009-02-02, Nr. 4376 helge, versuchen wir eine bruchlandung und behalte (dir) deinen in gold getäfelten zahn im mund, dort gehört er ja auch hin! helge stromberger, 2009-02-08, Nr. 4380 Genau, so ist es! Mario Sedlak, 2009-07-31, Nr. 4579 Natürlich braucht ein Arbeiter heute mehr Ausbildung und Fähigkeiten als früher, aber Arbeit gibt es noch lange mehr als genug. Ich denke alleine an die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien.
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