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2008-09-02 § 278 ff: Staat greift Zivilgesellschaft an Vor unser aller Augen spielt sich im Augenblick ein grausames Experiment ab. Auf Kosten von 10 TierschutzaktivistInnen, die seit 21. Mai in Untersuchungshaft sitzen, lotet der Staat aus, inwiefern er das Strafgesetzbuch gegen Personen verwenden kann, die sich außerhalb des Parlaments politisch engagieren. Die sogenannten Vereinigungsdelikte (§§ 278 ff) werden von Staatsanwaltschaft und Polizei nun erstmals herangezogen, um sie auf zivilgesellschaftliche Strukturen anzuwenden. Ein Artikel von Harald Balluch (VGT) § 278a: Der weit gefasste Organisationsbegriff. Im aktuellen Fall der TierschutzaktivistInnen ist die Staatsanwaltschaft gerade im Begriff auszutesten, wie weit sie den Vereinigungs- bzw. Organisationsbegriff dehnen kann. So argumentiert sie, dass auch autonom agierende Gruppen oder Einzelpersonen Teil einer Organisation im Sinne des § 278a sein können. Dafür sei es nicht einmal notwendig, dass sich diese autonom agierenden Gruppen oder Einzelpersonen untereinander kennen. Entscheidend sei nur, dass sie dieselben Ziele verfolgen und dieselbe Philosophie und dieselben Grundsätze teilen. Aufs politische Spektrum übertragen bedeutet das, dass alle Gruppen und Einzelpersonen, die allein und unabhängig entscheiden was sie tun und was nicht, die selbstbestimmt agieren und freiwillig ihre Freizeit der Erreichung eines politischen Ziels widmen, gemeinsam einer Organisation zugerechnet werden können. Was auf den ersten Blick unproblematisch klingt, ist es nicht, denn durch das formale Subsummieren zu einer Organisation entsteht eine Kollektivhaftung. Sollte also eine einzelne Gruppierung oder eine Einzelperson in dieser konstruierten Organisation z.B. auf ökonomische Sabotage ausgerichtet sein, so wird die gesamte konstruierte Organisation mit all ihren Mitgliedern zu einer kriminellen Organisation nach § 278a. Möglich wird das dadurch, dass es in § 278a heißt, dass es keinesfalls notwenig sei, dass die Organisation ausschließlich auf das Ausüben von Straftaten ausgerichtet sein müsse. Es genügt, wenn sie unter anderem auch darauf ausgerichtet ist oder eben wie in diesem Fall nur eine Unterabteilung von vielen darauf ausgerichtet ist. Dieser ganze Argumentationsaufbau ist im aktuellen Fall der TierschützerInnen vor allem auf die Kampagnen gegen pelzführende Bekleidungskonzerne gemünzt, wie sie in den letzten Jahren durchgeführt wurden. Kampagnen gegen pelzführende Bekleidungskonzerne. Obwohl also die Produktion von Pelzen in Österreich bereits seit 1998 aus ethischen Motiven verboten ist, wird nach wie vor Pelz in Österreich verkauft. Obwohl ein nationales Produktionsverbot möglich und auch erreicht worden ist, ist ein nationales Handelsverbot praktisch undenkbar. Das vor allem deshalb, weil Österreich im Zuge der allgemeinen Globalisierung in größere Handelsübereinkommen eingebunden ist. Ein nationales Handelsverbot würde einen Bruch dieser Abkommen bedeuten und hätte Sanktionen zur Folge. Einerseits durch die EU, was schon demokratiepolitisch problematisch genug ist, da sich die EU aufgrund ihrer Struktur dem Einfluss der BürgerInnen weitgehend entzieht. Andererseits aber durch die WTO, was endgültig ein demokratiepolitisches Debakel darstellt. Während die Konzerne über ihre Lobbys enormen Einfluss auf die Gestaltung der Welthandelsverträge haben, haben die BürgerInnen im Grunde überhaupt keinen Einfluss darauf. Aus diesem demokratiepolitischen Defizit ergaben sich länderübergreifende Kampagnen, die das Ziel verfolgten, pelzführende Modehäuser derart unter Druck zu setzen, dass sie dazu bewegt werden, Bekleidung mit Pelz aus dem Sortiment zu streichen. Da eine Gesetzesänderung, also ein Handelsverbot, unmöglich ist, wurde das Kampagnenziel darauf ausgerichtet, die Konzerne in die Verantwortung zu nehmen, damit sie die gesellschaftlich anerkannten Werte übernehmen und ein Produkt, in diesem Fall Pelz, dessen Produktion bereits verboten ist, auch nicht mehr zum Verkauf anbieten. Diese Kampagnen brachten große Erfolge. Unternehmen wie C&A, Karstadt-Quelle, Zara, P&C und andere große Modehäuser beendeten den Pelzverkauf. Diese Kampagnen waren eine Neuerung: Sie waren nicht zentral von einer großen NGO organisiert und geführt, wie beispielsweise die Anti-Shell-Kampagne von Greenpeace in den 1990er Jahren, sondern sie wurden von Einzelinitiativen, also von der Basis, getragen. Zur Verbreitung der Information diente vor allem das Internet. So konnten Berichte über Aktivitäten schnell ausgetauscht werden, Termine für Aktionstage verbreitet werden, Reaktionen der Unternehmen veröffentlicht werden und so weiter. Viele kleinere und größere Organisationen und Einzelpersonen wurden so motiviert ihren Teil zum gemeinsamen Ziel beizutragen. Diese internationale Vernetzung von AktivistInnen und NGOs, die von der Staatsanwaltschaft nun zum Bedrohungsszenario erklärt wird, erfüllt eigentlich eine wesentliche Funktion, um in einer globalisierten Welt überhaupt einen relevanten Einfluss auf multinationale Konzerne entwickeln zu können. Nachweis einzelner Straftaten ist nicht erforderlich. Bedenklich ist nicht die Zielsetzung der engagierten BürgerInnen, sondern der Vorstoß der Staatsanwaltschaft legitime politische Ziele mit Strafe zu bedrohen. Und zuletzt alles in einen Topf werfen. Fassen wir noch einmal zusammen:
