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2009-01-20 Die verschlungenen Wege der Erinnerung in Villach Die Erinnerung ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Das gilt nicht nur für das Individuum, sondern auch für jede menschliche Gemeinschaft. So entwickelt jede menschliche Gemeinschaft eine Erinnerungskultur. Die Frage lautet nicht, ob wir uns erinnern, sondern wie wir uns erinnern, welche Erinnerungskultur wir haben, wie wir das kollektive Erinnern gestalten. Dabei ist zu bedenken, dass die Erinnerungskultur einer Gemeinschaft von den Interessen und Problemlagen der Gegenwart bestimmt wird. Welche Erinnerungskultur sich letztlich durchsetzt, wird in einem gesellschaftlichen Diskussionsprozess entschieden, der von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen abhängig ist. Geschichtsbilder entwickeln sich in einem Feld von Gegensätzen und Widerstreit, sie sind das Ergebnis sozialer Prozesse, hier wird entschieden, welche Ereignisse Träger mehrheitsfähiger Wertvorstellungen sind und daher als Gegenstand von Erinnerung Gültigkeit haben sollen. Deshalb lohnt es sich, eine Gesellschaft nicht nur bezüglich ihrer Einstellung auf die Zukunft hin zu betrachten, sondern auch bezüglich ihres Umgangs mit der Vergangenheit. Ihre Erinnerungen sind nicht weniger aufschlussreich als ihre Vorhaben. Für Österreich war die richtige Deutung der Geschichte nach 1945 ein zentrales staatspolitisches Anliegen . Vor allem ging es darum, von den Alliierten als Opfer und als befreiter Staat anerkannt zu werden. Diese Haltung sollte Österreich vor Reparationszahlungen bewahren und auch in die Lage versetzen, selbst Forderungen zu stellen. Außerdem ging es darum den Alliierten zu zeigen, dass man bereit sei, sich mit dem österreichischen Widerstand zu identifizieren, denn sonst wäre die These vom eigenständigen Widerstand, wie er in der Moskauer Deklaration von 1943 von Österreich eingefordert wurde, wohl erschüttert worden. Zu diesem Zweck hat die österreichische Bundesregierung im Jahre 1946 ein eigenes „Rot-Weiß-Rot-Buch“ herausgebracht, in dem sie dezidiert erklärte: „Zweck dieser Darstellung ist die politische und moralische Begründung der Kardinalforderung der österreichischen Politik nach vorbehaltloser Anerkennung seiner Stellung eines vom Deutschen Reich gegen seinen Willen gewaltsam okkupierten, von den Alliierten befreiten Landes, und der aus diesem Tatbestand sich ergebenden politischen und materiellen Konsequenzen.“ Was damit gemeint war, stand zu diesem Zeitpunkt schon außer Frage: Abwehr aller Reparationsforderungen, Abwehr der jugoslawischen Gebietsansprüche und Unterstreichung der österreichischen Gebietsforderungen an Italien zur Rückkehr Südtirols und wohl auch des Kanaltales. Diese Politik kann als österreichische Lebenslüge im Umgang mit seiner NS-Vergangenheit interpretiert werden, und das ist sie auch, denn Lüge setzt Wissen voraus. Sie kann aber auch als staatsmännisches Geschick und erfolgreiche Aktion im Interesse des Staates und seiner Bevölkerung interpretiert werden, wie es in der Krisensituation des Landes nach 1945, bedroht von Hunger, Spaltung und internationaler Isolierung, notwendig erschien. Aus beiden politischen Strategien und ihren Motivationen ergibt sich aber trotzdem keineswegs zwangsläufig die Leugnung von Mitverantwortung der Österreicher und Österreicherinnen an Kriegsverbrechen und nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Das aber ist geschehen. Die Vermittlung und Durchsetzung des neuen Geschichtsbildes richtete sich sowohl nach außen als auch nach innen. Eine österreichische Gesinnung musste erst geschaffen werden. Das verdeutlicht auch die Angelobung der Villacher Gemeinderäte bei der ersten konstituierenden Gemeinderatssitzung im März 1946, die vom Kärntner Landeshauptmann mit folgenden Worten vereidigt wurden: „Sie haben sich in erster Linie als Österreicher zu fühlen.“ Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in Österreich und auch in Villach die Erinnerungskultur: Filme, Bücher, Ausstellungen, tausende Zeitungsartikel und Denkmäler als Symbole in der österreichischen Landschaft. Denkmäler als öffentliche Erinnerungszeichen lassen zwei Deutungen zu. Einerseits geben sie Auskunft über die Vergangenheit einer Gemeinschaft, andererseits – und das ist das Entscheidende - erzählen sie uns auch, welche Einstellung die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt zu dieser Vergangenheit haben, auf welchen historischen Bezugspunkten ihre Identität beruht und welches Bild von der Vergangenheit sie an die nachkommenden Generationen weitergeben wollen. Ich möchte daher zwei Denkmäler in Villach einer näheren Betrachtung unterziehen. Sie wurden im großen zeitlichen Abstand voneinander errichtet und stehen dennoch, wie wir sehen werden in einer Beziehung zueinander. Die Rede ist vom Denkmal für alle Kriegsopfer auf dem Villacher Waldfriedhof – enthüllt im Oktober 1953 – und vom Denkmal der Namen in der Widmanngasse – enthüllt im Mai 1999. Sie erzählen uns die Geschichte vom Ausschluss der Opfer des NS-Regimes aus unserem kollektiven Gedenken, von unseren Schwierigkeiten für die Verbrechen des Nationalsozialismus und für die eigene Mittäterschaft an diesen Verbrechen Verantwortung zu übernehmen. Aber letztlich auch vom Gegenteil. Wir schreiben den 8. Mai 1946. Erster Jahrestag der Kapitulation Hitlerdeutschlands und Befreiung vom Nationalsozialismus. Der Villacher Gemeinderat ist zu einer Festsitzung zusammengetreten, um der Ereignisse in feierlicher Weise zu gedenken und gleichzeitig den anwesenden Vertretern der britischen Militärregierung zu danken. Die Sitzung begann mit der Festansprache des Bürgermeisters Viktor Petschnik, die ins Englische übersetzt wurde. Anschließend wurden zwei Anträge vorgetragen, die von den Gründerparteien der zweiten Republik – SPÖ, ÖVP, KPÖ – einstimmig angenommen wurden. Der erste Antrag betraf die Umbenennung von Straßen und Plätzen und der zweite Antrag bezog sich auf die Errichtung eines Befreiungsdenkmals. Ich zitiere aus dem Antrag: „... um einem allgemeinen Bedürfnis der Bevölkerung zu entsprechen beantrage ich die prinzipielle Beschlussfassung, womit die Stadtverwaltung ermächtigt wird alle Vorarbeiten für die Errichtung eines Befreiungsdenkmals zu leisten. Dieses Denkmal soll der Ausdruck der Stadt Villach für alle im Kampfe um die österreichische Freiheit und ein unabhängiges Österreich gefallenen Helden und Opfer unserer Stadt sein. Die endgültige Ausführung bleibt einer späteren Beschlussfassung durch den Gemeinderat vorbehalten.