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2008-08-09 GEMMAKUN?TSCHAUN! - Aber wohin? Zur Position der Kunst im Neoliberalismus Der vorliegende Beitrag entstand im Zuge einer Kooperation mit dem Verein NETZWERKKUNST, der in Villach, seit 2006 biennial (also heuer zum zweiten Mal) die Veranstaltung GEMMAKUN?TSCHAUN! organisiert. Dabei wird Kunst in einem, in serner Heterogenität eher ungewöhnlichen Rahmen von Geschäften, Gast-, Brau- und Sudhäusern, Abbruchobjekten, öffentlichen Plätzen und Bedürfnisanstalten, etc... gezeigt. Zu allem Überfluss wird dabei auch noch weitestgehend auf eine kuratierende Qualitätskontrolle der gezeigten Arbeiten und Projekte verzichtet. All das zusammengenommen mag so manchem geradezu als der heilige Gottseibeiuns des etablierten Kunstbetriebes erscheinen. "Kunst-Kirchtag" sozusagen in der Kärntner Kirchtagsmetropole. Und so nimmt es nicht Wunder, das die Rezeption der Veranstaltungsreihe durch die Kulturredaktionen der lokalen und regionalen Medien überaus zurückhaltend bleibt. Eigentlich schade, wie ich meine. Denn wo sonst soll man hingehen, wenn man Kunst schauen will? Etwa ins Museum? Zur kuratierten Retrospektive? In die Galerie? Auf die Kunstmesse? Oder könnte es sein, dass eine Kunstbetrachtung, die sich selbst und daher auch zukünftige Entwicklungen der Kunst ernst nimmt, eine solche Verortung zeitgenössischer Kunst gar nicht (mehr) zulässt? Ist es nicht vielmehr so, dass in der akuten, neoliberalen Krise, deren ökonomische Dimension ja nur ihre eigentlichen, tiefreichenden gesellschaftlichen Wurzeln verdeckt, eine neue emanzipatorische Kunst (soferne sich eine solche überhaupt noch entwickeln kann) auch einen neuen gesellschaftlichen Ort besetzen muss? Ja steht nicht gerade ihre eigene, grundlegende kategoriale Neubestimmung auf der Agenda, wenn die Kunst nicht vollends in der lächerlichen Marginalie ihres eigenen Marktes verkommen will? Der vorliegende Beitrag versucht eine Bestimmung der aktuellen Position der Kunst im neoliberal entwickelten Kapitalismus, zumal nur eine solche Positionsbestimmung den Ausgangangspunkt einer kritischen Analyse der aktuellen Kunstveranstaltung in unserer Gesellschaft bilden kann. Wenn man nämlich der Kunst - namentlich der Bildenden - mehr zutraut, als es die (letztlich immer enzyklopädisch bleibende) bürgerliche Kunstgeschichte tut, dann muss es möglich sein, sie auf die zentralen Kategorien menschlicher Vergesellschaftung zu beziehen indem man ihre relative Position zu den historisch jeweils vorzufindenden Formprinzipien dieser Vergesellschaftung angibt. Jeder andere Zugang zum Verständnis (nicht nur) bildender Kunst, der eine solche Positionsbestimmung innerhalb dieses historischen Bezugsrahmens nicht zu leisten vermag, muss sich den Vorwurf der Transhistorisierung der bildenden Kunst gefallen lassen, weil er sie dadurch - gewissermaßen stillschweigend - aus ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Koordinatensystem herausschneidet. Und ein auf diese Art positionslos bleibender und daher mit seinem gesellschaftlichen Bezugsrahmen nicht mehr fundamental wechselwirkender Kunstbegriff ist nun einmal kein geeignetes Werkzeug für eine kritische Analyse der Kunst im Allgemeinen und ihrer zeitgenössischen Strömungen im Besonderen. Aber insbesondere wird sich mit einem solchen bürgerlich-überhistorischen Kunstbegriff gerade das angesprochene Problem ihres aktuellen, immer rigider werdender Rückzugs aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext theoretisch nicht befriedigend in Angriff nehmen lassen. Der vorliegende Beitrag unternimmt daher eine solche Positionsbestimmung bildender Kunst in einem historisch materialistischen