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2007-06-02 2 Seiten (!) zum Thema Bildung Von 20. bis 23. September 2007 findet in Wagrein (Salzburg) das Symposium 2007: Zeit & Bildung statt. Aus diesem Anlass erschien beim Verein zur Verzögerung der Zeit eine Sonderausgabe der Zeitschrift ZEITPRESSE. Der Autor wurde von den Herausgeber/innen ersucht, einen zweiseitigen Artikel zu verfassen:
ZWEI SEITEN (!) ZUM THEMA BILDUNG – so lautet der Auftrag! Es gäbe eine Möglichkeit, sich rasch aus der Affäre zu ziehen: Da ohnehin niemand heute so genau weiß, was denn Bildung ist, könnte man es dabei belassen, vorschlagen, alle historischen, nostalgischen Mystifikationen zu vergessen und besser diesen Begriff aus seinem Wortschatz zu streichen, als mit ihm diverse Purzelbäume zu schlagen, um ihn nicht endgültig dem Vergessen auszusetzen. Das könnte man auch jenen raten, die anscheinend genau wissen, was unter Bildung heute zu verstehen sei; Bildung mit Wissen verwechseln, mit Ausbildung für berufliche Brauchbarkeit, mit dem „Beherrschen“ von „Schlüsselqualifikationen“, mit Erfolgen in der „Millionenshow“, mit Perfektion in den Fähigkeiten, Kreuzworträtsel zu lösen. Manche wollen Bildung mit Kultur in Verbindung bringen, meinen zumindest in Österreich damit Konzert-, Theater- und Opernbesuche; manchmal auch Esskultur- und Tischsitten (ein „kultivierter“, sprich gebildeter Mensch). Dann gibt es aber auch „Rufe in der Wüste“, die wollen etwas von „Herzensbildung“ gehört haben, die man über „Persönlichkeitsbildung“ erreichen könne, einige, die Bildung mit „Kritikfähigkeit“ assoziieren, schließlich auch noch wenige, die von ethisch, sittlichen Dimensionen sprechen, von der Fähigkeit, sich ein „gelingendes Leben“ zu arrangieren. Im Zielparagraphen der Universitätsgesetzgeber lautet der Auftrag: „Bildung durch Wissenschaft“. Offensichtlich ist man hier der Meinung, dass zum Wissen, zur Disziplin noch etwas dazu kommen muss, die Frage nach dem Was bringt aber einigermaßen in Verlegenheit, die man verbalisiert in den Präambeln von Studienplänen aufsuchen kann. Also Schluss: Nehmen wir zur Kenntnis, dass in unserer wertpluralistischen Zeit alle möglichen „Bildungen“ nebeneinander am Weg liegen und nach Belieben aufgegriffen werden können. Vermutlich wird aber meine Auftraggeberin sich mit diesem Ende nicht zufrieden geben und mich zwingen wollen, doch noch mehr aus diesem Begriff herauszupressen. Genau aber Wünsche dieser Art bezeichnen seinen gegenwärtigen Stellenwert: Was Bildung ist, lässt sich weder unserer Geschichte so ohne weiteres entnehmen, weil sie hier in ständischer Überzeugung und Weltauslegung fundiert war (Kirche, Bürgertum, selbst noch Arbeiterschaft und Volksbildung), noch der Gegenwart, wo diverses Interesse den Begriff über unvereinte Inhalte zerstreut. Der Schluss daraus: Will man etwas mit Bildung, wird sie zu einem zunächst offenen Prozessbegriff, banaler gesagt, es werden mit ihr Aufgaben, Aufträge verbunden, die etwas mit einem eher vagen Defizitbewusstsein zu tun haben. Bildung ist nicht, vielleicht wird sie aber, indem wir sie konzentrierter zu unserem Anliegen machen. Sie ist daher eher eine „regulative Idee“ (Kant), als mit bereits bestehenden Inhalten befrachtet. Wohin aber weist uns diese möglicherweise? Seite 1: Bildung als Nachschub Die Definitionsmacht über den jeweiligen Bildungskanon hatte, was auch sonst mächtig war; oder, was sich als Elite in einer Gesellschaft herausbildete und auf die Ungebildeten herabsehen konnte. Heute findet sich diese Machtakkumulation im ökonomischen und technologischen Bereich. Sie sind Fundament der Globalisierung, aber