“ Bemerkenswert an diesem Antrag ist die Berufung auf ein allgemeines Bedürfnis der Bevölkerung. Damit unterstrich man, ganz im Sinne des Rot-Weiß-Rot-Buches, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung niemals nationalsozialistisch gewesen sei und dass jene wenigen Kreise, die den Verlockungen der nationalsozialistischen Propaganda erlegen waren, keinen integrierenden Bestandteil der österreichischen Bevölkerung gebildet hätten. Die endgültige Beschlussfassung, wie im Antrag formuliert, wurde auf später verschoben und sollte, wie wir sehen werden, ganz anders aussehen. Ein Jahr danach im Jahre 1947 hat der Bildhauer Sepp Dobner, der spätere Schöpfer des Denkmals, beim Bürgermeister Viktor Petschnik vorgesprochen und seine Dienste angeboten. Zu diesem Zeitpunkt ist man, wie aus den Aufzeichnungen von Sepp Dobner hervorgeht, von der ursprünglichen Beschlussfassung schon abgerückt. Es sollte, wie Dobner den Bürgermeister zitierte, ein Ehrenmal für alle Toten der Stadt im letzten Weltkrieg werden. Ich zitiere aus den Aufzeichnungen von Sepp Dobner: „Als ich beim Bürgermeister vorsprach, teilte er mir mit, dass die Absicht bestehe ein Ehrenmal für alle Toten der Stadt im letzten Weltkrieg zu errichten. In der Idee sei es so gedacht, dass damit die Opfer des Freiheitskampfes, die Opfer an der Front und in der Heimat in einer würdigen plastischen Darstellung geehrt werden, sodass auch der einfache Mensch, ein altes Mutterl, bei diesem Ehrenmal seine Andacht finden kann.“ Aus dem geplanten Befreiungsdenkmal ist also ein Ehrenmal geworden. Hier werden schon jene Tendenzen sichtbar, die für die österreichische Erinnerungskultur charakteristisch werden sollten: Nicht die Erinnerung an die Leistungen des österreichischen Freiheitskampfes und nicht die Erinnerung an die aus rassistischen Gründen Ermordeten sollten im Vordergrund stehen, sondern eine große Opfergemeinschaft, die die gefallenen Kämpfer an der Front und in der Heimat mit einschloss. Hier nahm die undifferenzierte Entlastungspolitik gegenüber den Wehrmachtsangehörigen ihren Anfang. Sie sollte dazu führen, dass sich der Mythos von der sauberen Wehrmacht in der zweiten Republik verfestigen konnte. Er sollte bis in die 1990 Jahre des vorigen Jahrhunderts wirksam sein. Erst im Zuge der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 – 1945“, die zu massiven innergesellschaftlichen Konflikten führte, kam es zu einem Aufbrechen dieses Mythos. Der Villacher Schwenk vom Befreiungsdenkmal zum Ehrenmal war mittlerweile keine konsensuale Entscheidung mehr. Das zeigte sich zwei Jahre später, als die kommunistische Gemeinderatsfraktion einen Antrag für eine Gedenktafel für die Opfer des Faschismus einbrachte. Wesentlich an diesem Antrag war, dass bereits damals ein Denkmal gefordert wurde, auf dem die Namen der Opfer aufscheinen sollten. Eine Liste mit 17 Namen wurde dem Antrag beigefügt. Es war der erste Antrag für ein „Denkmal der Namen“ in Villach. Der zweite Antrag für ein „Denkmal der Namen“ wurde 45 Jahre später im Jahre 1994 von den Villacher Grünen eingebracht. Der Antrag der KPÖ hatte keine Aussicht auf Erfolg. Er wurde noch im selben Jahr abgelehnt. Gleichzeitig wurde in derselben Gemeinderatssitzung zum Denkmal eine grundsätzliche Entscheidung getroffen. Mit den Stimmen der SPÖ und der ÖVP wurde ausdrücklich beschlossen: „ein allgemeines Totenmal für alle Opfer des Krieges und der letzten 15 Jahre überhaupt“ zu errichten. Die Wortwahl ist eindeutig. Sie signalisiert nicht nur Einschlüsse, sondern auch Ausschlüsse. Ausgeschlossen sind die KZ-Opfer, die aus rassistischen, aus religiösen oder anderen Gründen von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Ausgeschlossen sind auch die Opfer der NS-Euthanasie. Sowohl die KPÖ als auch die Opferverbände haben schriftlich dagegen Einspruch erhoben. Zitat aus dem Einspruch der KPÖ: „Es ist nicht möglich, dass solche Tote mit unseren gefallenen Helden des Freiheitskampfes und des politischen Widerstandes gegen den Hitlerfaschismus eine gemeinsame Ehrung finden können. Wir verwehren uns dagegen, dass unter dem Mantel des Pazifismus, faschistischen Helden Ehrentafeln gesetzt werden und die Tatsache verwischt werden soll, dass es auch in unserer Stadt Österreicher gab, die ihr Leben für die Wiedererstehung Österreichs hingeopfert haben.