Koordinatensystem, welches bildende Kunst als einen (zwar sehr spezifischen aber) integralen Bestandteil der jeweiligen Form gesellschaftlicher Reproduktion zu vermessen versucht. Die angesprochene Spezifik der bildenden Kunst im Kanon des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses (verglichen etwa mit der dazu theoretisch simpel anmutenden Produktion von Lebensmitteln) entsteht einerseits aus der speziellen, von allen anderen klar unterschiedenen Art ihrer Produkte (der Abbilder bzw. Bilder), und andererseits durch die daraus erwachsende spezifische Art, wie diese Produkte auf den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess rückwirken: Es waren nämlich die Bilder, die es den Menschen erstmals im Verlauf ihrer Geschichte ermöglichten, einen reflektierenden Blick auf ihre eigene gesellschaftliche Reproduktion zu werfen, indem sich eben (nur) diese Bilder in ihrer eigenen Produktion reflexiv auf genau diesen Reproduktionsprozess bezogen. Nur ein solcher reflexiver Bezug auf die eigene gesellschaftliche Reproduktion lässt sich aber als Motor ihrer eigenen, beschleunigten Veränderung begreifen. Damit aber wird die Produktion von Bildern zur wesentlichsten Triebfeder gesellschaftlicher Entwicklung im ausgehenden Paläolithikum. Nicht nur die Höhlenmalereien von Lascaux geben dafür ein beeindruckendes Beispiel. Den Ausgangspunkt dieser Positionsbestimmung bildet daher ein etwas weiter als üblich gefasster Bildbegriff. Vom Bild ... Irgendwann in prähistorischer Zeit muss den Menschen die Welt als permanente Quelle von Gefahr wohl bedrohlich und übermächtig erschienen sein. Nicht nur, aber besonders dem Tier als Verkörperung dieser unheimlichen Naturmacht wurde dabei eine wesentliche Rolle zuteil. Im Tier nämlich nahm der übermächtige Geist der fremden Welt wohl am augenscheinlichsten Gestalt an. Und so war es seit jeher das Ziel des Schamanen, dem Geist im Tier zu gleichen. Indem er sich nämlich dem Tier vergleicht, seine Gestalt und sein Verhalten imitiert, erlangt er Teilhabe an der Macht, die er ihm zuschreibt. Bereits diese Vorstellung vieler prähistorischer Kultformen gründet sich in ihrer zentralen Denkfigur - dem Vergleich von grundlegend Verschiedenem - auf einen Abbildungsprozess. Erst der Vergleich von Mensch und Geistern, hergestellt durch die Degradierung des Übermächtigen ins selbst geschaffene Abbild, ermöglicht ihm die Teilhabe an eben dieser Übermacht. Mit dem Bild machte sich der Mensch die Welt zueigen. Denn erst durch seine Abbildung wird das Unfassbare fassbar, erhält das Unnahbare Nähe oder - um mit Heidegger zu sprechen - wird aus seinem Vorhandensein ein Zuhandensein. Erst im Bild sind die Geister gebannt. Denn erst im Bild erklärt sich die Welt. Und so blieb die Natur dem Menschen verzaubert. Denn nur noch ihr Bild war fortan seine Welt. Die Initiatoren dieses Abbildungsprozesses waren die Schamanen, die Magier und die Priester ihrer jeweiligen Gesellschaften. Sein Produkt, so unterschiedlich es auch ausfallen mochte, war das, einer unbegriffenen und übermächtigen Welt vorgestellte Bild. Die vom Bild verstellte Welt war zur vorgestellten Welt geworden. Durch das Bild aber hatte die Welt des Menschen ihre Kontingenz verloren. Denn die eigentliche Wirkkraft des Bildes liegt in seiner Fähigkeit, den Zufall der Katastrophe zur gesellschaftlichen Notwendigkeit zu wandeln und letztere dadurch zu legitimieren. Wenn im Bild die Götter zürnen, kommen Hagel, Blitz und Donner nicht mehr aus heiterem Himmel sondern werden zur Konsequenz "falschen" gesellschaftlichen Handelns, und dadurch legitimiert gerade das Bild die Notwendigkeit des "richtigen" gesellschaftlichen Handelns. Wenn im Bild ein