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2003-01-13 Verpackt Es soll überhaupt nicht erwähnt werden, dass wir in ein Volk oder eine Nation verpackt sind. Gut verschnürt natürlich, nahezu gefesselt. Das muß so sein, heißt es, denn nur gemeinsam ist man stark. Stark wofür? Für kleine Männchen, die sich stark machen. Was man weder erörtern noch andeuten sollte. Auch nicht, ob es zwischen Packelei, Packt und Verpackung mehr als eine zufällige Wortähnlichkeit gibt. Solches übergeht man mit Gelassenheit und Schweigen. Denn unterirdisch gibt es ganz andere auf- an- oder erregende Ereignisse. Zwar sind die unwesentlich. Aber bemerkenswert. Die stillste, besinnlichste Zeit des Jahres ist wieder zum Alltag geschrumpft. Eine ganze Hemisphäre hat mehr Licht verschwendet denn je. Und schöne, in glitzernde Wahrheit verpackte Lügen haben ganze Nationen erfolgreich geblendet. Zum Teil drängen sich dabei auch ziemlich nutzlose Gedanken auf. Anstelle von tiefsinnigen, kopfschweren, denen alle aus dem Weg gehen. Zwangsläufig ist die Seele nicht vom „Hohen Fest“, der plötzlich ausgebrochenen Menschlichkeit, vom Gutsein und der aufgeschäumten Nächstenliebe berührt. Oder gar vom Lichterglanz. Im Taumel der quadrosankten Feierlichkeiten wird sich niemand der wahren Bedeutung des frohen Festes so richtig bewußt. Erst die folgenden Wochen weisen auf den tiefen, praktischen Sinn dieser unablässigen Festesfreude hin. Jene ernüchterten Tage, da überall, abgesehen von den überbordeten Umweltinseln - was für ein Wort! -, Berge von unbrauchbaren Gegenständen, Kleidungsstücken, Sportgeräten, Büchern, Musik- und Kommunikationgeräten und vielen anderem zwecklosen Zeug, Kinderwägen sogar, und jede Menge von Flaschen und Gebinden sowie halb glitzernden, halb rußgeschwärzten Bäumchen herum liegen, erahnen manche die tiefe Bedeutung dieser gnadenbringenden Zeit. Denn das ganze Fühlen, Sinnen und Denken gibt sich dem Wesentlichsten dieser lichtstrahlenden Orgie hin: Dem Zauber Verpackung. Verpackte Religion. Verpackte Scheinheiligkeit, verpackte Liebe, gebündelte Gleichgültigkeit, eingewickelter Zwang, abgepackter Geiz, adressierte, frankierte Pflicht, umhüllte Berechnung. Eine geschäftstüchtig vorgefertigte Fülle von Kreationen und Erfindungen in raffiniertester Vielfalt bewegt die Gemüter. Eine hochwohllöbliche Industrie überschreitet alle ästhetischen Grenzen: Selbst sehr steife Herzen erschließen sich freudig den überschwenglichsten Geschmacksverbiederungen. Der Verbergungskonsum steigt sprunghaft an. Obwohl er jahrüber schon voll aufdringlichem Eifer präsent ist. Hier fallen ästhetische Grenzen. Hier werden Käufer zu Brüdern und Schwestern. Sprunghaft steigt der Stellenwert der Umhüllung, Beschachtelung, Verbrämung, der Gebinde und Vermaschelung ins Unermeßliche. Was immer darin oder darunter ist, hat kaum Belang. Die Verpackung spricht das ewig Menschliche an. Sie ist das Geheimnis, das Labyrinth, die Verheißung. Was sind zwei Socken, ein Nachthemd, eine gestreifte Krawatte ohne Verpackung? Zu vergessen. Was ist ein Diadem in Zeitungspapier? Billiger Schund. So muß sich die Verpackung ständig selbst überbieten. Sechs nackte, schokoladebraune Kugeln mehren nur die Leibesfülle. In Goldpapier und einem voluminösen Schachterl mit Festtagsschleife aber werden sie zum köstlichen Kleinod. Und von Mozart, dem Casanova der Musik angeboten, sind sie unwiderstehlich. Ein blaugoldverpacktes 4711, vom Enkerl geschenkt, stellt Großmama sofort in den Souvenirschrank. Verpackung ist Exhibition, Verführung, Täuschung. Die Verpackung erzählt Geschichten, weckt Träume, ersetzt Liebe, beglückt Augen und Gemüt. Wer Menschen erzeugt, besorgt die Verpackung für seine winzig kleinen Gene. Und diese Verpackung wieder verkleidet sich mit Mode als Anreiz zur Vermehrung von Menschen. Und genau genommen ist die schönste Zeit des Jahres in die Illusion, die schönste Zeit zu sein, in Duft und Glitzer, Glimmer und Heiligkeit, Rührung und Liebe verpackt. Wenn schon nicht für alle, bestimmt aber für die Verpackungsindustrie.
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