“ Desgleichen die Opferverbände: „Jede Verbindung eines Denkmals für die politisch verfolgten Opfer und die im Freiheitskampfe für Österreich Gefallenen, mit den Opfern, welche gegen die Freiheitskämpfer kämpften und viele von ihnen bestialisch ermordet haben, ist undenkbar“. Die Einsprüche blieben erfolglos. Zu dieser Zeit, im Herbst 1949, standen in Österreich Wahlen an, bei denen erstmals die minder belasteten Nationalsozialisten wahlberechtigt waren. Um dieses Wählerpotential gab es ein heftiges Werben und so kam es nicht einmal zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dieser Kritik in Bezug auf die problematische Gleichsetzung von ehemaligen Opfern und Tätern. Vielmehr verlegte man sich auf sakral gefärbte Formulierungen, die darauf abzielten, politische Gegensätze scheinbar aufzulösen. Dazu ein Zitat vom damaligen sozialdemokratischen Vizebürgermeister Alfred Populorum: „Die Achtung vor der Majestät des Todes gebiete es uns aber auch, die Toten nicht nach Schuld und Unschuld zu trennen, sondern es soll mit diesem Denkmal zugleich auch ein Symbol der Überwindung des Hasses der Vergangenheit geschaffen werden.“ Dem Abgleiten der Sprache in die Sphäre des Sakralen mit dem Ziel, politische Sachverhalte auszublenden, entsprach auch der Denkmalentwurf von Sepp Dobner. Dieses Denkmal mit dem christlichen Motiv einer „Mater dolorosa“, einer marienähnlichen Denkmalfigur im Zentrum, ermöglichte und ermöglicht die Verschleierung der historischen Ereignisse und verstellt den Blick auf Fragen wie Schuld und Verantwortung. Dieser Aspekt fand auch in der Sprache seinen Niederschlag. In zunehmendem Ausmaß begann man von einem allgemeinen Totenmal, von einem Friedensmal und von einem Heldenmal zu sprechen. Die Denkmalserrichtung wurde im Villacher Gemeinderat am 23. Dezember1949, gegen den Willen der KPÖ und der Opfergruppen, beschlossen. Den Auftrag dazu erhielt Sepp Dobner. Am 11. Oktober 1953 wurde es auf dem Villacher Waldfriedhof enthüllt. Die Inschrift lautet: „Allen Opfern der Stadt Villach zum Gedenken.“ Im Laufe des gesellschaftlichen Diskurses, von der grundsätzlichen Beschlussfassung im Jahre 1946 bis zur Enthüllung im Jahre 1953, hat dieses Denkmal einige Metamorphosen miterlebt: vom Befreiungsmal über ein Ehrenmal, Totenmal, Friedensmal zum Heldenmal. Und wenn man heute auf der Website der Stadt Villach nachschaut, handle es sich um ein Denkmal, das allen Gefallenen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges gewidmet sei. So wird es auch in der Bevölkerung wahrgenommen. Szenenwechsel: Wir schreiben das Jahr 1994. Das gesellschaftliche Umfeld hat sich inzwischen massiv und nachhaltig verändert. Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch einen Generationenwechsel. Konkret ausgelöst wurde sie jedoch durch zwei Politskandale. Erster Anlass war die sogenannte Reder-Frischenschlager-Affaire im Jahr 1985. Der freiheitliche Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager hat den vorzeitig aus der Haft entlassenen Kriegsverbrecher Walter Reder, Sturmbannführer der Waffen SS per Handschlag begrüßt und in Österreich willkommen geheißen. Die internationalen Medien platzierten den Fall auf den Titelseiten. Auch die österreichischen Medien griffen den Fall auf und es entzündete sich eine Diskussion über den Umgang Österreichs mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Zweiter Anlass war die sogenannte Waldheim-Affaire. Dabei ging es nicht so sehr um die Frage, inwieweit Bundespräsident Waldheim in Kriegsverbrechen verwickelt war, sondern vor allem sein Satz „ich habe meine Pflicht erfüllt“ führte zu einer lang anhaltenden und sehr heftigen politischen Auseinandersetzung. Die Debatte erreichte breite Bevölkerungsschichten, sie ging quer durch die Familien und durch alle sozialen Schichten. Dabei zeigte sich, dass es eine tiefe Kluft in unserer Gesellschaft gab. Auf der einen Seite Sympathisanten des NS-Regimes und ehemalige Wehrmachtsoldaten, auf der anderen Seite die ehemaligen Widerstandskämpfer, die Verfolgten des NS-Regimes und eine historisch interessierte Öffentlichkeit. Außerdem entstanden Ende der 1980 Jahre und Anfang der 1990 Jahre viele lokale Initiativen, die sich auf die Spurensuche machten und mit Denkmalprojekten an die Öffentlichkeit traten. Ebenfalls nicht vergessen sollte man in diesem Zusammenhang das „Zeitzeugenprojekt“ an den österreichischen Schulen, das in den 80er Jahren entstand und den Lehrerinnen und Lehrer es bis heute ermöglicht, ehemalige Verfolgte und KZ Häftlinge in die Schulen einzuladen. Unter diesen veränderten Rahmenbedingungen kam es annähernd 50 Jahre später wieder zu einem Antrag im Villacher Gemeinderat für ein Denkmal, das an die Opfer des NS-Regimes gedenken sollte. Im Jänner 1994 hat die Gemeinderatsfraktion der Villacher Grünen – ich war damals grüner Gemeinderat - einen Antrag für eine Gedenktafel eingebracht. Konkret ging es bei diesem Antrag um drei junge Villacher Frauen, Maria Peskoller, Margarete Jessernigg und Rosa Eberhart, die wegen Widerstand gegen das NS Regime zum Tode verurteilt und am 23. Dezember 1944 in Graz durch das Fallbeil enthauptet wurden. Für diese drei Frauen sollte die Stadt Villach an geeigneter Stelle eine Gedenktafel anbringen. Ich zitiere aus dem Antrag: „Wir glauben, dass die Stadt Villach verpflichtet ist, in würdiger Weise dieser drei Frauen zu gedenken. Die fünfzigjährige Wiederkehr ihres Todestages wäre ein geeigneter Anlass, solch eine Gedenktafel in Villach anzubringen.“ Der Antrag wurde im Kulturausschuss vorberaten und grundsätzlich positiv bewertet. Es bestand sogar die Absicht, ein richtiges großes Denkmal zu errichten. Im November 1994 wurde der Antrag im Gemeinderat öffentlich diskutiert. Es war eine spannungsgeladene Stille im Paracelsussaal, als dieses Thema auf die Tagesordnung kam. Gemeinderat Plasounig, dessen Onkel zwei Jahre im KZ Dachau verbrachte, drehte sich zu mir herum und sagte: „Kollege Haider, ich sage Ihnen, dieses Thema kann man nicht im Gemeinderat diskutieren. Dazu ist es noch zu früh“. Die Debatte zeigte, dass man sich sehr schwer tat mit diesem Thema, das 50 Jahre lang mit einem Schweigetabu belegt war. Die Diskussion drehte sich um die Soldaten, das Bundesheer, die Pflichterfüllung, die Aufklärung in den Schulen, die Demokratie, die Aufbauleistung nach 1945 usw. Man erging sich in allgemeinen Betrachtungen und vermied es, konkret zu werden. So sprach man von der Gewalt im Allgemeinen auf dieser Welt und nicht von der Gewalt der Nationalsozialisten, man sprach ganz allgemein von Diktaturen auf dieser Welt, aber nicht von der nationalsozialistischen Diktatur. Man scheute