gnädig gestimmter Gott belohnt, legitimiert das Bild gerade durch die reiche Ernte die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Handelns in seiner bestehenden Form. Das Bild wird so zum fundamentalen Formprinzip menschlicher Vergesellschaftung. Am Bild mussten diese Gesellschaften daher fortan ihr Maß nehmen und bezahlten damit die Bannung der übermächtigen Geister im Bild mit der Herrschaft der von ihm legitimierten, gesellschaftlichen Notwendigkeit. Das einst Übermächtige hatte sich damit im Bild zur Legitimation gesellschaftlicher Notwendigkeit transformiert. Und da diese Transformationsleistung ausschließlich vom Bild erbracht werden konnte, hatte damit das Bild seinen Platz im Zentrum dieser Gesellschaften. Von Handwerkern zu beindruckenden architektonischen Monumenten geformt, in Stein gehauen oder in Metall gegossen, waren die Bilder aber doch nicht von ihnen geschaffen, sondern einzig und allein Zeugnis des fundamentalen Formprinzips der menschlichen Vergesellschaftung dieser Epochen. Die Zeugnisse dafür reichen von prähistorischen Artefakten über die Architekturen und Bildwerke der Hochkulturen und mit wenigen Ausnahmen auch über das antike Griechenland und Rom bis hinein ins hohe europäische Mittelalter. Bei einer solchen Betrachtung wird aber sofort klar, dass der Bildbegriff, wie er hier verwendet wird, weit mehr umfasst als nur das "augenscheinliche" Bild. Als fundamentales Formprinzip menschlicher Vergesellschaftung musste das Bild nämlich konsequent auch zur Denkform dieser bildlegitimierten Gesellschaften werden. Und so lässt sich mit den wenigen Ausnahmen aufkeimender Naturwissenschaft und Mathematik im antiken Griechenland das gesamte abendländische Denken von den Griechen über die mittelalterliche Scholastik bis weit hinein in die beginnende historische Moderne als ein bildnerischer Prozess verstehen, dessen ausschließliches Ziel die Erschaffung eines umfassenden und in sich konsistenten Weltbildes war. Das konsistent ausgeformte Weltbild wurde zum philosophischen Pendant des ursprünglich magischen, kultisch-religiösen Bildes. Im Weltbild erlebt das Bild gewissermaßen den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Es ist übrigen von einem heutigen, aufgklärten und modernen Standpunkt aus bemerkenswert, weil eigentlich unverständlich, dass (aber vorallem) wie jenes, vom Bild geformte und sich am Bild entlang rankende Denken dieser Epochen noch ausschließlich sich selbst genügen konnte. Dieses Unverständnis prämodernen Denkens ist dabei einzig der Hybris bürgelich-positivistischen Denkens geschuldet, welches am immer auf's Neue halluzinierten "Ende der Geschichte" noch nie in der Lage war, den Blick über seinen, durch die Spaltung der Welt in Subjekt und Objekt kitzeklein gehaltenen Tellerrand zu richten. Das prämoderne Denken in bildlegitimierten Gesellschaften, dem eine solche Trennung geradezu obskur erschienen wäre, konnte es sich nämlich noch ganz einfach leisten, sein Maß auschließlich an seinen eigenen Produkten zu nehmen. Was die aufgeklärte Moderne nämlich als Experiment zu ihrer einzigen richterlichen Instanz erklärt und sich damit jeden anderen Erkenntnisgewinn verboten hat, war den Griechen noch der philosophische Dialog und dem Mittelalter der gelehrte scholastische Disput. Dadurch aber waren in diesen Epochen noch die Menschen letztinstanzlich Richter ihres eigenen Denkens und nicht die - im Experiment zugerichtete - "Natur" der aufgeklärten Moderne. Das Bild hatte sich zwar zum Weltbild gewandelt und im Schutz des Hauses waren Geister zu Göttern und Schamen zu Priestern mutiert, doch seine Funktion als Legitimation gesesellschaftlicher Notwendigkeit war dem Bild erhalten