Angesichts dieser Fakten wird schnell verständlich warum nun Gruppen wie der VGT (Verein gegen Tierfabriken), deren Tätigkeiten bisher als legal und legitim angesehen wurden, plötzlich als Teil eines kriminellen Netzwerks bzw. einer kriminellen Organisation verfolgt werden können. Es ist dafür gar nicht notwendig, dass sie sich selbst kriminell betätigten. Es reicht im Sinne der §§ 278 ff vollkommen aus, wenn andere das tun, die von der Justiz einer gemeinsamen Vereinigung zugerechnet werden können, weil sie dasselbe Ziel verfolgen. Entscheidend ist StGB § 278 Abs. 3: Angesichts des Paragraphen und des Argumentationskonzepts erstaunt es nicht mehr, dass der Nachweis einzelner Straftaten für eine Verurteilung entbehrlich ist. Unter Strafe gestellt ist ja nicht die Durchführung einer Straftat, sondern die Förderung bzw. Mitgliedschaft in einer Vereinigung. Straftaten im Namen des Tierschutzes hat es offenbar gegeben. Der Zusammenhang mit den Angeklagten wird durch die legalen Aktivitäten hergestellt, die die Beschuldigten zur Verfolgung der gleichen Ziele gesetzt haben wie jene, die die Straftaten begangen haben. Da der Vereinigung alle ungeklärten Straftaten seit 1997 angelastet werden, die die Polizei mit Tierschutz in Zusammenhang bringt, sollen nun alle Beschuldigten für diese Taten bestraft werden. Auswirkung auf politische Arbeit. Sollte sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Argumentation durchsetzen, kann es in Zukunft auch für andere NGOs, sowohl im Tierschutz als auch in anderen politischen Bereichen, eng werden. Das gesamte Klima der Meinungsfreiheit, wie es bisher gelebt wurde, ist bedroht. Praktisch in allen politischen Bereichen wird es Personen geben, die dieselben Ziele verfolgen und dafür auch bereit sind Sachbeschädigungen (oder Schlimmeres) zu begehen. Mitgefangen, mitgehangen ist die Devise der §§ 278 ff – einer neue Form der Sippenhaftung. Dieser Vorstoß der Justiz ist ein Anschlag auf die Demokratie und jedenfalls viel gefährlicher als die vorgeworfenen Sachbeschädigungen, die den Tierschützer/innen zur Last gelegt werden, jemals sein könnten. Würden die Landesämter für Verfassungsschutz ihre Aufgabe ernst nehmen, so müssten sie in diesem Fall gegen die unerquickliche Vereinigung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter/innen ermitteln, die eine ernste Gefahr für eine freie pluralistische Gesellschaft darstellt. Dieser Artikel wurde übernommen von der Werkstatt für Frieden und Solidarität in Linz, er findet sich samt einem Interview mit Betty Kollegger, Tierrechtsgruppe Linz unter www.werkstatt.or.at.
ist los mit dem österreichischen Rechtsstaat?, 2008-09-02, Nr. 4158 ein Posting aus standard.at
Helge Stromberger, 2008-09-03, Nr. 4159 Die rechtlich-politische Analyse ist interessant. Auch der Kampf von Tierschützern für artgerechte Haltung und gegen qualvolle Zucht ist sehr ehrenwert. Nur die zugrunde liegenden Überlegungen zum Thema "Pelze" sind wieder einmal vollkommen daneben. Sie versuchen die fundamental-rabiate Bekämpfung jeden Verkaufs, jedweder Herstellung und Aufbringung und letztlich jeder Verwendung von Pelzen pseudo-moralisch zu überhöhen. Auch dieser Beitrag möchte wenigstens unterschwellig durch die wiederholte Verwendung der Begriffe "Modehäuser", "Modekonzerne" suggerieren, dass Pelze ausschließlich von schönheits- und modesüchtigen Neurotiker/innen getragen werden. Das ist bekanntlich sehr oft aber bei weiten nicht immer der Fall. Weder im Norden Russlands, noch in Skandinavien, in Kanada oder Alaska und auch nicht in Österreich während der Wintermonate. Wer jemals einen guten Pelzmantel getragen hat, weiß, dass man damit noch bei Temperaturen unter Minus 10 Grad mit einem sehr angenehmen Gefühl von Leichtigkeit in der freien Natur spazieren gehen kann. Ein solcher Mantel ist daran erkennen, dass er extrem weich, sehr leicht, sehr gut wärmend und oft, aber nicht notwendig, sehr teuer ist. Dafür kann man ihn bei entsprechender Behandlung jahrzehntelang tragen (und mit etwas Glück sogar vererben). Natürliche Pelze können, das ist meine Erfahrung, bei entsprechender Verwendung ganz wunderbare Hilfen sein, um durch den Winter zu kommen. Sie sind besser als jedes Plastikzeug aus der Sportartikelindustrie, das ich kenne. antifa, 2008-09-03, Nr. 4160 die leute sind frei, juhuu!!
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