sich konkret Bezug zu nehmen auf unsere Stadtgeschichte und auf die Verbrechen, die in Villach zwischen 1938 und 1945 geschehen sind. 50 Jahre Verdrängung gehen eben nicht spurlos vorüber. Die Debatte im Gemeinderat war gewissermaßen eine Fortsetzung der Verdrängung, eine Verdrängungsdiskussion. Vor allem scheute man sich Namen auf einer Tafel zu nennen, denn dadurch, so der allgemeine Tenor, werden Gräben in unserer Gesellschaft aufgerissen. Also plädierte man für ein allgemeines Denkmal gegen die Gewalt. Dementsprechend vage war auch die Beschlussfassung am Ende der Debatte: „Der Gemeinderat beschließt, dass ein künstlerisch gestaltetes Denk- bzw. Mahnmal errichtet wird, um aller zu gedenken, die im Widerstand gegen die Gewaltherrschaft das Leben wagten oder opferten oder Opfer der Gewaltherrschaft wurden.“ Dieser Antrag wurde von allen Fraktionen, ausgenommen der Freiheitlichen Partei, angenommen. Aus einer Gedenktafel für drei hingerichtete Villacherinnen ist also ein richtiges Denkmal geworden. Weil man sich aber scheute, den Nationalsozialismus direkt zu nennen, wurde ein sehr allgemeiner Text beschlossen. Mehr konnte man in der damaligen Situation nicht erreichen. Meine Ansicht damals war die Folgende: Ob die Namen in das geplante künstlerische Objekt einbezogen werden oder nicht einbezogen werden, ob es einen Bezug zu unserer Stadtgeschichte geben wird oder ob es keinen Bezug geben wird, das war noch nicht entschieden. Das wird, so meine damalige Überzeugung, davon abhängen, wie der weitere Diskussionsprozess zu diesem Thema in unserer Stadt verlaufen wird. Inwiefern es uns gelingen wird, mehr Verständnis und mehr Bewusstsein zu diesem Thema in der Villacher Bevölkerung zu erwecken. Aus diesem Grund wurde gleich darauf der überparteiliche „Verein Erinnern“ gegründet, der sich vor allem dieser Aufgabe widmete. In diesem Sinne wurden vom Verein viele verschiedene Lesungen und Diskussionsveranstaltungen organisiert, Publikationen herausgebracht. Vor allem begannen wir mit einer gewissenhaften Namensforschung. Die entscheidende Veranstaltung jedoch, die einen Meinungsumschwung herbeiführte, fand im Mai 1996 statt. Auf Initiative des „Vereins Erinnern“ errichtete eine 6. Klasse des Peraugymnasiums mit ihrem Kunsterzieher Prof. Gernot Gurker ein provisorisches Denkmal der Namen, das mitten auf dem Villacher Hauptplatz rund um die Dreifaltigkeitssäule installiert wurde. Ein gewagtes Projekt, das ohne Unterstützung des damaligen Direktors Othmar Griesser undenkbar gewesen wäre. Eröffnet wurde das Denkmal vom damaligen Landeshauptmann Christoph Zernatto, es gab Grußworte von Bürgermeister Helmut Manzenreiter und Universitätsprofessor Dr. Peter Gstettner hielt die Ansprache. Ein großes mediales Echo war die Folge. Daraufhin kam es im Sommer 1997 zu einem längeren Gespräch mit der damaligen Kulturstadträtin Frau Monika Kircher Kohl über die weitere Vorgangsweise bezüglich der Errichtung des vom Gemeinderat beschlossenen allgemeinen Denkmals. Dabei teilte sie dem Verein mit, dass die Stadt nicht mehr die Absicht habe, das Denkmal „gegen die Gewalt im Allgemeinen“ umzusetzen und für ein „Denkmal der Namen“ könne die Stadt die Verantwortung nicht übernehmen. Sie äußerte aber Verständnis für unser Anliegen und machte uns folgenden Vorschlag: „Wenn der Verein Erinnern ein Denkmal der Namen entwirft und dafür die Verantwortung übernimmt, wird sie sich dafür einsetzen, dass die Stadt das finanziell unterstützt und uns bei der Suche nach einem geeigneten Platz