geblieben. Bis in die Epoche des hohen europäischen Mittelalters erscheint uns daher (zumindest) die europäische Kunst zu Recht als integraler Bestandteil der kultisch-religiösen Sphäre und der in ihr vom Bild erbrachten Legitimation gesellschaftlicher Notwendigkeit. Ihr einziger zeitgenössischer Qualitätsmaßstab - festgelegt von den jeweiligen Eliten - war ihr Vermögen, diese Legitimationsleistung zu erbringen. Auf der gesellschaftlichen Bühne bleibt sie dabei gewissermaßen hinter dem Vorhang, den sie selbst erschaffen hat. Diese Subordination der Kunst unter das ihr - aus heutiger Sicht - äußerliche Regime des Kultes und der Religion, ermöglichte ihr dabei ein eher schlechtes als rechtes Auskommen. Trotzdem entstanden einige der atemberaubendsten Zeugnisse menschlichen Ausdrucks innerhalb dieser spezifischen gesellschaftlichen Formationen. Wahrscheinlich auch deshalb erscheint uns dieser Kotau aus heutiger - moderner und aufgeklärter - Sicht antiquiert. Denn spätestens mit der Aufklärung hat sich doch - so die Lehrmeinung - die Kunst mit großem Erfolg aus ihrem kultisch-religiösen Korsett befreit. Und in der Tat ließen der Humanismus und in seiner Folge die sich aufklärende Moderne eine völlig neue Kunst entstehen, die letztlich auf der Apotheose menschlicher Subjektivität basiert. Der freie (männlich weiße europäische) Mensch mit all seiner aufgeklärten Vernunft und selbstbewussten Autonomie tritt nun plötzlich an die Stelle des gegängelten Gottesdieners früherer Epochen. Gemeinsam mit ihm betreten erste protokapitalistische Gesellschaftsformationen die Weltbühne und bringen in ihrem Schlepptau ein Bürgertum hervor, dem zwar diese neue, subjektivistische Kunst zum Ausdruck seines Selbstbewusstseins wird; doch das Hauptideologem dieser neuen Gesellschaftsformation erklärt gerade ihre eigene Legitimation aus kultisch-religiösen Wurzeln für obsolet, indem es die objektiv(iert)e Welt zu ihrem einzigen Maßstab erklärt. Doch die darauf basierende, ständig und mit ungeheuerer Militanz vorgetragene Behauptung ihrer eigenen Ideologiefreiheit entlarvt die aufgeklärte Moderne bei näherer Betrachtung selbst als härteste Ideologie. Und wie jede andere erfordert auch diese ihre eigene, mehr oder weniger blutige Durchsetzung. ... zur Ware. Und so muss die auf allen Ebenen einsetzende, brutale Durchökonomisierung der Welt gepaart mit ihrer Entzauberung durch den Aufstieg der positivistischen Naturwissenschaften eine neue, ihr adäquate Form der Legitimation gesellschaftlicher Vermittlung entstehen lassen. Denn mit der, einst vom Bild legitimierten gesellschaftlichen Notwendigkeit dessen, was ist, ist nämlich die Durchsetzung der neuen kapitalistischen Gesellschaftsformation nicht zu haben. Aus kultisch-religiös verwurzelter und damit bildvermittelter gesellschaftlicher Notwendigkeit muss (scheinbar) objektiver, ökonomischer Sachzwang dort werden, wo einzig der Takt des Geldes zum totalitären Rhythmus der Menschen werden soll. Nur dieser, nie objektive, sondern sich erst im Laufe der Zeit objektivierende Zwang gesellschaftlicher Vermittlung durchs Nadelöhr eines alles erfassenden Tauschprozesses vermag diese Legitimationsleistung zu erbringen. Damit aber verliert das Bild - von Urzeit an magischer Ausdruck gesellschaftlicher Vermittlung - am Beginn der Moderne seinen Ort im Zentrum der Gesellschaft. Die aufgeklärte Moderne bezahlt gewissermaßen ihre glänzende Karriere mit der Verbannung des Bildes aus dem gesellschaftlichen Zentrum. An seine Stelle tritt nun ein neues, scheinbar unverdächtiges, ja geradezu jungfräuliches Objekt, das in Wahrheit aber mit einer viel, viel größeren Magie aufgeladen ist, als es das Bild je war. Die Ware, deren