auch eines bestimmten Grundes zivilisatorischen Überlebens. Um das eine voranzutreiben, das andere zu sichern, bedarf es eines ausgebildeten „Nachschubs“. Also darf es nicht wundern, dass von dort her versucht wird, Bildung zu bestimmen (Berufsbildung, Spezialisten, Experten etc.). Die Folge ist, dass unser gesamtes „Bildungssystem“ organisatorisch und inhaltlich ökonomisch „unterwandert“ wird. (Unter der Devise „Entrümpelung“ von unbrauchbarem Bildungsgut werden z. B. in den Schulen „musische“ Fächer reduziert, die Schule nach dem Maß wirtschaftlicher Brauchbarkeit in Konkurrenz versetzt und die Universitäten veranlasst, „Wissensbilanzen“ zu erstellen, nach denen die wissenschaftliche Leistung gemessen und verglichen werden soll). Seite 2 von Bildung: Kompentenzen, Verhalten Nun wird man aus obgenannten Gründen auf eine so bestimmte „Bildung“ nicht verzichten wollen, bzw. können; aber selbst die Interessensvertreter sind sich nicht ganz sicher, ob das ausreicht. Zumindest wird schon seit geraumer Zeit ein Bildungsbereich anvisiert, der zwar auch aus dieser Windrichtung kommt, aber nicht mehr so einfach im System zu bestimmen ist. Er bezieht sich auf sogenannte Kompetenzen, den weiten Verhaltensbereich (soziale Kompetenz, Führungs-, Steuerungs-, Leitungskompetenz, Konflikt(regelungs)fähigkeit, Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen etc.). Verhaltensbildung beschreibt eine andere Ebene als Wissen, instrumentelles Können, funktionelles Know-how. Sie richtet sich „an Leib und Seele“; Gefühle, Triebe, Vor- und Unbewusstes spielen eine wichtige Rolle. Wissen und Einsichten über diesen Bildungsbereich gibt es viele – eigentlich schon seit Jahrtausenden; sie sind nicht nutzlos, aber nur eine erste Annäherung. Bildung heißt hier mehr. Erfahren, Erleben, Kenntnisse bekommen, Distanzen einüben, also eben mit Leib und Seele lernen. Dafür sind besondere Arrangements notwendig, solche auch, die uns eingefahrene (Lebens)Praktiken unterbrechen lassen, sie aber trotzdem zu einem nacherlebenden Ereignis machen. Nicht erst seit Freud wissen wir, wie ausgeliefert wir uns selbst sein können, und über wie wenig Gestaltungsmacht wir verfügen. Und es ist keineswegs individueller Schuld zuzurechnen, wenn wir in „alte Muster“, in Prägungen zurückfallen, die sich gleichsam menschheitsgeschichtlich als gängige Reaktionsformen festgesetzt haben (vor allem in Gefahren und Konflikten beobachtbar). Vielfach handelt es sich um kollektive Muster, die Individuen zu Marionetten ihrer selbst machen. Hier heißt Bildung den Versuch einer „zweiten Aufklärung“ zu unternehmen. Die erste meinte noch Vernunft, Erkenntnis und Einsicht seien ausreichend; die Geschichte ließ an unserem Verhalten und den eingefahrenen „Bahnungen“ in unserem Gehirn dieses Programm immer wieder scheitern. Verhaltensbildung aber hat zwei Seiten: Die eine richtet sich an das Individuum, die Person. Es ist ein Selbstaufklärungsakt vonnöten, der das Ich auch gegen kollektivisierte Muster stärkt und selbständig macht. (Dies ist umso nötiger, als gegenwärtig Organisationen die Funktion der Musterkollektivisierung übernehmen und die Kraft individueller Autonomie schwächen). Die andere richtet sich an Kollektive, Gruppen, Organisationen, schlussendlich auch das politische System. Bildung verliert hier ihre traditionelle Ausrichtung auf die Einzelperson. Die Einsicht lautet: Nur wenn Kollektive lernen, sich bilden, hat auch das Individuum Chancen. ... und die 3. Seite von Bildung: Bildung als Selbst- und Systemtranszendenz Letzteres öffnet den dritten Richtungshinweis. Und dieser lässt uns auch zu unserem zentralen Anliegen mit der