helfen“. Aus einem städtischen Denkmalprojekt ist also ein Vereinsprojekt geworden. Als geeigneten Standort hat uns die Stadt einen Platz vor der Kirchenmauer in der Widmanngasse gegenüber dem Stadtmuseum zur Verfügung gestellt. Ein würdiger Platz, wie wir meinen. Wir vom „Verein Erinnern“ schätzen das Engagement der damaligen Kulturstadträtin Monika Kircher Kohl für die Realisierung des Denkmals der Namen sehr hoch ein. Das Denkmal wurde im Mai 1999 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung feierlich enthüllt. Schon damals zeigte sich, dass eine breite Akzeptanz für dieses Denkmal in der Gesellschaft vorhanden war. Bischof Egon Kapellari und Bürgermeister Helmut Manzenreiter haben den Ehrenschutz übernommen. Der Pfarrer der Stadtpfarrkirche Alfons Wedenig, Superintendent Joachim Rathke und der Schriftsteller Andrej Kokot gehörten zu den Festrednern. Das Blasorchester der Kelag und der Schulchor des Peraugymnasiums sorgten für die musikalische Gestaltung. Das Denkmal wurde als „lebendiges“ Denkmal konzipiert, das heißt es besteht die Möglichkeit, weitere Namen beizufügen, wenn die Forschung neue Namen zutage fördert. Enthüllt wurde es mit 64 Namen. Bis jetzt gab es viermal eine Erweiterung. Zurzeit befinden sich 252 Namen auf dem Denkmal. Auf diesem Denkmal stehen die Namen und Lebensdaten von Menschen, die in unserer Stadt und in den umliegenden Gemeinden gelebt haben und die aus den verschiedensten Gründen von den Nazis verfolgt und ermordet wurden: Jüdinnen, Juden und Sinti aus rassistischen Gründen, Zeugen Jehovas wegen ihrer religiösen Überzeugung, behinderte Menschen, weil sie den „gesunden Volkskörper“ schädigten, Slowenen, weil die Nazis das Land „deutsch“ machen wollten, Menschen die im Gasthaus nach einem Bier die große Lippe riskierten, Zwangsarbeiter, die es wagten die Arbeit zu verweigern, aber auch Menschen, die aus politischer Überzeugung bewusst Widerstand leisteten. Auf den Glastafeln sind nicht nur der Name, sondern auch das Geburtsjahr, das Todesjahr und der Todesort eingraviert. Auf diese Weise erscheint auf dem Denkmal eine Topographie des nationalsozialistischen Terrors. Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich zum Schluss noch Folgendes sagen: Das Gedenken an die Gefallenen, die Vermissten und die Bombenopfer ist eine Selbstverständlichkeit und gehört zur menschlichen und politischen Kultur einer Gemeinschaft. Aber auch das Gedenken an die Widerstandskämpfer, an die ermordeten Villacher Sinti und Juden, an die vielen in den Konzentrationslagern umgekommenen, gehört zur menschlichen und politischen Kultur einer Gesellschaft. Im Jahre 1949 hat die Kommunistische Partei, im Zusammenhang mit der Diskussion über das Denkmal auf dem Waldfriedhof, einen Antrag für eine Namenstafel im Gemeinderat eingebracht. 50 Jahre später, im Jahre 1999 wurde ein Namensdenkmal vom „Verein Erinnern“ realisiert. Das sind die verschlungenen Wege der Erinnerung in Villach. Diese Geschichte ist gut ausgegangen. Quellen: Lisa Rettl, Opfergedenken und Opferdenkmäler in der zweiten Republik, erschienen im Buch „HEISS UMFEHDET WILD UMSTRITTEN“, ISBN: 3-85435-450-9. Karl Stuhlpfarrer, Ansprache auf der Universität Klagenfurt gehalten am 29. 10. 2008, Titel: „Das Stumme und das Geschwätzige – Erinnerung und Zeugnis.“ Hans Haider, Erinnern – die Gegenwart von Villachs Vergangenheit, erschienen im Buch „Stadt der Zukunft – VILLACH - Zukunft der Stadt“, ISBN: 3-9500586-0-5.
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