Produktion, Zirkulation und Konsum sowohl ursächlicher Antrieb wie auch finaler Zweck der kapitalistischen Veranstaltung ist, scheint nun in ihrer Wertform als Geld bzw. in weiterer Folge als Kapital zur einzigen Legitimation gesellschaftlichen Handelns zu werden. Doch dieser Schein trügt. Denn es ist nur im oberflächlichen, ökonomischen Sinn ein "Handeln", um das sich der Kapitalismus dreht. Denn der neue, objektivierte ökonomische Sachzwang lässt ein Handeln im Sinne eines bewusst gesteuerten "Handelns" gar nicht zu. Korrekterweise spricht auch die binnenkapitalistische Literatur daher von einem Verhalten, das die Marktteilnehmer an den Tag legen. Dieses "Verhalten" ist aber (nicht nur) sprachlicher Ursprung von "Verhältnissen". "Verhalten" akzentuiert auch in sinnfälliger Weise ein "Halten", ein wenig im Sinn von "Innehalten". In jedem Fall aber liegt seine konnotative Emphase nicht auf Aktion, sondern vielmehr auf Reaktion. Und in der Tat: Wer sich verhält, hat das Verhältnis schon mitakzeptiert, das ihn kommandiert. Ein Wohlverhalten muss da gar nicht erst eingefordert werden. Und so ist mit Ausnahme der mikroskopischen Marginalie bürgerlicher Privatheit unser gesamtes gesellschaftliches Verhalten nichts als bewusstlose und willfährige Dienstleistung an der Ware. Gewissermaßen von der Wiege bis zur Bahre - alles Ware. Mit großer Präzision benennt Karl Marx diese Beziehung als fetischistisches Verhältnis. Wie hellsichtig diese Beobachtung tatsächlich ist, zeigt ein Blick auf die Etymologie des Wortes Fetisch. Diese berichtet von portugiesischen Seefahrern, die in den westafrikanischen Küstenregionen des heutigen Guinea Eingeborene vorfanden, die selbstgefertigten Objekten magische Zauberkraft zuschrieben und denen sie mit abergläubischer Furcht begegneten. Im Portugiesischen bezeichnet noch heute das Wort Fetico einen von Hand hergestellten Gegenstand. Der lateinische Wortstamm facticius (durch Kunst erzeugt) weist dann auch vollends den Weg zum simplen facere (machen, herstellen, ...). Die magischen Bilder der Eingeboren werden hier also als simples Machwerk denunziert. Die in dieser Begrifflichkeit zum Ausdruck gebrachte Verachtung des sich gerade zum Naturbeherrscher aufklärenden Europäers für den Kult der Afrikaner zeigt einmal mehr, wie sehr er nichts anderem als dem bisschen Geist gleicht, den er begreift. Da muss man gar nicht erst Immanuel Kants 1790er-Vorlesungen studieren, in denen er "die Neger von Afrika" als "Kinder" beschreibt, die "Erziehung" benötigten und "die von Natur zu keinem Gefühl" imstande seien, "das über das Läppische stiege". (Die entsprechende Erziehung und Gefühlsbildung erhielt die Ware Neger in den folgenden Jahrhunderten in der Freiheit amerikanisch-europäischer Baumwoll- und karibisch-europäischer Zuckerrohrmärkte - Übrigens ganz ohne den großen Aufklärer) Geblendet von der Sonne der eigenen Aufklärung musste dem weißen Mann förmlich verborgen bleiben, dass er selbst es ist, der das simple Produkt seines eigenen Tuns - den von Hand gefertigten Gegenstand - mit einer noch viel unglaublicheren Magie auflädt als die „primitiven Wilden“ das je taten. Indem er nämlich den Stuhl nicht mehr zum Sitzen zimmert, sondern ihn zum Zweck des Tausches produziert, indem er das Tuch nicht mehr zum Schutz vor Kälte webt, sondern es zum Zweck des Tausches produziert, ist's plötzlich aus mit simplem Gegenstand - ist abstrakte Ware geworden, was einst konkret zum Sitzen und zum Schutz vor Kälte geschaffen. Und alles, was der weiße Mann angreift (man beachte den Doppelsinn) gerät ihm zur Ware. Am Anfang mag zwar das Wort gewesen sein. Doch das Wort ist ihm zur Ware geworden. Und so dient der Stuhl im