2003-02-03
REMINISZENZEN
"Das ist nicht main Revier" sagt Chris Howland, Amerikaner von Beruf, in einem Film oder
Sketch. Da bitte, stehe ich wieder einmal an der Schwelle dieser Stadt und denke
desgleichen.
Villach (slowen. Beljak), so stand es 1897 noch in Meyers Lexikon. Die Stadt der
gemischten Gefühle. Verkehrsknotenpunkt. Von Maria Theresia den Bambergern abgekauft.
Zwei Friedhöfe. Beide am Rand. Einen nennen sie den Zentral.
War hier seinerzeit in niedrigen, unterwürfigen Diensten tätig. Und fleißig, wie mir
bestätigt wurde. Grund genug, bepöbelt zu werden. Von den Hochgestellten natürlich. Den
Geschäftsherrn, Brotherrn, mit ihrer Mirsanwas-Mentalität. Griffen Arbeiterinnen,
Verkäuferrinnen unter den Kittel. Macht der Gewohnheit. Aber, man muß sich ums Personal
kümmern, die menschliche Seite zeigen.
Ich wollte da, in Villach, wohnen. Über Nacht schraubten alle Vermieter die Preise in die
Höhe. Arbeiten schon, wohnen nicht. Gibt so schon genug Stürzler da!
Verärgert renne ich im Zentralfriedhof herum. Der hat einen Haupt- und einen Hintereingang.
Den habe ich zufällig nach einer Leich entdeckt. Ich war in ein Grab vernarrt, ganz nahe
am Hintereingang. Weil ich ein wenig nekrophil veranlagt bin. Nein, Leichenschänder bin ich
keiner. Nur, die Trauer, die Zeremonien, die Aufbahrungen, die Musik, das ewig Endgültige
überwältigt mich. Wenn es den noch Lebenden nützlich war, tolerierte ich dafür auch das
heilige Brimborium. Bekreuzte mich linkisch. Der Tod als Geschäft. Seine Alltagsseite.
Opfergroschen und schief angeschaut werden .
Damals liebte ich eine schöne, junge, todesträchtige Frau. Eine dunkle, sanfte Seele.
Leider hat sie sich, wohl viel zu früh, umgebracht. Überraschend schnell. Nach ihr habe
ich eine schwarzrote Rosensorte benannt. Mit schwerem, orientalischen Duft.
Der Waldfriedhof ist nobler als der Zentralfriedhof. Exquisiter. Nur die Verabschiedungen
werden nach dem gleichen Schema abgefertigt. Und da wie dort das bedrückende, schummerige Licht. Grad die Leichenhallen sollten hell und warm sein! Im öden Bestattungszwielicht sehen die Trauergäste wie Zombies aus. Heißt es nicht, dem Tod den Stachel nehmen? In der Finsternis rempelt man sich gegenseitig nieder. Und auch nicht dort an, wo man möchte.
Villach ist in jeder Beziehung unzulänglich. Humorlos, phantasielos wie der Fasching.
Immer die gleiche Grammophonwalze. Leben in Villach ist schon ein Balanceakt ohne Netz.
Sterben - reden wir nicht davon. In Villach, wirklich, ist selbst das Sterben kein
Honiglecken.
Sie haben einen schönen Turnverein. Viele, eigenartige Nazi, rotbraunes Geschäftsnazitum.
Ich habe da manches gewußt. Oft hatte ich im Puff zu tun. Geschäftlich. Ich habe die
Frau Kafka gekannt und war mit einigen ihrer Mädchen befreundet. Gewerbsmäßig habe ich sie
nicht beansprucht, die willigen, weniger billigen Fräuleins. Dafür sehnte ich mich
nach einer Villacherin mit Naturtalent. Aber es ist schlichtweg unmöglich, von einer der
einfachen, bezaubernden Villacherinnen geliebt zu werden. Beim fünften Versuch warf ich
das Handtuch. Zwar nur ein billiges. Vom Ausverkauf beim Warmuth.
Die Fünfte sagte, es ist ja schade, aber man kann dich nicht lieben, du bist kein
Geschäftssohn. Nicht einmal eine Erbschaft steht dir in Haus. Ins Haus, sagte sie. Sie
hat diese Romanhefte gelesen, "Opfer der Leidenschaft". Daher war sie auch liebeskluger.
Aber wenigstens geschmust, was halberotisches Liebeln bedeutet, hat sie. Unverbindlich.
Ich hatte damals einen vielseitigen, aber aussterbenden Beruf. Trotz der gewissenhaften
Ausbildung und einem sehenswerten Zertifikat war ich nichts als aussichtsloser,
gesellschaftlicher Schrott. Mich zu lieben wäre tatsächlich eine zukunftslose Verschwendung
ihrer innigsten Gefühle gewesen.
Die lebensklugen Villacherinnen haben geahnt, was für mich eines Tages zur bitteren
Wahrheit wurde: Kein braver Geschäftsmann wollte mich als qualifizierten und diplomierten
Geschäftsdiener aufnehmen. Man begnügte sich überall mit billigen, geistlosen, völlig
unkundigen Hilfsarbeitern. Ich überreichte älteren Damen noch mit weißen Handschuhen die
diskreten Mahnbriefe!
Verbittert verbrachte ich viel Zeit am Zentralfriedhof, photographierte mein Lieblingsgrab
bei Sonne, Regen, Wind, Sturm und Schnee, im Sommer, Herbst und Frühling, im Winter
versagte der billige Photoapparat. Da beteiligte ich mich nebenbei an Begräbnissen.
Damals trug ich ständig eine schwarze Krawatte bei mir. Mit Schnellverschluß. Und konnte
leidender an Villach leiden als der junge Werther an seiner strebsamen Lotte, einer
goethischen Art von Villacherin.
Wie viel kostbaren Campari haben die Villacherinnen auf dem Gewissen! Fast täglich mußte
ich meine von schicken Bleistiftabsätzen zertrampelte Seele in einigen Gläsern dieses
tiefroten Elixiers aufquellen lassen, oder das verschrammte Gemüt mit rotbrauner
Schuhpasta aufpolieren. Lieber hätte ich schwarze verwendet. Was jedoch bedenklich mit
Schaf verknüpft wird.
Diese Absätze damals, samt Minirock, machten die untere Hälfte der Villacherinnen zu
einem wogenden Himmelreich. Doch was nützte es, wenn sie mich, selbst am
neunmonatträchtigen Kirchtag, mit einem schwachen Händedruck heim schickten. In
die Provinz. Und die berühmte Regel "lei losn" einfach mißachtet haben. Nebenbei bemerkt,
verwende ich jetzt Whisky. Wer Richard Burton kannte, weiß warum. Introvertierte
Exzentrik. Doch mehr davon später einmal vielleicht.
Jedenfalls, Villach ist nicht mein Revier.