Zeit zurückkommen. Bildung braucht ihre Eigenzeit. Das wäre eine triviale Feststellung, beträfe sie nur jene Bildungs- und Entwicklungsprozesse, die wir Kindern und Jugendlichen gerade noch zubilligen. Schon die bürgerlichen Bildungsromane vom „Wilhelm Meister“ über den „Grünen Heinrich“ bis zum „Zauberberg“ und dem „Mann ohne Eigenschaften“ vermitteln uns, was an Zeit für individuelle Bildung gebraucht wird. Manchmal muss man den Eindruck gewinnen, dass alle Zeit der Welt dafür zur Verfügung steht, während daneben ein Alltag ohne viel Berührung zu haben abläuft; so scheitern dann oft auch die nun Gebildeten an der sie umgebenden Realität. Eigenzeit beanspruchen heißt individuell und kollektiv eine zweite Zeitreihe neben der alltäglichen aufzutun. In ihr wird die für Bildung als regulative Idee unverzichtbare Selbst- und Systemtranszendenz ermöglicht. Es geht nicht bloß um eine mehr oder weniger zufällige Reflexionskompetenz. Heraustreten, gemeinsames Nachdenken, Lernen am Alltäglichen, an eingerichteten Veranstaltungen, an Ereignissen, Geschehnissen, am Umgebenden und medial vermittelten Fernsten, also sich „Transzendenzen“ einzurichten, lässt Bildung für menschliches Tun, Handeln, Entscheiden erst konstitutiv werden. Bildung besteht also jeweils nicht aus einem Kanon, den es schon gibt, den man lernen kann, indem man hineingepackt wird, dies ist bestenfalls ein Teil von ihr. Sie rückt auf eine ganz andere neue Ebene; ist “Hüterin“ einer Differenz, die sie inhaltlich erst möglich macht. Das ontologisch bezeichnete Jenseits haben wir zusammen mit dem transzendenten Gott, wenn nicht abgeschafft, so doch seiner uns bestimmenden Bedeutung entlastet. Der daraus folgende säkulare Immanentismus macht uns immer mehr zu Systemsklaven oder abstraktwíllkürlich etablierten, räsonierenden Individuen. Im Versuch, in einer zweiten Zeitreihe System- und Selbsttranszendenz zu etablieren, könnten sich alle jene Fragen wieder zurückmelden, die in einem luftleeren Raum herumvagabundieren. Z. B. die Frage nach dem jeweiligen Sinn unseres Tuns, ethisch formuliert jene nach unserem Wollen: „Wollen wir es so, wie wir es uns eingerichtet haben“. Diese Fragen sind für Bildung unabweisbar und vielleicht können wir trotz aller Zeitabstände doch noch eine Anleihe an einer ersten „säkularen“, selbstreflexiven Gesellschaft und Denkweise nehmen, die übrigens besonders viel von der Muße (= zweite Zeitreihe) hielt. Es ist natürlich von den Griechen die Rede, die die Frage nach dem „Wozu“ dem Telos, für unabweisbar hielten. So auch z. B. in der Ökonomie; sie ist nicht für sich selbst der Eigenzweck; sie hat dem „besseren Leben“ zu dienen. Diesem entspringt auch wie Aristoteles sagt das höchste Gut des Menschen, die Theoria. Man wäre auf falschem Wege, würde man mit ihr, heutigem Jargon gemäß, die „bloße Theorie“ also mehr oder weniger Praxisferne verstehen. Theorie ist hier vielmehr Produkt der Muße des Nachdenkens und Sinngebens für die Praxis unter dem Postulat der Ermöglichung eines individuell und kollektiv gelingenden Lebens. Aus all den zerstreuten Lebensbelangen kommt man wieder zu sich selbst zurück. Die Ermöglichung dieses Prozesses ist Bildungsgeschehen. In ihm erreicht der Mensch seinen höchsten endlichen Sinn, nämlich nicht nur irgendwie zu sein, sondern in Differenz (Transzendenz) dazu, sich immer auch aufgegeben zu sein. aus: Sonderausgabe der Zeitpresse zum Thema Bildung im Frühjahr 2007, S 4-6. ISSN 1813-8713 Vorankündigung
Symposium 2007: Zeit & Bildung 20.-23. September 2007 Wagrain (Salzburg) Nähere Informationen: www.zeitverein.com
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