Einkaufszentrum dem Ermatteten nicht der Erholung von rastloser (Schnäppchen)Jagd, sondern ist mit ungeheuerer Magie aufgeladenes Zauberobjekt (Fetisch), über dessen Verkauf und Kauf sich Wohnberater, Kassiererin und Pensionist ihrer Teilhabe an der gesellschaftlichen Warenmacht versichern müssen. Denn wer nicht permanent verkauft bzw. kauft, geht der Teilhabe an dieser Macht verlustig. Das ist kein simpler Handel, wie der Bürger sich das halluziniert. Die Totalität dieser zwanghaften Form gesellschaftlicher Vermittlung über einen alles erfassenden, monotonen Tauschprozess weist eine viel tiefere kultisch-religiöse Dimension auf, als das in bildvermittelten Gesellschaften früherer Epochen jemals der Fall sein konnte. Diese fundamentale Wandlung gesellschaftlicher Vermittlung vom Bild zur Ware, die den Umbruch vom Mittelalter zur historischen Moderne charakterisiert, fand natürlich auch in der Kunst ihren Niederschlag. Von der Ware aus dem Zentrum gesellschaftlicher Legitimation und Vermittlung verbannt und damit seiner ursprünglichen Magie beraubt, begann das Bild im Verlauf der Moderne nicht nur zum Objekt einer sich etwa seit Winckelmann entwickelnden kunsthistorischen Wissenschaft zu verkommen, sondern nahm, auf diese Weise objektiviert, seinerseits in immer größer werdendem Ausmaß Warenform an. Erst diese Relokation des Bildes in den Objektkanon der bürgerlichen Wissenschaften und die damit einhergehende Subordination unter die alles umfassende Warenform lies jenen Begriff von bildender Kunst entstehen, wie er sich uns heute darbietet. Der Künstler als Organisator der Kunstveranstaltung kann erst vor dem Hintergrund des objektivierten Bildes als Subjekt eines autonomen Schaffensprozesses installiert werden. Damit aber ist der Künstler ein Produkt der bürgerlichen Aufklärung. Die Erschaffung der bildenden Kunst als eine neue Disziplin unter vielen war damit gewissermaßen das Resultat der Disziplinierung des Bildes durch die Ware. Einen ihrer negativen Höhepunkte sollte diese Entwicklung im Ghetto der metropolitanen Salons des 19. Jhdts finden. Und dann? Es war in der Hauptsache wohl diese Marginalisierung und Disziplinierung der Kunst zum gefälligen Höfling der neuen Eliten, die am Ende des 19. Jhdts. und insbesondere im kurzen 20. Jhdt. zu einer völligen Neuorientierung führten. Die Avantgarden dieser Epoche sind heute Legende. Ihnen allen gemeinsam war die Vision einer von ihrer Disziplinierung emanzipierten Kunst. Einer Kunst, die ihren Platz wieder dort haben sollte, wo sie einst entstand. Mitten in unserem Leben. Fernab des musealen Umfeldes sollte sie sich ihren Platz im Zentrum der Gesellschaft wieder zurück erobern. Der dafür nötige reflexive Bezug der Kunst auf sich selbst fand seinen Ausdruck in vielfältigster Weise. Sei es in der erstmaligen Thematisierung des Perzeptions- und damit gekoppelt auch des Schaffensprozesses selbst oder sei es in der Erweiterung des künstlerischen Repertoires von Tafelbild und Plastik über Aktionsmalerei und Happening bis hin zu Aktionismus und Performance. Ob nun Futurismus, Dada, Bauhaus, Action Painting, Fluxus, Informel, Eat-, Concept-, Op-, Pop- oder Land Art. So verschieden ihre Formen auch waren; sie alle lassen sich in ihrer primär gesellschaftlichen Zielrichtung als Reaktion auf die Tatsache begreifen, dass das Bild seiner gesellschaftlichen Vermittlungsfunktion beraubt war. Doch das bloße Aufbäumen gegen die eigene gesellschaftliche Marginalie ohne radikale Analyse und Kritik ihrer Ursachen musste fruchtlos bleiben. Denn wie spektakulär auch immer Manzonis scultura vivente ihren Sockel verlies oder Lucio Fontanas Messer die Leinwand in die dritte Dimension erweiterte; wie