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Andreas Exner

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2009-01-14

Ihr sollt Euch ein Bild machen - die Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft

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Eine Gesellschaft, die den Kapitalismus überwunden hat, dürfe man sich nicht vorstellen. So lautet das linke „Bilderverbot”. Sich eine post-kapitalistische Gesellschaft vorzustellen sei unmöglich, weil man dafür die Entscheidungen und die Konstitution der beteiligten Menschen vorwegnehmen müsse. Das sei nicht nur nicht möglich, sondern berge zudem die Gefahr, Hoffnungen zu entwickeln, die an der Realität nur scheitern können. Das wesentliche Moment einer befreiten Gesellschaft, nämlich die freie, nicht vorhersehbare Gestaltung des Zusammenlebens durch die Menschen, würde in einem Bild desselben bereits annulliert. Deshalb: Macht Euch kein Bild. Selten fehlt dabei der Hinweis auf den Stalinismus als vermeintlicher Beleg dafür, dass die Utopie – Vorstellung eines besseren Lebens – im Keim die Katastrophe berge.

Nun ja. Stalin wollte genausoviel „eine Utopie realisieren” wie Gusenbauer, Haider oder Schüssel; oder Fayman. Will heißen: das ist, wie ich finde, Quatsch. Nicht Quatsch ist, dass man eine post-kapitalistische Gesellschaft in der Tat gedanklich nicht vorwegnehmen kann. Der Kapitalismus ist nicht nur ein ökonomisches Zwangs- und politisches Herrschaftssystem, das man durch ein ausgeklügeltes Regelsystem, auf das sich die Leute einigen, ersetzen könnte, sondern er ist ebenso ein System von Bedürfnissen. Wir selbst ändern diese Bedürfnisse ständig, versuchen sie in ihrem Widerstreit zu vereinbaren, entwickeln sie, stoßen sie ab und erweitern sie. Vieles geschieht dabei bewusstlos und spontan. Nicht beabsichtigte Entwicklungen gibt es zuhauf. Das System der Bedürfnisse und das System der ökonomischen Gesetze bedingen einander. Der Kapitalismus, das sind wir. Doch wer wir sind, das erfinden wir immer wieder neu und das wird immer wieder neu erfunden werden. Auch der Post-Kapitalismus wird daher nichts anderes sein als wir – jedoch in einer Zukunft, die niemand kennen kann.

Das freilich ist gar nicht der Punkt. Tatsächlich geht es bei der Debatte um die mögliche Gestalt einer post-kapitalistischen Gesellschaft nicht um einen Masterplan, sondern um etwas Anderes. Die fundamentale Krise, in der wir uns befinden, desavouiert nicht nur die herrschende Meinung, wonach grundsätzlich alles zum Besten aller bestellt wäre – und überhaupt, Ende 2009 folgt der Aufschwung –, sondern auch eine in den Sessel zurückgelehnte, so genannt kritische Kontemplation bloßer „Vorgänge”, denen manch einer meint qua „wissenschaftlichem Blick” enthoben zu sein.

Zweifellos ist wichtig, zu verstehen, was abgeht. Nur führt das noch keinen Zentimeter in eine neue Richtung. Genau darum geht es aber in letzter Konsequenz und in erster Dringlichkeit.

Wer Emanzipation jenseits der Kritik des Bestehenden durch Reflexion fördern will, hat fünf Möglichkeiten: Erstens Nachdenken darüber, wo Widersprüche im kapitalistischen System eine Intervention sinnvoll, da wirksam machen; zweitens wo sozialer Protest, Unzufriedenheit, emotionell aufgeladene Diskurse emanzipatorisch weiterzuentwickeln wären; drittens Nachdenken darüber, wo Defizite in sozialen Auseinandersetzungen und alternativen Experimenten liegen und wie sie behoben werden können; viertens, wo schon im Hier-und-Jetzt „Keimformen” einer post-kapitalistischen Gesellschaft existieren, die entwickelt werden müssen; fünftens, wie eine Übergangsstrategie auf dem Weg in eine post-kapitalistische Gesellschaft aussehen sollte, welche Schritte also praktisch nötig sind, um die Verwertung sukzessive einzuschränken; fünftens: Nachdenken darüber, wie ein nicht-kapitalistisches, befreites Zusammenleben prozedural verständlich gemacht werden kann.

Diesen fünften Punkt untersucht Alfred Fresin in seinem Buch r „Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft“, das nun überarbeitet in einem Weblog der Debatte offen steht, gekonnt und für die Leserinnen und Leser mit Gewinn.

Gekonnt deshalb, weil der Autor in einer Detailliertheit, die man selten findet, auf die Frage antwortet: Ja, aber wie soll eine nicht-kapitalistische Gesellschaft denn aussehen? Ist sie überhaupt denkbar? Mit Gewinn tut Fresin das, weil sein Bild der nicht-kapitalistischen Gesellschaft die Fragestellung, wie eine solche Gesellschaft unserer Meinung nach gestaltet werden könnte, diskutierbar macht. Fresins Kritik des Kapitalismus ist dabei ebenso zutreffend, systematisch und nachvollziehbar argumentiert wie er vermeintliche Alternativen – allen voran den Sowjetsozialismus – mit Sachverstand analysiert, zugleich historische Erfahrungen nicht-kapitalistischer Produktionsweisen untersucht und daraus seine “Do’s and Dont’s” für ein Leben nach dem Kapitalismus gewinnt.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich in Fresins Welt glücklich wäre; könnte ich voraussetzen, dass ich in einer derartigen Welt noch derselbe wäre wie in diesem Moment. Doch sollte klar geworden sein, dass es, wie ich meine, in der Debatte um eine post-kapitalistische Weise des Zusammenlebens nicht zuerst darum geht, sich „eine Welt nach eigenem Wunsch” im Kopf zu basteln. Denn dass als Ergebnis ebenso viele Welten dabei herauskommen wie Köpfe existieren, sollte man erwarten. Dass die meisten dieser Ergebnisse viel mit der Welt nach dem Kapitalismus zu tun haben werden, ist, so denke ich, nicht wahrscheinlich.

Vielmehr ist der erste Zweck solcher Debatten, das „Bilderverbot” aufzuheben, das ja nicht nur ein Teil der Linken, sondern weitaus geschichtsmächtiger der Neoliberalismus und Neokonservatismus über uns verhängt haben.

Stellt Euch vor, ihr wollt wo hin. Wohin geht ihr?

Auf diese Frage hat Fresin nicht nur seine Antwort gefunden, sondern diese in einer Weise formuliert, die viele Elemente aufweist, die, wie ich meine, verallgemeinerungsfähig sind. Auch wenn Anarcho-P.M. (”Subcoma”) meiner Vorstellung einer guten Gesellschaft ohne Kapital und Staat in Vielem näher liegt.

Stellt Euch vor, ihr wollt wo hin. Wohin geht ihr? Keiner und keine bleibt, wo sie oder er ist, und das ist der wesentliche Punkt. There is an alternative.

Weblog: r “Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft“.

Dieser Beitrag ist am 11.1.2009 erschienen auf www.social-innovation.org. Dort finden sich vieles mehr zum Thema von Andreas Exner und anderen Autoren.

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