medienwirksam auch immer Rob Rauschenberg eine de Kooning-Zeichnung ausradierte oder Jackson Pollock den Malprozess thematisierte; wie ekelerregend auch immer sich Rudolf Schwarzkogler in selbst zugefügte Wunden kotzte oder Otto Mühl zum geilen Wotan mutierte; wie konsequent auch immer Heinz Mack und Otto Piene die deutsche Nachkriegsmalerei von Null beginnen ließen: Man kommt aus heutiger Sicht nicht umhin festzustellen, dass dieses Projekt gescheitert ist. Die Verdrängung des Bildes durch die Ware und die damit verbundene erneute Subordination der Kunst unter eine ihr äußerliche Form gesellschaftlicher Vermittlung war schon lange zuvor vollzogen. Es kann daher nicht verwundern, dass die Kunst der folgenden, sogenannten Postmoderne sich nicht unwesentlich gerade über die Akzeptanz dieser Tatsache charakterisiert. Und so kommt die zeitliche Koinzidenz dieser kunsthistorischen Epoche mit neoliberaler Marktradikalisierung und finaler Totalentbettung des ökonomischen Prozesses bei weitem nicht von ungefähr. Ihr erneuter Rückzug in den musealen Kontext der großen Retrospektiven, spektakulärer Auktionen und diverser Quint- und Dezennialen als Voraussetzung ihrer eigenen öden Marktveranstaltung ist daher genauso beobachtbar, wie er folgerichtige Konsequenz dieser Akzeptanz ist. Die Postmoderne hat gewissermaßen ihr Museumsquartier bezogen. Ihren Text schreibt endgültig die Ware und der in ihr präkonfigurierte Wert. Es ist daher zwar genauso zu hoffen, wie es in Wirklichkeit aber zu bezweifeln ist, dass wesentliche Impulse zur Überwindung der krisenhaften waren- bzw. wertförmigen gesellschaftlichen Vermittlung gerade aus dieser lauschigen Ecke der Kunst kommen können. Vielleicht gehen wir gerade deshalb in Villach nicht ins Museum, wenn wir Kunst schauen gehen, sondern auf die Straßen, die öffentlichen Plätze und in die Gast- und Brauhäuser unserer Stadt.
diana, 2008-08-11, Nr. 4136 Bei dieser exzellenten wortwahl ist es ja fast unmöglich nicht banal rüber zu kommen, aber ich nehme diese banalität trotzdem auf mich.
mimenda, 2008-08-11, Nr. 4137 sehr erhellende betrachtung, ein bild sieht man ja auch besser im hellen.
Bei dieser Begrifflichkeit sollte man nicht in Nischen denken.
diana, 2008-08-12, Nr. 4139 WAS SOLLEN DIE KÜNSTLER EURER MEINUNG NACH TUN?
Liebe Diana, liebe(r) "Kunst ist alles",
kunst ist alles, 2008-08-12, Nr. 4141 leben ist die lust zu schaffen (c.s) – also was soll diese hilfslose frage?
diana, 2008-08-13, Nr. 4142 Ciao stephan, ich hab aber schon kapiert auf was du raus willst (100%ige garantie-nein). und meine frage war die hoffnung auf antwort, nach solch großen worten deinerseits-was soll ein künstler eigentlich noch „machen“ wenn ja alles infiziert ist vom kapitalistischen system. der satz: Gewissermaßen von der Wiege bis zur Bahre - alles Ware. wie soll der/die künstler jemals wagen ein bild zu malen, bei solch ausweglosen sätzen... und ja, dieser satz toppt den vorherigen noch um einiges an ausweglosigkeit, du schreibst: Und alles, was der weiße Mann angreift (man beachte den Doppelsinn) gerät ihm zur Ware. natürlich ist es wichtig über die ver-rückte liebe der menschen zum materialimus zu diskutieren und ich glaube aller übel ist wirklich die hoffnung der menschen HALT ZU FINDEN IN MATERIELLEN DINGEN, alleine diese erkenntnis machte doch erst den kapitalismus möglich! und alles weitere ergibt und ergab das nächste. und ich finde es im grunde egal, ob kunst im eigens dafür geschaffenen „kunstraum“ gezeigt wird, oder in der dorfkneipe, weil die liebe und die hoffnung sich selber zu finden im materialismus- die teilen ALLE. künstler und kunstinteressierte
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